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Neu: Mitgliedstaaten müssen laut EuGH Gesetze schaffen, die Arbeitgeber zu umfassenden Arbeitszeiterfassungen verpflichten!

Heute Morgen hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden: Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen eine gesetzliche Regelung schaffen, die Arbeitgeber verpflichtet, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.

Die Entscheidung des EuGH wurde mit Spannung erwartet, nachdem der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 31.01.2019 eine Einführung von umfassenden Arbeitszeiterfassungssystemen in Unternehmen gefordert hatte. In den weit überwiegenden Fällen folgt der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts; so auch heute.
 
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die spanische Gewerkschaft CCOO hatte vor dem Nationalen Gerichtshof Spanien Klage gegen die Deutsche Bank SAE erhoben und zwar mit dem Antrag, dass die Deutsche Bank SAE verpflichtet sei, ein System zur Erfassung der von ihren Mitarbeiterin geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen. Eine solche Verpflichtung ergebe sich nach Ansicht der spanischen Gewerkschaft sowohl aus spanischem Recht, als auch aus der Charta der Grundrechte der EU und der EU-Arbeitszeitrichtlinie. Die Deutsche Bank SAE machte dagegen geltend, dass nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes Spanien nur eine Verpflichtung von Unternehmen bestehe, eine Liste der geleisteten Überstunden zu führen, nicht aber der gesamten Arbeitszeit. Der Nationale Gerichtshof Spanien hat den EuGH daraufhin im Wege der Vorabentscheidung gefragt, ob die Auslegung der spanischen Rechtsvorschriften durch den Obersten Gerichtshof Spanien mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
 
Der EuGH hat in seinem heutigen Urteil entschieden: Eine nationale Rechtsvorschrift, die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, ist mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie (RL-2003/88/EG) sowie der Arbeitsschutzrahmenrichtlinie (89/391/EWG) unvereinbar.
 
Die Kernaussagen des EuGH sind:

  • Die Charta der Grundrechte der EU garantiert jedem Arbeitnehmer das Recht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten.
  • Die Arbeitszeitrichtlinie präzisiert dieses Grundrecht eines jeden Arbeitnehmers.
  • Die Mitgliedstaaten müssen dafür Sorge tragen, dass den Arbeitnehmern diese Rechte auch tatsächlich zugutekommen.
  • Ohne ein System, mit dem die tägliche Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen wird, kann die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden, ihre zeitliche Verteilung und die Zahl der geleisteten Überstunden nicht objektiv und verlässlich ermittelt werden, mit der Folge, dass Arbeitnehmer ihre Rechte nur äußerst schwierig oder praktisch gar nicht durchsetzen können.
  • Die Mitgliedstaaten müssen Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Die Art und Weise der Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere dessen Form, obliegt den Mitgliedstaaten, die dabei ggf. den Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder den Eigenheiten bestimmter Unternehmen Rechnung zu tragen haben.

 
Welche Auswirkungen hat das Urteil für die deutsche Praxis?

  • Bis der Gesetzgeber eine den Vorgaben des EuGH entsprechende Regelung geschaffen hat, besteht für Unternehmen kein Grund zur Panik oder überstürzten Maßnahmen. Denn nach der aktuellen Rechtslage sind Arbeitgeber nach § 16 Absatz 2 Satz 1 ArbZG lediglich zur Dokumentation derjenigen Arbeitszeit verpflichtet, die den Zeitraum von 8 Stunden an Werktagen überschreitet oder auf Sonn- oder Feiertage fällt. Achtung: Bestimmte Arbeitgeber sind bereits nach geltendem Recht verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aufzuzeichnen; entsprechende Aufzeichnungspflichten finden sich z. B. im Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) und im Mindestlohngesetz (MiLoG).
  • Weil die Einführung von Arbeitszeiterfassungssystemen nicht von heute auf morgen erfolgen kann, sollten Arbeitgeber bereits jetzt erste Schritte in Richtung Einführung eines entsprechenden Arbeitszeiterfassungssystems gehen.
  • Arbeitgeber, die bereits Zeiterfassungssysteme in ihren Unternehmen einsetzen, müssen ihre Systeme ggf. um eine Funktion erweitern, die (jedenfalls auch) die Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne erfasst. Regelmäßig sind Zeiterfassungssysteme nämlich an die Lohnabrechnungssysteme gekoppelt und deshalb auf die Erfassung der Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne gerichtet. Wie Ihnen aus unseren Newsletter bekannt ist, können arbeitszeitrechtliche und vergütungsrechtliche Arbeitszeit aber auseinanderfallen (so insbesondere bei Dienstreisen).

Bitte melden Sie sich, wenn Sie Fragen hierzu haben!

 
Bettina Steinberg          Dr. Mona Geringhoff          Lydia Voß

  • Erstellt am .