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Wann gibt es Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitarbeit?

Als am 19. Dezember 2018 die Pressemitteilung zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom selben Tag (Az.: 10 AZR 231/18) veröffentlicht wurde, war die Aufregung groß und die Medienwelt titelte: Teilzeitbeschäftigte haben fortan schon dann Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge, wenn ihre individuelle Arbeitszeit überschritten wurde. 

Groß war die Aufregung deshalb, weil insbesondere der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts bis zu dieser Entscheidung der Überzeugung war, dass Teilzeitbeschäftigte einen Mehrarbeitszuschlag nur dann verlangen können, wenn die für ihre Kollegen in Vollzeit maßgebliche Arbeitszeit überschritten wurde. Einen Verstoß gegen das in § 4 Absatz 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes verankerte Diskriminierungsverbot sah der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts nach der von ihm bislang vertretenen "Theorie der Gesamtvergütung" nicht. Nach der bisher geltenden Theorie der Gesamtvergütung werden Voll- und Teilzeitbeschäftigte nämlich gleich behandelt, wenn sie für 21 Arbeitsstunden das gleiche Geld bekommen, obwohl die 21. Stunde für die Teilzeitkraft eine Überstunde ist. 

Nach Veröffentlichung der Pressemitteilung der Entscheidung des 10. Senats vom 19. Dezember 2018 war klar, dass nun auch der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts seine bisherige Rechtsprechung aufgibt und seinen Kollegen aus dem 6. Senat folgt. Die nämlich hatten bereits kurz zuvor entschieden, dass für die Frage der Diskriminierung von Teilzeitkräften nicht die Gesamtvergütung, sondern jeder einzelne Entgeltbestandteil betrachtet werden müsse. Und bei einer Einzelbetrachtung werden Voll- und Teilzeitkräfte nur dann gleich behandelt, wenn Zuschläge für jede zusätzlich geleistete Arbeitsstunde gezahlt werden, die über die individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht. 

Der aufgrund dieses in der Pressemitteilung angekündigten Paradigmenwechsels gemeinhin an die Arbeitgeber ausgeteilte Rat, Teilzeitbeschäftigten Überstundenzuschläge ab sofort bereits ab der ersten Überstunde zu zahlen, war allerdings etwas vorschnell. 

Analysiert man die seit wenigen Tagen vorliegenden kompletten Entscheidungsgründe des Urteils vom 19.12.2018 (Az.: 10 AZR 231/18), stellt man nämlich fest: 

Wenn es sachliche Gründe gibt, kann es nach wie vor gerechtfertigt sein, Mehrarbeitszuschläge erst zu zahlen, wenn die für Vollzeitkräfte maßgebliche Arbeitszeit überschritten wurde.

Ob es einen sachlichen Grund gibt, ist wiederum nach dem Zweck des Mehrarbeitszuschlags zu beurteilen: 

  • Liegt der Zweck des Mehrarbeitszuschlags darin, die besondere körperliche Belastung von Arbeitnehmern durch Mehrarbeit auszugleichen, dürfte es weiterhin legitim sein, Mehrarbeitszuschläge erst bei Überschreitung der Vollzeitarbeitszeit zu zahlen. 
  • Liegt der Zweck von Mehrarbeitszuschlägen demgegenüber darin, die Arbeitnehmer für eingebüßte Freizeit zu belohnen, steht der Mehrarbeitszuschlag auch Teilzeitkräften zu, die ihre individuelle Arbeitszeit überschreiten.


Bleibt die Frage, wie der Zweck zu bestimmen ist.

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts sind insbesondere Tarifparteien grundsätzlich frei darin, den Zweck einer tariflichen Leistung festzulegen. Wird der Zweck nicht ausdrücklich im Tarifvertrag benannt, müssen die Arbeitsgerichte den Tarifvertrag auslegen. Eine Orientierungshilfe für eine solche Auslegung liefert eine schon ältere Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.06.1995 (Az.: 3 AZR 539/93). Dort hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass eine Regelung, nach der Mehrarbeitszuschläge bereits bei Überschreiten der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit fällig werden, nur den Zweck haben kann, besondere körperliche Belastungen auszugleichen. 

FAZIT:
Es ist demnach wohl doch nicht alles so schlimm, wie es nach Veröffentlichung der Pressemitteilung und der Medienberichterstattungen den Anschein hatte. Das ist jedenfalls unsere Meinung, der wohl auch der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts nicht so ohne Weiteres widersprechen kann. In dessen Entscheidung vom 23.03.2017 (Az.: 6 AZR 161/16) hatte er sich zwar schon vor dem 10. Senat von der "Theorie der Gesamtvergütung" verabschiedet, aber gleichzeitig gesagt, dass eine unterschiedliche Behandlung von Voll- und Teilzeitkräften bei Mehrarbeitszuschlägen dann gerechtfertigt sei, wenn die tarifliche Regelung den Zweck habe, besondere Belastungen auszugleichen, die entstünden, wenn Beschäftigte über die von den Tarifvertragsparteien vorgegebene tarifliche Arbeitszeit hinaus tätig würden. 

Mit diesen Erkenntnissen wünschen wir allen Leserinnen und Lesern fröhliche Ostern.

 
Bettina Steinberg          Dr. Mona Geringhoff          Lydia Voß

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