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Bundesarbeitsgericht stärkt Rechte des Betriebsrats beim Freizeitausgleich!

Mit seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung vom 15.05.2019 (Az.: 7 AZR 397/17) hat das Bundesarbeitsgericht die Rechte von Betriebsratsmitgliedern beim Freizeitausgleich nach § 37 Absatz 3 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) gestärkt. Seine arbeitgeberfreundlichere Rechtsprechung aus den 1980iger Jahren hat das Bundesarbeitsgericht mit diesem Urteil ausdrücklich aufgegeben.

Nach § 37 Absatz 3 Satz 1 BetrVG hat ein Betriebsratsmitglied Anspruch auf Freizeitausgleich für Betriebsratstätigkeiten, die aus betriebsbedingten (nicht betriebsratsbedingten) Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchgeführt wurden.
 
Bislang hatte das Bundesarbeitsgericht in die Worte „außerhalb der Arbeitszeit“ zwei Voraussetzungen hineingelesen, die zusammen vorliegen mussten, damit das Betriebsratsmitglied Freizeitausgleich verlangen kann:

Erste Voraussetzung: Die Betriebsratstätigkeit wurde zu einer Zeit geleistet, zu der das Betriebsratsmitglied keine Arbeitsleistung erbringen musste.

Zweite Voraussetzung: Bei der außerhalb der persönlichen Arbeitszeit durchgeführten Betriebsratstätigkeit handelte es sich um eine zusätzliche, d.h. zu der beruflichen Tätigkeit des Betriebsratsmitglieds hinzutretende zeitliche Belastung (im Sinne einer Mehrarbeit).

Oder anders formuliert: Solange die Summe von Arbeitsleistung und Betriebsratstätigkeit nicht den Umfang der vertraglich geschuldeten Tätigkeit überschritten hat, bestand nach der alten Rechtsprechung des BAG kein Anspruch auf Freizeitausgleich, selbst wenn die Betriebsratstätigkeit außerhalb der persönlichen Arbeitszeit – und damit in der Freizeit des Betriebsratsmitglieds – stattgefunden hat.
 
Jetzt hält das BAG an dieser zweiten Voraussetzung nicht länger fest. Der Freizeitausgleichsanspruch nach § 37 Absatz 3 Satz 1 BetrVG setzt nicht mehr voraus, dass der Arbeitnehmer infolge seiner Betriebsratstätigkeit insgesamt in einem höheren zeitlichen Umfang in Anspruch genommen wurde, als er vertraglich zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. Das BAG begründet seine Rechtsprechungsänderung mit einem geänderten Verständnis von Sinn und Zweck des Freizeitausgleichsanspruchs: Der Ausgleichsanspruch nach § 37 Absatz 3 Satz 1 BetrVG soll laut BAG verhindern, dass Betriebsratsmitglieder durch einen Verlust persönlicher Freizeit benachteiligt werden, wenn sie ihre Betriebsratstätigkeit aus betriebsbedingten Gründen nicht während ihrer Arbeitszeit ausführen können. Dieser Freizeitverlust tritt nach neuer Auffassung des BAG unabhängig davon ein, ob das Betriebsratsmitglied insgesamt mehr oder weniger Stunden aufgebracht hat, als es als Arbeitnehmer schuldet.
 
Das BAG geht dabei sogar so weit, dass es dem Betriebsratsmitglied in seiner Entscheidung einen Anspruch auf Freizeitausgleich für eine 7-stündige Betriebsratssitzung außerhalb der Arbeitszeit zusprach, obwohl der Arbeitgeber das Betriebsratsmitglied in der Woche zuvor im Hinblick auf die anstehende Betriebsratssitzung unter Fortzahlung der Vergütung für 8 Stunden von der Arbeit freigestellt hatte!
 
Die Begründung ist eine rein dogmatische: Der Anspruch auf Freizeitausgleich entsteht erst mit der außerhalb der Arbeitszeit erbrachten Betriebsratstätigkeit und ist erst dann erfüllbar.
 
Oder anders gesagt: Der Arbeitgeber kann nicht im Voraus einen noch nicht entstandenen Anspruch auf Freizeitausgleich erfüllen.
 
Dieser dogmatische Ansatz ist dem BAG so wichtig, dass es eine Verdopplung der dem Betriebsrat gewährten Freizeit hinnimmt. Die Gefahr der Verdopplung bestand im Übrigen nicht nur im entschiedenen Fall, weil der dortige Arbeitgeber das Betriebsratsmitglied schon vor der außerhalb seiner Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratssitzung in die Freizeit schickte. Die Verdopplung des Freizeitausgleichs betrifft vielmehr alle Arbeitgeber. Denn nach neuerer Rechtsprechung ist jeder Arbeitgeber verpflichtet, Betriebsratsmitglieder schon am Vortag von der Arbeitsleistung freizustellen, wenn durch die am Folgetag stattfindende Betriebsratstätigkeit die Ruhezeit nicht eingehalten werden kann.
 
Dass sein Urteil und seine geänderte Rechtsprechung weit über den entschiedenen Fall hinausgeht, sieht auch das BAG.
 
Das Gegenargument der Freizeitverdopplung lässt das BAG trotzdem nicht gelten. Stattdessen fordert das BAG die Arbeitgeber auf, das Problem durch individualvertragliche Vereinbarungen oder den sinnvollen Einsatz des Direktionsrechts zu lösen.
 
Das BAG macht den Arbeitgebern folgende Vorschläge zur Lösung des Problems:

Erster Vorschlag: Arbeitgeber könnten mit Betriebsratsmitgliedern vereinbaren, dass die vor der Betriebsratstätigkeit gewährte Freistellung auf einen später entstehenden Freizeitausgleichsanspruch nach § 37 Absatz 3 Satz 1 BetrVG anzurechnen ist.

Zweiter Vorschlag: Arbeitgeber könnten den entstandenen Freizeitausgleichsanspruch in einer der nächsten Schichten erfüllen, die vor einer außerhalb der Arbeitszeit zu erbringenden Betriebsratstätigkeit liegt. Soll sagen: Arbeitgeber könnten den Betriebsratsmitgliedern statt der ohnehin einzuhaltenden Ruhezeit auch Freizeitausgleich für vorangegangene Betriebsratstätigkeiten außerhalb der Arbeitszeit gewähren. Denn den Zeitpunkt des Freizeitausgleichs nach § 37 Absatz 3 Satz 1 BetrVG bestimmt ja der Arbeitgeber.

Das BAG übersieht dabei allerdings Folgendes: Ob sich Betriebsratsmitglieder auf die im ersten Vorschlag genannte Anrechnungsvereinbarung einlassen, ist zweifelhaft. Und bei dem zweiten Vorschlag erhält das Betriebsratsmitglied zumindest bei der ersten Freistellung einen doppelten Freizeitausgleich, weil eine Vorauserfüllung ohne Vereinbarung nicht möglich ist.
 
Wenn Sie eine vertragliche Abrede mit dem Betriebsratsmitglied nicht erreichen können, führt an dem zweiten Vorschlag aber leider kein Weg vorbei.

Wenn Sie Fragen hierzu haben, melden Sie sich gerne.
 
 
Bettina Steinberg          Dr. Mona Geringhoff          Lydia Voß

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