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Neues und Erfreuliches zum Thema verhaltensbedingte Kündigungen

Gerade wurden 3 Urteile des Bundesarbeitsgerichts veröffentlicht, die verhaltensbedingte Kündigungen für Arbeitgeber zumindest etwas berechenbarer machen. 

1.  Auch nicht abgemahnte Pflichtverletzungen können erworbenes "Vertrauenskapital" zerstören - Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.06.2017, Az.: 2 AZR 302/16:

Alle von Ihnen werden sich sicherlich noch an das berühmt-berüchtigte Emmely-Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 10.06.2010 (Az.: 2 AZR 541/09) erinnern. In diesem Urteil hat das Bundesarbeitsgericht bei verhaltensbedingten Kündigungen erstmals das sogenannte Vertrauenskapital mit in die Waagschale bei der Beurteilung von verhaltensbedingten Kündigungen geworfen.

Die "Lehre vom Vertrauenskapital" sagt im Grunde genommen Folgendes:
Im Rahmen der Interessenabwägung, die Sie bei jeder Kündigung vornehmen müssen, sollen Sie gerade bei langjährigen Beschäftigungsverhältnissen auch den bisherigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses berücksichtigen.

  • Verliefen die bisherigen Beschäftigungsjahre störungsfrei, hat der Arbeitnehmer ein Vertrauenskapital erworben, das in die Interessenabwägung mit einzubeziehen ist. Je länger das Arbeitsverhältnis störungsfrei bestand, desto größer ist das Vertrauenskapital und desto gewichtiger müssen dann auch die Kündigungsgründe, sprich die dem Arbeitnehmer im Rahmen der Kündigung vorgeworfenen Pflichtverletzungen, sein.
  • Lief das Arbeitsverhältnis dagegen nicht störungsfrei, ist das im Rahmen der Interessenabwägung zuungunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.

In dem Urteil vom 29.06.2017 hat das Bundesarbeitsgericht nun folgende wichtige Feststellungen getroffen:

Ob Vertrauenskapital erworben wurde oder aber nicht, hängt nicht davon ab, ob der Arbeitnehmer früher schon einmal abgemahnt worden ist. Ein nicht störungsfreier Verlauf liegt vielmehr auch dann vor, wenn es Pflichtverletzungen gab, mögen diese auch nicht abgemahnt worden sein. Oder um es mit den Worten des Bundesarbeitsgerichts zu sagen:

"Allein der Umstand, dass diese Vorfälle nicht abgemahnt wurden, steht ihrer Berücksichtigung als vom Kläger verursachte Störungen nicht entgegen."

Für die betriebliche Praxis bedeutet das:

Arbeitgeber tun gut daran, jedwede Pflichtverletzungen zu dokumentieren, damit sie im Rahmen einer späteren verhaltensbedingten Kündigung gegen ein Vertrauenskapital ins Feld geführt werden können.

Bei jeder Dokumentation sollte außerdem geprüft werden, ob nicht abgemahnt werden soll. Denn mit Ausnahme von sehr schwerwiegenden Pflichtverletzungen setzen verhaltensbedingte Kündigungen bekanntlich eine vorangegangene Abmahnung wegen einer gleichartigen Pflichtverletzung voraus.

2.  Keine Gleichbehandlung im Unrecht bzw. bei Pflichtverletzungen:

In demselben Urteil vom 29.06.2017 (Az.: 2 AZR 302/16) hat das Bundesarbeitsgericht sich außerdem gegen eine Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei verhaltensbedingten Kündigungen ausgesprochen.

Das bedeutet: Ein aus verhaltensbedingten Gründen gekündigter Arbeitnehmer kann sich nicht darauf berufen, dass Sie anderen Arbeitnehmern, die sich fehlverhalten haben, nicht gekündigt hätten. Oder um es wieder aus dem Munde des Bundesarbeitsgerichts zu sagen:

"Im Verhältnis von Arbeitnehmern untereinander scheidet mit Blick auf Kündigungen wegen Pflichtverletzungen eine Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes weitgehend aus."

