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Bundesarbeitsgericht zur Verwertung von „Zufallsfunden“ aus verdeckter Videoüberwachung

Wie die Teilnehmer unseres Seminars zum Beschäftigtendatenschutz seit vergangenem Freitag wissen, hat sich das Bundesarbeitsgericht zur Frage der Verwertbarkeit eines im Rahmen einer verdeckten Videoüberwachung erlangten „Zufallsfundes“ geäußert.

Das Urteil (BAG vom 22.09.2016, Aktenzeichen 2 AZR 848/15) liegt jetzt auch im Volltext vor.

In diesem Urteil hat das BAG entschieden, dass ein Sachverhalt, der zufällig im Rahmen einer verdeckten Videoüberwachung entdeckt wurde, in einem Kündigungsschutzprozess verwendet werden kann. Und zwar auch dann, wenn weder die begangene Tat noch der gekündigte Mitarbeiter Anlass der Überwachung gewesen sind.

Dies war bislang durchaus nicht unumstritten, da vielfach vertreten wurde, dass solche Maßnahmen nur im Rahmen des ursprünglich vorgesehen Zwecks verwendet werden dürfen.

Dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall lag der folgende Sachverhalt zu Grunde:

Die beklagte Arbeitgeberin ist ein Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels. Die Klägerin war dort seit November 1998, also seit etwa 15 Jahren, zuletzt als stellvertretende Filialleiterin beschäftigt. Tatsächlich eingesetzt war sie überwiegend als Kassiererin.

Bei einer Inventur im Oktober 2013 wurde festgestellt, dass der Inventurverlust vor allem im Bereich der Tabakwaren und Zigaretten mehr als das Zehnfache im Verhältnis zur vorausgegangenen Inventur betrug. Die Beklagte führte daraufhin Recherchen durch, die aus ihrer Sicht nur den Schluss zuließen, dass der Verlust vom (Kassen-) Personal zu verantworten sei. Der Verdacht der Arbeitgeberin richtete sich vor allem gegen zwei Mitarbeiterinnen, die sie als Kassiererinnen einsetzte. Weitere Kontroll- und Revisionsmaßnahmen, wie etwa die Überprüfung der Mitarbeiter durch Taschenkontrollen, führten nicht zu einer Aufklärung. Zusätzlich zu der schon vorhandenen offenen Videoüberwachung der Filiale führte die Beklagte daraufhin eine verdeckte Videoüberwachung des Kassenbereichs ein.

Ob diese Überwachungsmaßnahmen zu Erkenntnissen in Bezug auf den Verlust der Zigaretten und Tabakwaren führte, ist nicht bekannt. Bei der Auswertung der Aufnahmen fiel der Arbeitgeberin jedoch eine Mitarbeiterin (die Klägerin) auf, die mehrfach eine im Kassenbereich liegende „Musterpfandflasche“ über den Scanner zog, eine Leergutregistrierung durchführte, die Kassenlade öffnete und Geld aus der Kassenlade entnahm, das sie sich später selbst die Tasche steckte. Der von ihr vereinnahmte Betrag belief sich auf 3,25 € für 13 Pfandflaschen.

Nachdem die Mitarbeiterin zu den Vorwürfen angehört wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht.

Natürlich entbrannte im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses vor allem auch Streit über die Frage, ob die verdeckte Videoüberwachung, die ja eigentlich zur Aufklärung der Inventurverluste gedacht war, überhaupt im Rahmen des Prozesses verwertet werden durfte.

Das Bundesarbeitsgericht hat ganz klar für eine Verwertung und gegen ein Beweisverwertungsverbot entschieden.

Grundsätzlich gilt: Zwar gibt es keine gesetzliche Regelung, die ein Beweisverwertungsverbot vorschreibt. Dennoch darf eine Datenerhebung und -verwertung nicht schrankenlos erfolgen.

Im Klartext: Ein ungerechtfertigter Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führt zu einem Beweisverwertungsverbot im gerichtlichen Verfahren.

Wegen der Frage, ob ein Eingriff gerechtfertigt ist oder nicht, orientiert sich das Gericht daran, ob die Datenerhebung zulässig im Sinne des Bundesdatenschutzgesetzes war.

Danach ist eine verdeckte Videoüberwachung im Arbeitsverhältnis zulässig, wenn:

  • Ein Verdacht auf eine konkrete strafbare Handlung
  • zulasten des Arbeitgebers
  • gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern vorliegt.

Wichtig ist zudem, dass die verdeckte Videoüberwachung zur Aufklärung geeignet und keine milderen Mittel ersichtlich sind.

Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, steht der Zulässigkeit nach Ansicht des BAG nichts entgegen, dass von der Maßnahme auch Arbeitnehmer betroffen sind, hinsichtlich derer ein konkretisierter Verdacht besteht. Zwar muss der Kreis der von der Maßnahme betroffenen Mitarbeiter möglichst gering gehalten werden, dass vereinzelt aber auch Mitarbeiter erfasst werden, gegen die ein solch konkreter Verdacht nicht besteht, macht die Maßnahme jedoch nicht unzulässig.

Wenn es also einen Verdacht auf eine konkrete strafbare Handlung zulasten des Arbeitgebers gab, der sich auf einen abgrenzbaren Kreis von Mitarbeitern bezogen hat, und die verdeckte Videoüberwachung zudem geeignet und erforderlich zur Aufklärung des Verdachts war, so führt die Zulässigkeit dieser Maßnahme automatisch auch zur Zulässigkeit der Verwertung von Zufallsfunden.

Wie Sie sehen, ist das entscheidende Kriterium die Zulässigkeit der ursprünglich geplanten Maßnahme. Wenn die Maßnahme selbst unzulässig gewesen sein sollte, können Sie einen Zufallsfund selbstverständlich ebenso wenig verwerten wie den Fund, für dessen Zweck sie die Maßnahme überhaupt vorgenommen haben.

Achten Sie also (vor allem bei so tief in das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter eingreifenden Maßnahmen wie einer Videoüberwachung) darauf, die Vorgaben von Gesetz und Rechtsprechung einzuhalten.

Für Fragen rund um das Thema Datenschutz, insbesondere natürlich um den Datenschutz im Beschäftigungsverhältnis, stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.

 

Bettina Steinberg                     Dr. Mona Geringhoff                                    Lydia Voß

 

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