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Aktuelles zur Vereinbarung von Tarifverträgen, zu den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats beim Desk-Sharing und zur Rückforderung von Vergütungsansprüchen gegenüber Arbeitnehmern und Betriebsräten

In den letzten Tagen wurden wieder viele interessante Urteile veröffentlicht, aus denen wir folgende Auswahl für Sie getroffen haben:

1. Vorsicht bei der Bezugnahme auf Tarifverträge im Arbeitsvertrag - Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 28.02.2018, Az.: 6 Sa 79/17:
Ein Fall mitten aus dem Vertragsleben gegriffen:
Aufgrund seiner Bindung an den Hamburger Einzelhandelstarifvertrag nahm der Arbeitgeber auch in den Arbeitsverträgen auf die Tarifverträge des Hamburger Einzelhandels Bezug.
Dann trat der Arbeitgeber aus dem Arbeitgeberverband aus und schloss einen Haustarifvertrag ab. Der Arbeitgeber war der Meinung, dass er fortan nur die Regelungen des Haustarifvertrages anwenden müsse.
Weit gefehlt, entschied das Landesarbeitsgericht Hamburg.
Zwar sei der Arbeitgeber nun an den Haustarifvertrag gebunden. Parallel dazu würden aber weiterhin die Tarifverträge des Hamburger Einzelhandels gelten, und zwar kraft Arbeitsvertrages. Haustarifvertrag und Einzelhandelstarifvertrag würden also miteinander konkurrieren. Und dieses Konkurrenzverhältnis sei nach dem Günstigkeitsprinzip aufzulösen. Es müsste folglich für die einzelnen Regelungsinhalte der Tarifverträge (Haustarifvertrag einerseits und Einzelhandelstarifvertrag andererseits) ein Günstigkeitsvergleich durchgeführt werden, bei dem am Ende die Regelung gilt, die für den Arbeitnehmer günstiger ist.
Toll!

Was hätte der Arbeitgeber besser machen können?
Der Arbeitgeber hätte sich in den Arbeitsverträgen nicht nur auf die Tarifverträge des Hamburger Einzelhandels beziehen dürfen.

Demnächst wird das Bundesarbeitsgericht Gelegenheit haben, sich diese Fallgestaltungen noch einmal genauer anzuschauen. Das Revisionsverfahren beim Bundesarbeitsgericht läuft bereits.

2. Ist Desk-Sharing mitbestimmungspflichtig? – Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.2018, Az.: 3 TaBVGa 6/17:
Desk-Sharing ist en vogue. Beim Desk-Sharing gibt es für die Mitarbeiter keine fest zugeordneten Arbeitsplätze mehr. Vielmehr gibt es sozusagen einen Arbeitsplatz-Pool, bei dem die Schreibtische etc. je nach Anwesenheit flexibel genutzt werden.
In einem vom Betriebsrat angestrengten einstweiligen Verfügungsverfahren musste sich das Landesarbeitsgericht Düsseldorf mit der Frage befassen, ob ein solches Desk-Sharing mitbestimmungspflichtig ist. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat hierzu Folgendes gesagt:

  • Ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG besteht nicht.
  • Ein Mitbestimmungsrecht nach § 91 BetrVG scheidet ebenfalls aus.
  • Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ist ohne eine bereits bestehende oder im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung festgestellte konkrete Gefährdung der Mitarbeiter gleichfalls nicht gegeben.
    Allein die Tatsache, dass Computertastaturen und –mäuse von mehreren Mitarbeitern genutzt werden, bedeutet unter hygienischen Aspekten noch keine konkrete Gefährdung, zumal der Arbeitgeber den Mitarbeitern im konkreten Fall Reinigungstücher zur freiwilligen Nutzung zur Verfügung gestellt hatte.
  • Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf kommen beim Desk-Sharing nur Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG („Ordnungsverhalten“) sowie § 111 BetrVG (Betriebsänderung) in Betracht.
    - Ob ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht, bezeichnet das Landesarbeitsgericht Düsseldorf als vollkommen ungeklärt. Leider hat auch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf die Frage nicht entschieden, da der Betriebsrat seine vermeintlichen Mitbestimmungsrechte im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens geltend gemacht hatte und einstweilige Verfügungen bei ungeklärter Rechtslage nicht erlassen werden.
    - Die Frage eines Mitbestimmungsrechts nach § 111 BetrVG ließ das Landesarbeitsgericht Düsseldorf für das einstweilige Verfügungsverfahren ebenfalls dahinstehen, weil der Betriebsrat bis zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung bzw. einem Einigungsstellenverfahren keinen Unterlassungsanschluss habe; im konkreten Fall verhandelten Arbeitgeber und Betriebsrat über den Abschluss einer dementsprechenden Betriebsvereinbarung.