Der Umgang mit Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer kann sich aber mittelbar, nämlich bei der schon in 1. besprochenen Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken. Dies setzt allerdings eine - so das Bundesarbeitsgericht wörtlich - gleiche Ausgangslage beider Fälle voraus.

3.  Wann muss der Arbeitnehmer bei einer Verdachtskündigung angehört werden? -  Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01.06.2017, Az.: 6 AZR 720/15:

Mit diesem Urteil hat das Bundesarbeitsgericht Klarheit geschaffen, wann Sie den Arbeitnehmer vor einer Verdachtskündigung anhören müssen.
Klar war bisher nur, dass Sie die Anhörung des Arbeitnehmers vor einer Verdachtskündigung innerhalb von einer Woche durchführen müssen. Unklar war aber, wann die Wochenfrist beginnt.

Beginnt die Wochenfrist für die Anhörung des Arbeitnehmers, sobald Sie erstmals von Verdachtsmomenten in Kenntnis gesetzt wurden? Oder beginnt die Wochenfrist erst, wenn Sie die Verdachtsmomente ausermittelt haben?
Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht in Anlehnung an seine bisherige Rechtsprechung folgendermaßen beantwortet:

Die einwöchige Anhörungsfrist beginnt erst, wenn der Arbeitgeber seine Ermittlungen abgeschlossen hat. Bis zum Abschluss der Anhörung des Arbeitnehmers ist dann auch die für fristlose Kündigungen maßgebliche 2-Wochenfrist des § 626 Absatz 2 BGB gehemmt.

Daraus ergibt folgender Ablaufplan für fristlose Verdachtskündigungen:

  • Es muss sich um den Verdacht einer sehr schwerwiegenden Pflichtverletzung handeln, die die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung nach § 626 des BGB erfüllt. Unterhalb dieser Schwelle sind Verdachtskündigungen nicht möglich.
  • Die Verdachtsmomente müssen dringend sein. Das heißt: Es müssen Tatsachen vorliegen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass der Arbeitnehmer der Täter ist.
  • Gegebenenfalls müssen Sie den Sachverhalt also weiter aufklären. Wegen der 2-Wochenfrist des § 626 Absatz 2 des BGB müssen weitere Aufklärungsmaßnahmen zügig, d. h. mit der gebotenen Eile durchgeführt werden.
  • Vor Ausspruch der Kündigung müssen Sie den Arbeitnehmer zu den Verdachtsmomenten anhören und ihm Gelegenheit geben, hierzu Stellung zu nehmen. Die Anhörung des Arbeitnehmers muss innerhalb von einer Woche erfolgen. Die Wochenfrist beginnt, wenn Sie Kenntnis von den dringenden Verdachtsmomenten haben. Wenn Sie noch aufklären müssen, beginnt die Wochenfrist daher mit Abschluss der Aufklärungsmaßnahmen.
  • Sie sind nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer das Thema der Anhörung vorher mitzuteilen. Sie müssen dem Arbeitnehmer also keine Gelegenheit geben, sich auf die Anhörung vorzubereiten (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.12.2014, Az.: 6 AZR 845/13). Ergibt sich allerdings während der Anhörung, dass der Arbeitnehmer psychisch oder (wegen der Komplexität des Sachverhalts) inhaltlich überfordert ist, sind Sie verpflichtet, die Anhörung abzubrechen und einen erneuten Anhörungstermin anzuberaumen. Ein Abbruch der Anhörung ist auch dann angezeigt, wenn der Arbeitnehmer während der Anhörung eine Unterbrechung zur Beratung mit einer Vertrauensperson verlangt (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.12.2014, Az.: 6 AZR 845/13).
  • Nach Abschluss der Anhörung müssen Sie innerhalb von 2 Wochen die fristlose Kündigung aussprechen. Das heißt, dass Sie innerhalb der 2 Wochen den Betriebsrat angehört und die Kündigung zugestellt haben müssen. Bitte bedenken Sie außerdem, dass Sie den Betriebsrat ausdrücklich zu einer Verdachtskündigung anhören müssen. Wenn Sie - wie so oft - nicht sicher sind, ob der Vorwurf erwiesen ist oder nur ein dringender Verdacht gegen den Arbeitnehmer besteht, müssen Sie dem Betriebsrat daher zu einer Tatkündigung und hilfsweise zu einer Verdachtskündigung anhören.

