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Wann ist der Beweiswert von Arbeitsunfähigkeits-bescheinigungen erschüttert?

Arbeitszeitkonten müssen vereinbart werden!

Beweiswert von Gehaltsabrechnungen.

Gerade wurde das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23.05.2018 (Az.: 2 Sa 434/17) im Volltext veröffentlicht. Darin arbeiten die rheinland-pfälzischen Landesarbeitsrichter gleich drei sehr praxisrelevante Themen auf, als da sind:


1. Wann ist der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert?

Zunächst wiederholt das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz den Grundsatz, dass ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einen sehr hohen Beweiswert genießen. 
Das kann man kritisieren, dürfte sich mittlerweile doch auch bei den Gerichten herumgesprochen haben, dass viele Ärzte Arbeitnehmer nur "auf Zuruf" krankschreiben. Noch wollen die Arbeitsgerichte davon aber nichts wissen. 

Im Vordergrund der Entscheidung stand daher auch eine andere Frage, die da lautet:

Ist der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar vor der Erkrankung darum gebeten hatte, dass er freigestellt wird? 

Im konkreten Fall war Folgendes passiert: Ein Arbeitnehmer hatte das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt. Aufgrund von chronischen Differenzen mit dem Vorgesetzten bat er darum, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freigestellt zu werden. Nachdem der Arbeitgeber die Freistellung abgelehnt hatte, räumte der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz und wurde durch 2 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von seiner Hausärztin wegen psychischer Probleme krankgeschrieben. 

Nach Meinung der rheinland-pfälzischen Landesarbeitsrichter ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in diesem Fall nicht durch die vorangegangene Bitte um Freistellung erschüttert. Vielmehr sei die psychische Erkrankung nach Ablehnung des Freistellungsbegehrens aufgrund der Konfliktsituation mit dem Vorgesetzten eine nachvollziehbare Abfolge. 

Für die betriebliche Praxis bedeutet das aber nicht, dass vorangegangene Freistellungsbegehren keinerlei Aussagekraft im Hinblick auf darauf folgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen haben. Entscheidend sind vielmehr die tatsächlichen Einzelfallumstände. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz ist deshalb kein Widerspruch zu dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 07.05.2007 (Az.: 6 Sa 1045/05). In dieser Entscheidung hatten die niedersächsischen Landesarbeitsrichter die Erschütterung des Beweiswerts einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach einer abgelehnten Freistellung und Räumung des Arbeitsplatzes bejaht. In jenem Fall war es allerdings so, dass der nicht freigestellte Arbeitnehmer nach nur einer Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber drei Erstbescheinigungen von unterschiedlichen Ärzten vorgelegt hatte. 

Fazit: Bei der Antwort auf die Frage, ob der Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert ist, entscheiden immer die Umstände des Einzelfalls.



2. Kein Arbeitszeitkonto ohne Vereinbarung!

Arbeitszeitkonten sind keine Selbstverständlichkeit. Arbeitszeitkonten müssen vereinbart werden. Geschieht dies nicht, gibt es auch keine! Das gilt auch und erst recht für die (vermeintliche) Verpflichtung von Arbeitnehmern, Minusstunden nachzuarbeiten. Hier gilt der Grundsatz: Wenn eine wöchentliche Arbeitszeit von xy Stunden vereinbart ist, ist es Sache des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer entsprechend auszulasten. Geschieht dies nicht, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer trotzdem für die vereinbarte Arbeitszeit bezahlen. Von Gesetzes wegen gibt es also keine Verpflichtung des Arbeitnehmers, nicht geleistete Stunden nachzuarbeiten. Wenn Sie diesen gesetzlichen Grundsatz ändern möchten, müssen Sie das vereinbaren

Aus dem Munde der rheinland-pfälzischen Landesarbeitsrichter liest sich das so:

Die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos, insbesondere die Möglichkeit eines negativen Kontostandes, bedarf einer entsprechenden Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien (LAG Rheinland-Pfalz 18. März 2015 - 4 Sa 529/14 - Rn. 27, juris; LAG Rheinland-Pfalz 03. April 2014 - 5 Sa 579/13 - Rn. 29, juris). Ein Arbeitszeitkonto gibt den Umfang der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit wieder und kann abhängig von der näheren Ausgestaltung in anderer Form den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers ausdrücken. Die Belastung eines Arbeitszeitkontos mit Minusstunden setzt folglich voraus, dass der Arbeitgeber diese Stunden im Rahmen einer verstetigten Vergütung entlohnt hat und der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist, weil er die in Minusstunden ausgedrückte Arbeitszeit vorschussweise vergütet erhalten hat (BAG 26. Januar 2011 - 5 AZR 819/09 - Rn. 13, NZA 2011, 640). Eine Zahlung durch den Arbeitgeber ist dann ein Vorschuss, wenn sich beide Seiten bei der Auszahlung darüber einig waren, dass es sich um eine Vorwegleistung handelt, die bei Fälligkeit der Forderung verrechnet wird (BAG 13. Dezember 2000 - 5 AZR 334/99 - Rn. 36, NZA 2002, 390). 


3. Welchen Beweiswert haben Gehaltsabrechnungen im Hinblick auf die dort ausgewiesenen Urlaubsansprüche?

Auch das ist ein sehr praxisrelevantes Thema, da viele Gehaltsabrechnungen die Höhe von Urlaubsansprüchen ohne Rücksicht auf die arbeits-, tarifvertraglichen oder gesetzlichen Besonderheiten ausweisen. Hier kann allerdings Entwarnung gegeben werden. Gehaltsabrechnungen sind kein Schuldanerkenntnis. Oder wie es das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz mit Blick auf Urlaubsansprüche sagt: 

Die Lohnabrechnung hat nicht den Zweck, streitig gewordene Ansprüche endgültig festzulegen. Der Lohnabrechnung kann somit regelmäßig nicht entnommen werden, dass der Arbeitgeber die Zahl der angegebenen Urlaubstage auch dann gewähren will, wenn er diesen Urlaub nach Gesetz, Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag nicht schuldet. Erst recht ergibt sich daraus nicht, dass der Arbeitgeber auf die künftige Einwendung des Erlöschens des Urlaubsanspruchs durch Zeitablauf verzichten will. Will der Arbeitgeber mit der Abrechnung eine derartige Erklärung abgeben, so müssen dafür besondere Anhaltspunkte vorliegen (vgl. BAG 10. März 1987 - 8 AZR 610/84 - Rn. 18, NZA 1987, 557; LAG Rheinland-Pfalz 25. Februar 2016 - 2 Sa 244/15 - Rn. 25 m.w.N., juris).

Wenn Sie sich solche Scherereien ersparen möchten, sollten Sie zusehen, dass Ihre Gehaltsabrechnungen den Status quo richtig abbilden.

B
itte melden Sie sich, wenn Sie Fragen hierzu haben!


Bettina Steinberg          Dr. Mona Geringhoff          Lydia Voß

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