3. Was gilt, wenn Sie Arbeitnehmer versehentlich überzahlt haben? - Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.01.2018, Az.: 15 Sa 732/17:

Versehentliche Überzahlungen passieren schnell. Deswegen möchten wir die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg gerne zum Anlass nehmen, Ihnen aufzuzeigen, was Sie bei Überzahlungen beachten müssen:

  • Wenn es arbeits- oder tarifvertragliche Ausschlussfristen gibt, gelten diese grundsätzlich auch für die fristgerechte Geltendmachung von irrtümlichen Überzahlungen. Ausschlussfristen sind nur dann außer Kraft gesetzt, wenn der Arbeitnehmer erkennt, dass Ihnen ein Fehler unterlaufen ist, dieser Fehler zu einer erheblichen Überzahlung geführt hat und der Arbeitnehmer Sie nicht auf diese Überzahlung hingewiesen hat. Selbst dann sind Sie aber verpflichtet, die Überzahlung unverzüglich (und nicht erst innerhalb der geltenden Ausschlussfrist) geltend zu machen, sobald Sie sie entdeckt haben.
    Und nicht nur das: Kennt ein anderer mit dem Vorgang betrauter Mitarbeiter den Abrechnungsfehler, müssen Sie sich dessen Wissen zurechnen lassen!
  • Wenn Sie die Rückzahlung geltend gemacht haben, müssen Sie damit rechnen, dass sich der Arbeitnehmer auf § 818 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches, den sogenannten Entreicherungseinwand, beruft.
  • Für den Entreicherungseinwand können Sie sich Folgendes merken:
    - Liegen die überzahlten Beträge allerdings jeweils unter 10 % des relevanten Nettoentgelts, gehen die Gerichte ohne weitere Darlegung des Arbeitnehmers von einer Entreicherung aus.
    - In der Regel steht dem Entreicherungseinwand auch keine "Bösgläubigkeit" nach § 819 des Bürgerlichen Gesetzbuches entgegen. Arbeitnehmer sind nämlich nicht verpflichtet, ihre Vergütungsabrechnungen zu überprüfen. Arbeitnehmer sind auch nicht verpflichtet, die ihnen überwiesenen Beträge zu überprüfen. Auf Bösgläubigkeit können Sie in solchen Fällen also nicht bauen.
  • Ob Sie den Entreicherungseinwand durch eine entsprechende Formulierung im Arbeitsvertrag ausschließen können, ist noch nicht geklärt. Bis zur höchstrichterlichen Klärung sollten Sie den Entreicherungseinwand daher arbeitsvertraglich ausschließen.

4. Können Sie vom Arbeitnehmer auch die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung zurückverlangen? - Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.11.2017, Az.: 5 AZR 11/17:
Wenn Sie vom Arbeitnehmer Geld zurückbekommen, stellt sich immer wieder die Frage, was mit den Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung ist (denn die Erstattung der Arbeitgeberanteile können Sie sich ja selbst von den Sozialversicherungsträgern zurückholen).
Hierauf hat das Bundesarbeitsgericht jetzt folgende Antworten gegeben:

  • Der Arbeitgeber kann auch die von ihm abgeführten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung vom Arbeitnehmer verlangen.
  • In Bezug auf die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung funktioniert das laut Bundesarbeitsgericht wegen § 26 SGB IV allerdings nur dann, wenn der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer insoweit die Abtretung des dem Arbeitnehmer gegen den Sozialversicherungsträger zustehenden Ersatzanspruchs verlangt; außerdem muss dieser Anspruch vom Arbeitgeber konkret beziffert werden.
    Zahlung statt Abtretung kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer ausnahmsweise dann verlangen, wenn dem Arbeitnehmer die zu Unrecht entrichteten Sozialversicherungsbeiträge bereits vom Sozialversicherungsträger erstattet worden sind.

5. Was gilt für die Rückzahlung gegenüber Betriebsräten bei Verstößen gegen das Begünstigungsverbot? - Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.11.2017, Az.: 5 AZR 11/17:
In dieser Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht einmal mehr entschieden, dass pauschale Mehrarbeitsvergütungen für Betriebsräte grundsätzlich gegen das Begünstigungsverbot nach § 78 des Betriebsverfassungsgesetzes verstoßen.
Viel spannender ist aber die Frage, ob Sie solche Zahlungen vom Betriebsrat zurückbekommen können. Spannend ist die Frage deshalb, weil in solchen Fällen beide Parteien gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen haben, so dass die Rückforderung des Arbeitgebers eigentlich an § 817 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches scheitert.
Da nicht sein kann, was nicht sein darf, sagt das Bundesarbeitsgericht, dass die Rückforderung trotzdem möglich ist. O-Ton des Bundesarbeitsgerichts: Es wäre deshalb mit dem Zweck der Nichtigkeitsnorm unvereinbar, wenn eine Rückforderung nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen wäre und deshalb die Vermögensverschiebung erhalten bliebe. Die Begünstigung, die nach § 78 Satz 2 BetrVG verhindert werden soll, würde durch den Kondiktionsausschluss perpetuiert.

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