Bleibt die Frage, was passiert, wenn Sie die Fristen nicht eingehalten haben? Können Sie dann wenigstens eine ordentliche Verdachtskündigung (also eine Verdachtskündigung unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist) aussprechen?

Unseres Erachtens können Sie das. Die Fristen dienen nämlich der beschleunigten Handhabung, die bei fristlosen Kündigungen wegen der in § 626 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches verankerten 2-Wochenfrist nötig ist. Wenn Sie einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Absatz 1 BGB haben, sind Sie allerdings nicht verpflichtet, fristlos zu kündigen. Vielmehr können Sie auch eine ordentliche Kündigung aussprechen. Das hat das Bundesarbeitsgericht auch für eine Verdachtskündigung schon vor einiger  Zeit klargestellt.

4.  Schulden Sie bei einer unberechtigten Verdachtskündigung Schadensersatz? - Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.06.2017, Az.: 9 AZR 576/15:

Bei Verdachtskündigungen kommt es nicht selten zu folgender Konstellation:
Die Arbeitsgerichte entscheiden sich für die Wirksamkeit der Verdachtskündigung. Später wird der Arbeitnehmer vom Strafgericht dennoch freigesprochen.

In diesem Fall stellen sich 2 Fragen:

Erste Frage: Hat der Arbeitnehmer nach rechtskräftigem Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens einen Wiedereinstellungsanspruch gegen seinen Arbeitgeber?

Zweite Frage: Ist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in einem solchen Fall wenigstens zum Schadensersatz verpflichtet?

Die erste Frage musste das Bundesarbeitsgericht leider nicht entscheiden, da der Arbeitnehmer während des Prozesses verstorben war, so dass eine Wiedereinstellung nicht in Betracht kam.

Die zweite Frage beantwortete das Bundesarbeitsgericht dagegen klar mit nein. Wenn die Arbeitsgerichte Ihre Verdachtskündigung bestätigen, brauchen Sie folglich keine Angst vor Schadensersatzansprüchen zu haben.

Aber selbst wenn Ihre Verdachtskündigung vor den Arbeitsgerichten keinen Erfolg haben sollte, sieht es nach diesem Urteil mit Schadensersatzansprüchen der Arbeitnehmer eher schlecht aus. Das Bundesarbeitsgericht sagt nämlich, dass nicht jede Auseinandersetzung, Meinungsverschiedenheit oder nicht gerechtfertigte Maßnahme des Arbeitgebers (zB Abmahnung, Versetzung, Kündigung) eine rechtswidrige und vorwerfbare Verletzung der Rechtsgüter des Arbeitnehmers und damit ein Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB darstellt. Final entschieden hat das Bundesarbeitsgericht diese Frage nicht, da die Verdachtskündigung im konkreten Fall  vor den Arbeitsgerichten Erfolg hatte. Das Urteil gibt aber wie schon gesagt Hoffnung, dass auch Verdachtskündigungen, die von den Arbeitsgerichten gekippt werden, jedenfalls dann keine Schadensersatzansprüche auslösen, wenn die Maßnahme nicht völlig haltlos gewesen ist.

Bei haltlosen Verdachtskündigungen müssen Sie dagegen mit Schadensersatz-ansprüchen von Arbeitnehmern rechnen. Deshalb wurde ein Arbeitgeber, der ohne irgendwelche Recherchen Strafanzeige gegen einen Arbeitnehmer erstattet hatte, vom Arbeitsgericht Köln zur Erstattung der Kosten für den Strafverteidiger verdonnert (Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 06.11.2014, Az.: 11 Ca 3187/14).

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