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Typische Fehler bei Trennungsvereinbarungen,
die sich rächen können

Ein Fall aus dem betrieblichen und gerichtlichen Lehrbuch:
 
Arbeitgeber und Arbeitnehmer:innen vereinbaren in einem Trennungsvergleich u. a., dass 

  • die/der Beschäftigte bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Anrechnung aller noch bestehender Urlaubsansprüche sowie sonstiger Freizeitguthaben aufgrund von Überstunden o. ä. unwiderruflich und bezahlt von der Arbeit freigestellt wird und
  • die/der Beschäftigte das Arbeitsverhältnis mit einer Ankündigungsfrist von xy Tagen oder Wochen durch schriftliche Erklärung vorher beenden kann, mit der Folge, dass sich die der/dem Beschäftigten zu zahlende Abfindung für jeden vollen Monat der vorzeitigen Beendigung um 50 % des bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zu zahlenden Gehalts erhöht (sog. Turbo- oder Sprinterklausel). 

Da die/der Beschäftigte gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat, feiert der Arbeitgeber es als großen Verhandlungserfolg, dass er der/dem Beschäftigten im Falle der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur 50 % des Monatsgehalts on top auf die Abfindung zahlen muss.
 
Die Prognose des Arbeitgebers tritt auch ein. Die/der Beschäftigte findet vor Ablauf des vereinbarten Beendigungstermins einen neuen Job.
 
Allerdings beendet die/der Beschäftigte das Arbeitsverhältnis zu seinem Altarbeitgeber nicht vorzeitig. Denn dann bekäme sie/er ja nur 50 % des bisherigen Gehalts.
 
Während die/der Beschäftigte also (zusätzlich zum Gehalt im neuen Job) weiterhin die volle Vergütung von seinem Altarbeitgeber haben möchte, schäumt der Altarbeitgeber vor Wut und will nur 50 % der Vergütung zahlen.
 
In rechtlicher Hinsicht stellen sich somit im Wesentlichen zwei Fragen:

Erste Frage: Hat ein:e Beschäftigte, mit der/dem eine sogenannte „Turboklausel" vereinbart wurde, nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, das Arbeitsverhältnis vorzeitig zu beenden, wenn sie/er einen neuen Job hat?
 
Zweite Frage: Wenn die/der Beschäftigte das alte Arbeitsverhältnis neben dem neuen Arbeitsverhältnis laufen lassen kann – muss sie/er sich die vom neuen Arbeitgeber gezahlte Vergütung auf das vom Altarbeitgeber fortzuzahlende Gehalt anrechnen lassen?
 
In seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung vom 13.05.2020 (Az.: 6 Sa 1940/19) hat das Landesarbeitsgericht Hamm beide Fragen mit "Nein" beantwortet und den Rechtsstreit damit zulasten des Arbeitgebers entschieden.
 
Die wesentlichen Feststellungen der Hammer Landesarbeitsrichter möchten wir wie gewohnt für Sie auf den Punkt bringen:

  • Die oben genannte und für viele Trennungsvereinbarungen übliche Turboklausel beinhaltet keine Pflicht der Arbeitnehmer:innen, das bestehende Arbeitsverhältnis vorzeitig zu beenden, bevor sie ein neues Arbeitsverhältnis eingehen.
    Die Turboklausel in ihrer herkömmlichen Form ist also nur eine Option für Arbeitnehmer:innen, die keine entsprechende Rechtspflicht begründet.

    Wenn Unternehmen aus der Option eine Rechtspflicht der/des Beschäftigten machen möchten, müssen sie das also vereinbaren und ihre Turboklausel anders gestalten.

  • Eine unwiderrufliche Freistellung unter Anrechnung von Urlaub und Freizeitguthaben führt ebenfalls nicht automatisch dazu, dass anderweitige Einkünfte angerechnet werden müssen.

    Denn die in § 615 des Bürgerlichen Gesetzbuches geregelte Anrechnungspflicht funktioniert bei Freistellungen nicht. Die Anrechnungspflicht nach § 615 des Bürgerlichen Gesetzbuches setzt nämlich voraus, dass sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug befindet. Und einen Annahmeverzug kann es aufgrund der vereinbarten Freistellung nicht geben.

    Nach Meinung der Hammer Richter steht der Anrechnung anderweitigen Einkommens außerdem entgegen, dass in der oben zitierten weit verbreiteten Regelung eine zeitliche Festlegung der Inanspruchnahme von Urlaub und von Freizeitausgleich fehlt. Begründung der Hammer Richter: Da eine Anrechnung anderweitigen Einkommens für die Zeit, in denen Beschäftigte Urlaub oder Freizeitausgleich machen, nach ständiger Rechtsprechung nicht in Betracht kommt, muss von Anfang an Klarheit über die Anrechnungszeiträume bestehen. Zwar teilen wir diesen Standpunkt nicht. Das ändert aber nichts daran, dass eine Anrechnung hier richtigerweise schon an der Freistellung scheiterte.

    Auch hier hätte das Unternehmen die Anrechnung anderweitigen Einkommens daher ausdrücklich vereinbaren müssen. Wenn es nach dem Landesarbeitsgericht Hamm geht, hätte es außerdem den Zeitpunkt für die Inanspruchnahme von Urlaub und Freizeitausgleich innerhalb der Freistellungsphase zeitlich konkret festlegen müssen.


Daraus folgt:
 
Trennungsvergleiche sollten gut ausgearbeitet werden. Die Verwendung von gern bzw. oft gebrauchten Textbausteinen ist nicht immer der richtige Weg. Auch sollte man sich bei der Formulierung von Trennungsvergleichen nicht nur auf das Gericht verlassen.
 
Bei Freistellungen tut man jedenfalls gut daran, ausdrücklich eine Anrechnung anderweitigen Verdienstes entsprechend § 615 des Bürgerlichen Gesetzbuches zu vereinbaren. Auch die Inanspruchnahme von Urlaub und Freizeitausgleich sollte zeitlich fixiert werden. Nach dem Landesarbeitsgericht Hamm, weil sonst die Anrechnung ein Problem ist. Nach unserer Auffassung, weil Arbeitgeber, die den Arbeitnehmer:innen die zeitliche Festlegung von Urlaub und Freizeitausgleich überlassen (und das tut man mit der oben genannten Formulierung) sonst Gefahr laufen, dass Arbeitnehmer:innen Urlaub und Freizeitausgleich ans Ende des Beschäftigungsverhältnis legen und sich vorher krank melden, um noch einen wirtschaftlichen Ausgleich zu erzielen.

Sinnvoll ist es schließlich außerdem, wenn sonstige Nebenpflichten, wie z. B. das bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehende Konkurrenzverbot, arbeitsvertragliche Regelungen über Nebentätigkeiten etc. auch während der Freistellung aufrechterhalten werden.

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