Aktuelle Urteile: Arbeitsrecht und politische Meinungsfreiheit – Recht ist manchmal nur ein Minimum von Moral
Angesichts der politischen Lage fragen sich Arbeitgeber, welche arbeitsrechtlichen Möglichkeiten sie haben, wenn Beschäftigte sich antisemitisch oder rechtsextremistisch äußern.
Mittlerweile gibt es zu diesem Problemkreis erste Urteile, von denen wir Ihnen gerne berichten möchten:
1. Kündigung einer Mitarbeiterin der Stadt Köln wegen Teilnahme am sog. Potsdamer Treffen, ArbG Köln, Urteil v. 03.07.2024 (Az.: 17 Ca 543/24):
In dem Verfahren ging es um eine Mitarbeiterin der Stadt Köln aus dem zentralen Beschwerdemanagement im Umwelt- und Verbraucherschutzamt.
Die Stadt Köln kündigte der Mitarbeiterin fristlos, nachdem sie erfahren hatte, dass die Mitarbeiterin am sogenannten Potsdamer Treffen teilgenommen hatte.
Das Arbeitsgericht Köln entschied, dass die Kündigung der Stadtbediensteten unwirksam ist und begründete das folgendermaßen:
- Da die Mitarbeiterin aufgrund ihrer Tätigkeit im Beschwerdemanagement lediglich eine „Innenfunktion“ und außerdem keine Personalverantwortung habe, träfe sie lediglich eine einfache und keine gesteigerte politische Treuepflicht.
Anders als Beschäftigte des öffentlichen Dienstes mit „Außenwirkung“ sei die Mitarbeiterin daher nicht verpflichtet gewesen, jederzeit und auch außerdienstlich aktiv für den Bestand der politischen Grundordnung des Grundgesetzes einzutreten. Sie habe lediglich die Pflicht, unsere freiheitliche demokratische Grundordnung nicht aktiv zu bekämpfen.
- Nach Aktenlage könne man der Mitarbeiterin aber nicht vorwerfen, dass sie sich bei dem Potsdamer Treffen durch Wortbeiträge o. ä. eingebracht habe. Vielmehr habe sie den Vorträgen nur „passiv gelauscht“. Für ein aktives Eintreten der Mitarbeiterin für verfassungsfeindliche Ziele gäbe es keine Anhaltspunkte.
2. Kündigung eines Redakteurs der Deutschen Welle aufgrund antisemitischer Äußerungen, die das Existenzrecht Israels in Abrede stellen – LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 04.04.2024 (Az.: 5 Sa 894/23):
In diesem Verfahren ging es um die fristlose Kündigung eines Redakteurs der Deutschen Welle, der in mehreren Posts auf öffentlichen oder öffentlich einsehbaren Profilen das Existenzrecht Israels in Abrede gestellt hatte. Die Besonderheit des Falles: Der Arbeitgeber ist ein „Tendenzbetrieb“, deshalb ging die Kündigung mit folgenden Argumenten durch:
- Als Tendenzunternehmen im Sinne von § 118 Absatz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes dürfen Zeitungsverlage die grundsätzliche Zielrichtung der Berichterstattung im Rahmen ihrer Pressefreiheit vorgeben. Diese Zielrichtung wird insbesondere von den Redakteuren nach außen getragen. Redakteure haben daher die Pflicht, dieser Zielrichtung in ihrer Berichterstattung Rechnung zu tragen.
Die politische Zielsetzung der Deutschen Welle in Bezug auf Israel war klar. In Positionspapieren der Deutschen Welle zu Israel heißt es:
„Als Deutsche Welle stellen wir das Existenzrecht Israels nicht in Frage und erlauben dies auch niemand anderem in unserer Berichterstattung. Wir setzen uns gegen Antisemitismus und jegliche Versuche ein, diesen zu verbreiten (…). Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass es keine Kritik an der Politik Israels geben kann. Wir bleiben der Verpflichtung treu, unparteilich und mit einer angemessenen Gewichtung zu berichten (…).
Kritik an Israel wird jedoch zu Antisemitismus, wenn sie das Ziel hat, Jüdinnen und Juden als Volk zu verunglimpfen, den jüdischen Glauben und die jüdische Kultur zu diskreditieren oder dem israelischen Staat seine Legitimität abzusprechen.“ - Gegen diese grundsätzliche Positionierung der Deutschen Welle in Bezug auf Israel hatte der Redakteur durch seine Posts, die Israel im Ergebnis sein Existenzrecht absprachen, verstoßen.
Sein Recht auf Meinungsfreiheit musste gegenüber der Position der Deutschen Welle gegenüber Israel zurücktreten.
