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Die vorweggenommene Abmahnung

Wie Sie wissen, brauchen Sie in den allermeisten Fällen einer verhaltensbedingten Kündigung mindestens eine vorangegangene Abmahnung wegen einer gleichartigen Pflichtverletzung. Außerdem muss die Abmahnung ihre Warnfunktion noch erfüllen können. Die Abmahnung sollte – mit Ausnahme von z.B. schweren Pflichtverletzungen – daher nicht älter als 2 Jahre sein.

Ausnahmen von dem eisernen Grundsatz, dass es vor einer verhaltensbedingten Kündigung mindestens eine Abmahnung wegen einer gleichartigen Pflichtverletzung gegeben haben muss, gibt es nach der Rechtsprechung in folgenden Fällen:

  • Eine Verhaltensänderung des Arbeitnehmers ist auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten oder
  • es handelt sich um eine schwerwiegende Pflichtverletzung, die erkennbar rechts- bzw. vertragswidrig ist, sodass der Arbeitnehmer weiß, dass Sie sein Fehlverhalten nicht dulden.

Aus diesem Grund arbeiten viele Arbeitgeber schon in Arbeitsverträgen oder innerbetrieblichen Regelwerken mit einer sog. vorweggenommenen oder – wie wir Juristen sagen – antizipierten Abmahnung.

Von einer vorweggenommenen bzw. antizipierten Abmahnung spricht man dann, wenn Sie den Arbeitnehmer ohne konkreten Anlass darauf hinweisen, dass er im Falle eines Verstoßes gegen eine bestimmte Regelung mit einer Kündigung rechnen muss.

Eine vorweggenommene bzw. antizipierte Abmahnung läge also beispielsweise dann vor, wenn Sie Ihre Arbeitnehmer in einem Arbeitsvertrag oder einer Richtlinie darauf hinweisen, dass die private Nutzung der Betriebs-IT untersagt ist und der Arbeitnehmer mit einer Kündigung rechnen muss, wenn er sich nicht an das Verbot hält.

Die Preisfrage ist nun folgende:

Können Sie beim Einsatz einer vorweggenommenen Abmahnung direkt kündigen, getreu dem Motto: Durch die vorweggenommene Abmahnung wusste der Arbeitnehmer ja, dass Sie einen solchen Verstoß unter keinen Umständen dulden? Oder brauchen Sie vor einer Kündigung zusätzlich noch eine „echte“ Abmahnung?

In seinem gerade veröffentlichten Urteil vom 29.06.2017 (Az.: 5 Sa 5/17) hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hierauf folgende differenzierte Antwort gegeben:

Eine vorweggenommene bzw. antizipierte Abmahnung reicht nur dann, wenn diese – so das LAG Schleswig-Holstein wörtlich - „in Ansehung einer möglicherweise bevorstehenden Pflichtverletzung erfolgt, sodass die dann tatsächlich zeitnah folgende Pflichtverletzung aus Sicht des Arbeitgebers als beharrliche Pflichtverletzung gewertet werden muss“.

Daraus folgt für die betriebliche Praxis:

  • Grundsätzlich können vorweggenommene Abmahnungen keine „echten“ Abmahnungen ersetzen.Vorweggenommene Abmahnungen in Arbeitsverträgen oder Richtlinien nutzen daher in der Regel nichts.
  • Anders ist es ausnahmsweise dann, wenn die vorweggenommene Abmahnung einer möglicherweise bevorstehenden Pflichtverletzung vorgreift. Die Pflichtverletzung muss also sozusagen „in der Luft liegen“.

Das Problem ist, dass sich Pflichtverletzungen in der Praxis meistens nicht ankündigen.

In der Praxis ist es vielmehr so:

Entweder es gibt schon eine Pflichtverletzung. In diesem Fall sollten Sie dann aber auch auf Nummer sicher gehen und dem Arbeitnehmer eine echte Abmahnung und keine vorweggenommene Abmahnung geben.

Oder es gibt Verhaltensauffälligkeiten, die aber noch nicht abgemahnt werden können, weil noch kein ausdrückliches Verbot ausgesprochen wurde. In diesem Fall schon bestehender Verhaltensauffälligkeiten könnten Sie mit einer Verbotsregelung, die Sie wiederum mit einer vorweggenommenen Abmahnung kombinieren, arbeiten.

Ob die vorweggenommene Abmahnung im Wiederholungsfall für eine Kündigung reicht, ist wie immer eine Frage des Einzelfalls.

Wenn Sie Fragen hierzu haben, melden Sie sich bitte.

Bettina Steinberg         Dr. Mona Geringhoff         Lydia Voß

  • Erstellt am .