Zum Hauptinhalt springen

Schwerbehinderte Menschen im Bewerbungsprozess Teil 1 – Neue Herausforderungen bei der Nutzung von Online-Bewerbungsportalen

Heute starten wir mit unserer kleinen Reihe, was Arbeitgeber bei der Bewerbung schwerbehinderter / gleichgestellter Menschen neuerdings beachten müssen.
Die besonderen Pflichten, die Arbeitgeber gegenüber schwerbehinderten / gleichgestellten Beschäftigten haben, setzen bekanntlich nur ein, wenn die sich bewerbende Person den Arbeitgeber auch von ihrer Schwerbehinderung / Gleichstellung in Kenntnis gesetzt hat.
Einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind Bewerber:innen allerdings erst ab dem Zeitpunkt, ab dem auch der Gleichstellungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit vorliegt. Das hat das Bundesarbeitsgericht bereits durch seine Entscheidungen vom 22.01.2020 (Az.: 7 ABR 18/18) sowie vom 23.01.2023 (Az.: 8 AZR 212/22) festgestellt.
Begründung des Bundesarbeitsgerichts: Anders als bei schwerbehinderten Menschen, bei denen der Anerkennungsbescheid nur einen bestehenden Zustand feststellt, wirkt der Gleichstellungsbescheid konstitutiv; konstitutiv heißt, dass Rechte erst durch den Gleichstellungsbescheid begründet werden. Bewerber:innen, die Arbeitgebern nur von einem Gleichstellungsantrag berichten, sind daher einem schwerbehinderten Menschen noch nicht gleichgestellt, so der vom Bundesarbeitsgericht am 23.11.2023 (Az.: 8 AZR 212/22) entschiedene Fall.

Das als allgemeine Anmerkung vorausgeschickt, nun zu den Fallstricken, die bei Online-Bewerbungsportalen lauern.

Aufgestellt wurden die Fallstricke vom Landesarbeitsgericht Hessen in dessen gerade im Volltext veröffentlichten Urteil vom 04.09.2023 (Az.: 7 Sa 753/22).

Passiert war Folgendes:
Der beklagte Arbeitgeber nutzte ein Online-Bewerbungsportal.
In dem von den Bewerber:innen auszufüllenden Online-Formular war auch ein Feld „Schwerbehinderung / der Schwerbehinderung gleichgestellt“ sowie die Möglichkeit, hier ein „Ja“ anzukreuzen, enthalten. Gleichzeitig gab es einen Hinweis, dass die Angabe freiwillig ist.
Da das von den Bewerber:innen auszufüllende Online-Formular alle für die Bewerbung notwendigen Angaben enthielt, wurden Bewerber:innen auf dem Online-Portal außerdem darauf hingewiesen, dass ein separates Bewerbungsanschreiben nicht erforderlich sei.

Der Kläger, der sich über das Online-Portal auf eine gut dotierte Stelle als „Scrum-Master“ beworben hatte, teilte dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderung aber nicht über das gerade beschriebene Feld im Online-Formular, sondern nur in seinem Anschreiben mit, dass er als Datei hochgeladen hatte.

Leider hatte der Arbeitgeber nur die Angaben im Online-Formular, nicht aber in dem als separate Datei angefügten Anschreiben ausgewertet. Die Schwerbehinderung des klagenden Bewerbers wurde daher nicht zur Kenntnis genommen. Statt den schwerbehinderten Bewerber zu einem Bewerbungsgespräch einzuladen, wie es für öffentliche Arbeitgeber in § 165 SGB X vorgeschrieben ist, erhielt der Kläger eine Absage und machte eine Entschädigung wegen seiner Benachteiligung als schwerbehinderter Mensch geltend.

Damit hatte er beim Landesarbeitsgericht Hessen auch Erfolg!

Nach Meinung der hessischen Landesarbeitsrichter reicht es nicht, dass der Arbeitgeber in seinem Online-Bewerbungsportal darauf hingewiesen hatte, dass ein gesondertes Bewerbungsschreiben nicht erforderlich sei.
Oder um es mit den Worten des Landesarbeitsgerichts Hessen zu sagen: Der Arbeitgeber hätte in seinem Bewerbungsportal deutlich sagen müssen, dass Bewerber:innen keine separaten Bewerbungsanschreiben machen sollen und solche auch nicht gelesen würden. Wenn wir das Urteil richtig verstehen, hätte es auch genügt, wenn im Feld „Schwerbehinderung / der Schwerbehinderung gleichgestellt“ der Hinweis enthalten gewesen wäre, dass diese Kriterien nur Berücksichtigung finden können, wenn sie genau hier angekreuzt werden.

Da das, wie gesagt, nicht geschehen war, wurde dem klagenden Bewerber vom Landesarbeitsgericht Hessen eine Entschädigung in Höhe von EUR 8.550,00 zugesprochen, wobei die Stelle auch mit einem Jahresgehalt in Höhe von EUR 80.000,00 brutto dotiert war. Trotzdem kein Pappenstiel.

Die vielen Arbeitgeber, die Online-Bewerbungsportale nutzen, sollten diese daher bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts prüfen. Das Bundesarbeitsgericht wird vermutlich schon bald Gelegenheit haben, hierüber zu entscheiden, da das hessische Landesarbeitsgericht die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen hat.

Unsere Blogbeiträge gibt es auch als Newsletter. Melden Sie sich hier an und erhalten Sie aktuelle Informationen aus der Welt des Arbeitsrechts kostenfrei in Ihren Posteingang!

  • Erstellt am .