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Wie Sanierungen an Arbeitsverträgen scheitern können

Ausgangspunkt unseres heutigen Newsletters sind aktuelle Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, die alle eines zeigen: Unternehmen müssen ihre Arbeitsverträge in Schuss bringen, bevor sie mithilfe von insbesondere Haustarifverträgen Sanierungsmaßnahmen durchführen. 

Die gerade veröffentlichte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 12.12.2018 (Az.: 4 AZR 123/18) hat die Sanierungsbemühungen einer der großen deutschen Kaufhausketten deshalb zum Scheitern verurteilt.

Was war passiert: Die Kaufhauskette war in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Deshalb wurde mit ver.di ein Haustarifvertrag mit dem schönen Namen "Zukunfts-TV" geschlossen, der u. a. schlechtere Vergütungsbedingungen für die Arbeitnehmer, dafür aber eine Standort- und Beschäftigungssicherung bis zum 31.03.2021 vorsah.
        
Was die Kaufhauskette nicht bedacht hatte: In den Arbeitsverträgen ihrer Arbeitnehmer wurde auf die Flächentarifverträge des Einzelhandels verwiesen. 

Und genau das wurde der Kaufhauskette zum Verhängnis. 

Das Bundesarbeitsgericht entschied nämlich, dass eine arbeitsvertragliche Klausel, die auf Flächentarifverträge verweist, keine Haustarifverträge mit einbezieht. Genauso hatte das Bundesarbeitsgericht bereits wenige Monate zuvor, nämlich per Urteil vom 11.07.2018 (Az.: 4 AZR 533/17) sowie vom 16.05.2018 (Az.: 4 AZR 209/15) entschieden. 

Ergebnis für die Kaufhauskette: Der Haustarifvertrag namens Zukunft, der die Rettung bedeuten sollte, konnte den (für die Arbeitnehmer besseren Flächentarifvertrag) arbeitsvertraglich nicht verdrängen. Die Kaufhauskette wäre daher besser beraten gewesen, wenn sie die Klausel in ihren Arbeitsverträgen, die auf die Flächentarifverträge verweist, vorher so angepasst hätte, dass sie auch Haustarifverträge mit einbezieht und den Haustarifverträgen als speziellere Regelung den Vorrang gibt. 

Da die Kaufhauskette das nicht gemacht hatte, blieb ihr als vermeintlicher Rettungsanker nur der Günstigkeitsvergleich, der in § 4 Absatz 3 des Tarifvertragsgesetzes geregelt ist. 
Ein tariflicher Günstigkeitsvergleich muss u. a. immer dann durchgeführt werden, wenn ein kraft Tarifbindung geltender Tarifvertrag (durch den Austritt der Kaufhauskette aus dem Einzelhandelsverband war das jetzt der Haustarifvertrag) mit einem arbeitsvertraglich vereinbarten Tarifvertrag (durch die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag waren das die Flächentarifverträge) konkurriert. 

Nach § 4 Absatz 3 des Tarifvertragsgesetzes hat in solchen Konkurrenzsituationen der Tarifvertrag Vorrang, der für den Arbeitnehmer günstiger ist.

Aber: Der Günstigkeitsvergleich ist kein punktueller Vergleich und  auch kein Gesamtvergleich. Um festzustellen, welcher Tarifvertrag günstiger ist, ist vielmehr ein Sachgruppenvergleich durchzuführen.
Sachgruppenvergleich heißt: Verglichen werden müssen die Regelungen, die sachlich zusammen gehören. 

Im Kaufhausfall musste das Bundesarbeitsgericht daher entscheiden, ob die für die Arbeitnehmer schlechteren Entgelt- und Arbeitszeitregelungen zur gleichen Sachgruppe wie die für die Arbeitnehmer günstigere Standort- und Beschäftigungssicherung gehören. 

Und auch diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht verneint. Dabei konnte das Bundesarbeitsgericht offen lassen, ob es der Kaufhauskette und ihrem Vertragspartner des Haustarifvertrages, der Gewerkschaft ver.di, möglich gewesen wäre, Regelungen, die nicht zur gleichen Sachgruppe gehören, per Vereinbarung zu einer Sachgruppe zusammenzufassen. Denn auch das hatten die Kaufhauskette und die Gewerkschaft ver.di nicht gemacht. 

Das Ende vom Lied: Die Kaufhauskette muss die Klägerin nicht nach dem Zukunfts-TV, sondern nach den teureren Einzelhandels-TV behandeln und bezahlen. 

Und was lernen wir daraus? In Sanierungsfällen sollte man erstmal klein anfangen und sich mit Arbeitsverträgen befassen, bevor man zum großen Wurf eines hauseigenen Zukunfts-Tarifvertrages ausholt. 

Wir lernen daraus aber auch, dass Standort- und Beschäftigungssicherungen kein Allheilmittel sind, wenn ein kraft Arbeitsvertrages geltender Flächentarifvertrag mit einem Haustarifvertrag kollidiert, weil man die Arbeitsverträge nicht auf Vordermann gebracht hat. 
Das Zauberwort in solchen Konkurrenzsituationen heißt nämlich Sachgruppenvergleich. Und Standort- und Beschäftigungssicherungen gehören nicht zur gleichen Sachgruppe wie Entgelte, Arbeitszeiten etc. 

Wie schwierig der Sachgruppenvergleich mitunter sein kann, zeigt auch die ebenfalls aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.08.2018 (Az.: 5 AZR 551/17).
In diesem Fall musste das Bundesarbeitsgericht entscheiden, ob die Dauer der Arbeitszeit einerseits und das Gehalt andererseits zu einer Sachgruppe gehören. Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht grundsätzlich bejaht. 

Aber nicht nur der Sachgruppenvergleich fällt schwer, wenn es um die Frage geht, ob eine arbeitsvertragliche Regelung günstiger ist als ein aufgrund Tarifbindung geltender Tarifvertrag. 
Auch die Feststellung, dass die vertragliche Regelung günstiger ist, ist oft problematisch. 
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss die vertragliche Regelung nämlich immer günstiger sein, damit sie den kraft Tarifgebundenheit geltenden Tarifvertrag verdrängt. Ambivalente Regelungen genügen hier genauso wenig wie neutrale Regelungen (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.12.2014, Az.: 4 AZR 503/12). 


Alles klar? Wenn nicht, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

 
Bettina Steinberg          Dr. Mona Geringhoff          Lydia Voß

  • Erstellt am .