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Neues zur Massenentlassung

Beim Thema Massenentlassung hat sich jüngst Folgendes getan:

1. Es gibt neue Formulare!

Die Bundesagentur für Arbeit hat ein neues Formular für die Massenentlassungsanzeige veröffentlicht. Die schlimmste Änderung ist die neue Einordnung der Arbeitnehmer in Berufsklassen statt wie bisher in Berufsgruppen. Das hat nämlich zur Folge, dass aus den bislang 144 Berufsgruppen nunmehr sage und schreibe 1.286 Berufsklassen geworden sind. Von daher ist es nur ein schwacher Trost, dass die Berufsklassen dem Tätigkeitsschlüssel (der sogenannten DEÜV-Nummer) entsprechen, mit dem die Arbeitnehmer bei der Sozialversicherung gemeldet sind.

Da das Kündigungsschutzgesetz in § 17 von Berufsgruppen und nicht Berufsklassen spricht, schießt das Formular über das gesetzlich Notwendige hinaus.

Auch in anderer Hinsicht ist das neue Formular nicht ohne Weiteres mit § 17 des Kündigungsschutzgesetzes in Einklang zu bringen, teilweise ist es sogar irreführend.

So wird im neuen Formular beispielsweise von Kündigungen anstelle von Entlassungen gesprochen; irreführend ist das deshalb, weil bekanntlich auch vom Arbeitgeber veranlasste Aufhebungsverträge anzeigepflichtig sind. Allein durch die Angabe von Berufsklassen werden Massenentlassungsanzeigen daher in Zukunft sehr viel arbeitsaufwendiger sein als sie es waren. Außerdem darf man sich durch die teils mißverständlichen Angaben nicht in in die Irre führen lassen. Oder um es anders zu sagen: Diejenigen, die das Formular ausfüllen, sollten auch das nötige Hintergrundwissen zum Massenentlassungsrecht haben.

2. Vorsicht bei Massenentlassungen während der Elternzeit! (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.01.2017, Az.: 6 AZR 442/16)

Nahezu jede Massenentlassung trifft auch Mitarbeiter in Elternzeit.

Bisher konnten Elternzeitler aus folgendem Grund bei der Massenentlassungsanzeige vernachlässigt werden: Da die Kündigung eines Elternzeitlers nur mit behördlicher Zustimmung möglich ist und die behördlichen Zustimmungen mitunter lange dauern, finden die meisten Kündigungen von Elternzeitlern außerhalb der 30-Tage-Frist des § 17 Absatz 1 Satz 1 statt. Deshalb waren diese Kündigungen bisher nicht anzeigepflichtig (sofern sie nicht in einer zweiten Entlassungswelle erfolgten).

Das hat sich jetzt geändert. Wie das Bundesverfassungsgericht (vgl. dessen Entscheidung vom 08.06.2016, Az.: 1 BVR 3634/13) und jetzt das Bundesarbeitsgericht entschied, werden Elternzeitler hierdurch unzulässigerweise benachteiligt. Um diese Benachteiligung zu beseitigen, muss daher jetzt folgendermaßen verfahren werden:

Anzeigepflichtig ist die Entlassung eines Elternzeitlers nunmehr schon dann, wenn der Antrag auf Zustimmung zur Kündigung bei der zuständigen Behörde innerhalb der 30-Tages-Frist erfolgt. Wie das Bundesarbeitsgericht selbst sagt, wirft diese, ihm vom Bundesverfassungsgericht aufoktroyierte Rechtsprechungsänderung zahlreiche Folgeprobleme auf, die noch nicht gelöst sind. Offen sind laut Bundesarbeitsgericht insbesondere noch folgende Fragen:

  • Betrifft diese Rechtsprechungsänderung auch andere behördliche Zustimmungsverfahren (z. B. von schwerbehinderten Arbeitnehmern)?
  • Gilt die Rechtsprechungsänderung für alle Massenentlassungen oder nur für Betriebsstilllegungen?
  • Was ist mit Kündigungen, bei denen der Antrag auf behördliche Zustimmung außerhalb der 30-Tages-Frist mit anderen Massenentlassungen zusammentrifft?
  • Was passiert, wenn die behördliche Zustimmung erst außerhalb der 90-tägigen Freifrist des § 18 Absatz 4 des Kündigungsschutzgesetzes erteilt wird?

Fragen über Fragen also, die infolge dieser Rechtsprechungsänderung noch zu klären sind. Die betriebliche Praxis muss sich jedenfalls umstellen und auch Anträge auf die Zulässigkeitserklärung von Kündigungen von Elternzeitlern (und wohl auch Schwangeren) in die Massenentlassung mit einbeziehen. In dem ein oder anderen Fall mag das dazu führen, dass ein geplanter Personalabbau hierdurch die Schwelle zur Massenentlassung erreicht. In solchen Fällen sollte daher - zumal bei noch lange andauernden Elternzeiten - überlegt werden, ob man nicht auch mit dem Antrag auf Zulässigkeitserklärung der Kündigung noch zuwartet.

3. Zählen Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Betriebsgröße nach § 17 KSchG mit? (Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 08.09.2016, Az.: 11 Sa 705/15):

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie müssen einen Personalabbau durchführen. Wenn Sie die für Sie tätigen Leiharbeitnehmer mitzählen, erreichen Sie die in § 17 Absatz 1 des Kündigungsschutzgesetzes vorgesehenen Schwellenwerte für eine Massenentlassung nicht. Lassen Sie die Leiharbeitnehmer aussen vor, sind die Schwellenwerte dagegen erreicht.

Die Frage, ob Leiharbeitnehmer mitzählen, spielt deshalb auch bei Massenentlassungen eine wichtige Rolle. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat in seiner Entscheidung vom 08.09.2016 gesagt, dass Leiharbeitnehmer bei § 17 des Kündigungsschutzgesetzes nicht mitzählen. Und zwar selbst dann nicht, wenn Leiharbeitnehmer auf dauerhaften Arbeitsplätzen tätig sind.

Wie Sie aus unseren früheren Berichterstattungen wissen, ist die Frage, ob Leiharbeitnehmer mitzählen oder aber nicht, nach Sinn und Zweck der Norm zu beantworten.

Nach der vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf vertretenen Auffassung sprechen Sinn und Zweck von § 17 Absatz 1 des Kündigungsschutzgesetzes dafür, Leiharbeitnehmer nicht mitzuzählen.

Das folgt nach Meinung der Düsseldorfer Richter vor allem daraus, dass die Arbeitsplätze von Leiharbeitnehmern durch einen Personalabbau beim Entleiher nicht zwingend gefährdet sind. Denn Leiharbeitnehmer haben ja noch ein Arbeitsverhältnis zu ihrem Arbeitgeber, dem Verleiher, wenn im Einsatzbetrieb ein Personalabbau durchgeführt wird.

Rechtskräftig ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf noch nicht. Da die Rechtsfrage, ob Leiharbeitnehmer bei den in § 17 KSchG genannten Schwellenwerten mitzählen, grundsätzliche Bedeutung hat, hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf die Revision zugelassen. Das Revisionsverfahren läuft auch schon.

Bis zu einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts sollten Sie Folgendes tun: Wenn Sie die in § 17 des Kündigungsschutzgesetzes verankerten Schwellenwerte ohne die Leiharbeitnehmer erreichen, sollten Sie zumindest eine vorsorgliche Massenentlassungsanzeige erstatten.

 

 

 

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