Wörtlich sagt das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg:
„Das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 GG ist nicht schrankenlos gewährleistet, sondern gemäß Artikel 5 Absatz 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Die Verfassung gibt das Ergebnis einer solchen Abwägung nicht vor. Das gilt insbesondere dann, wenn auch auf Seiten des Arbeitgebers eine grundrechtlich geschützte Position betroffen ist. Durch Artikel 12 GG wird die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers geschützt, die durch geschäftsschädigende Äußerungen verletzt sein kann. Auch gehört § 241 Absatz 2 BGB zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. (…)
Vorliegend kann sich die Beklagte nicht bloß auf die vertraglichen Pflichten des Klägers nach § 241 Absatz 2 BGB, sondern auch, das Gewicht ihrer Interessen verstärkend, auf ihre eigenen Grundrechte aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG berufen, wonach die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film gewährleistet werden. Dies gibt ihr das Recht, die bei ihr im Tendenzbereich beschäftigten Personen dazu anzuhalten, bei inner- und außerbetrieblich getätigter Meinungsäußerung die Grundsätze der Beklagten in besonderem Maße zu berücksichtigen und eine Meinung, die diesen widerspricht, jedenfalls nicht so zu äußern, dass sie auf Jahre hinaus öffentlich bleibt und mit der Beklagten in Verbindung gebracht werden kann. Der Kläger ist als Tendenzträger der Beklagten auch im Hinblick auf seine Meinungsfreiheit verpflichtet, keine Äußerungen objektiv antisemitischen oder das Existenzrecht Israels in Abrede stellenden Charakters zu verbreiten. Dies gilt auch dann, wenn der Kläger subjektiv keine antisemitische und das Existenzrecht Israels verneinende Einstellung haben sollte, was die Kammer zu seinen Gunsten unterstellt. Im Wissen um die Bedeutung dieser Themen für die Beklagte als deutsches Auslandsmedium muss er alles vermeiden, was auch nur den Anschein von Antisemitismus hervorrufen und mit der Beklagten in Verbindung bringen kann. …“
3. Probezeit-Kündigung eines Azubis im Springer-Konzern aufgrund israelfeindlicher und Israel der Lüge bezichtigender Äußerungen, ArbG Berlin, Urteil v. 22.05.2024 (Az.: 37 Ca 12701/23):
In diesem Fall ging es wieder um die Kündigung wegen israelfeindlicher Äußerungen, dieses Mal traf es einen Azubi in einem Unternehmen des Springer-Konzerns. Die Äußerungen des Azubis erfolgten teilweise innerhalb des Betriebes und teilweise per YouTube-Video unter Bezugnahme auf Publikationen des Springer-Konzerns.
Im Gegensatz zu dem vorangehenden Fall des LAG Berlin-Brandenburg wurde dem Azubi in der Probezeit gekündigt.
Da eine Probezeitkündigung unproblematisch ist, ging der Azubi mit der Begründung vors Arbeitsgericht, dass die Kündigung eine verbotene Maßregelung nach § 612a BGB sei; seine Äußerungen über Israel seien eine zulässige Meinungsäußerung, derentwegen man ihn nicht mit einer Kündigung maßregeln dürfe.
Damit hatte der Azubi vor dem Arbeitsgericht Berlin allerdings keinen Erfolg.
Das Arbeitsgericht hat auch hier der öffentlichen Positionierung und politischen Zielsetzung des Springer-Konzerns „Wir stehen an der Seite von Israel“ den Vorrang gegeben und in der Kündigung keine verbotene Maßregelung gesehen.
4. Kündigung eines Profifußballers vom Bundesligisten FSV Mainz 05 aufgrund von Instagram-Beiträgen, die Israel das Existenzrecht absprechen, ArbG Mainz, Urteil v. 12.07.2024 (Az.: 10 Ca 1411/23):
In dem Verfahren, das bereits durch die Presse ging, ging es um einen Profi des FSV Mainz 05, der auf Instagram gepostet hatte: „Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein“. Diese Äußerung wird gemeinhin so verstanden, dass sich Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer ausdehnen sollte; damit wird Israel gewissermaßen das Existenzrecht abgesprochen.
Das war dann auch der Grund für die fristlose Kündigung, die der Fußballklub gegenüber dem Fußballer aussprach.
Am 12.07.2024 entschieden die Mainzer Arbeitsrichter, dass die fristlose Kündigung unwirksam sei und dem Fußballer die ihm durch die fristlose Kündigung entgangenen Gehälter und Bonuszahlungen in Höhe von etwa 1,7 Millionen Euro nachzuzahlen seien.
Laut Pressemitteilung (das Urteil liegt noch nicht im Volltext vor) sei der Post noch als zulässige Meinungsäußerung anzusehen. Hierbei hat offenbar auch eine Rolle gespielt, dass der Fußballer seinen ersten Post gelöscht hatte, es dann eine Presseerklärung des Vereins gab und der Fußballer seinen Beitrag erst danach wieder repostete.
Was lernen wir daraus?
Der verständliche Wunsch von Unternehmen, sich von Beschäftigten zu trennen, die durch öffentliche oder allgemein zugängliche Äußerungen wider ihrer eigenen Wertvorstellung handeln, ist häufig kein wirksamer Kündigungsgrund.
Recht ist manchmal eben nur das Minimum von Moral.
Unternehmen sollten sich in solchen Fällen daher gut überlegen, wie sie sich von solchen Beschäftigten trennen - einvernehmlich oder per Kündigung.
Eine Kündigung kann vor allem in folgenden Fällen in Betracht kommen:
- Die rechtsextremistischen oder antisemitischen Äußerungen haben einen Bezug zum Arbeitsverhältnis oder zumindest konkrete negative Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb.
Hier wird es insbesondere darauf ankommen, ob derlei Äußerungen privat oder in einem beruflichen Kontext erfolgen, wobei der berufliche Kontext auch durch private Äußerungen mit Bezug zum Arbeitgeber hergestellt sein kann.
Tendenzträger sind dabei im Vorteil; denn an ihrer politischen Haltung müssen sich jedenfalls die Beschäftigten ausrichten, die diese Tendenz nach außen tragen. - Kündigungsrelevant sind solche Äußerungen außerdem dann, wenn sie sich unmittelbar gegen Kolleg:innen richten.
Haltung zeigen ist natürlich trotzdem wichtig – auch wenn dies am Ende auf eine einvernehmliche Trennung hinausläuft. Die in solchen Fällen zu zahlende Abfindung ist dann eben der „Preis“ für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung, bei der die Meinungsfreiheit nunmal ein sehr hohes Gut ist.
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