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Atteste aufgrund von Fernbehandlungen?

Wir alle erleben im Moment ein Hoch der digitalen Kommunikation. Diese Entwicklungen machen auch vor medizinischen Behandlungen nicht Halt. Während die Corona-Regelungen zur telefonischen AU bei Erkältungssymptomen durch (nicht nur) unsere Corona-Updates den meisten von Ihnen bekannt sein dürften, möchten wir heute über ausgewählte Aspekte der sogenannten „Fernbehandlung“ berichten.
 
Was ist eine „Fernbehandlung“?
Unter diesen Begriff fallen Beratungen und Behandlungen, die ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Patient:innen über Kommunikationsmedien wie Telefon, Videotelefonie, E-Mails, SMS, WhatsApp oder andere Medien stattfinden.
 
Dürfen Ärzt:innen überhaupt per Fernbehandlung beraten, diagnostizieren und behandeln?
Ja. Was Ärzt:innen berufsrechtlich dürfen, ist insbesondere in den Berufsordnungen der einzelnen Landesärztekammern geregelt. Die meisten dieser Berufsordnungen haben eine Regelung der Muster-Berufsordnung für Ärzt:innen (MBO-Ä) übernommen, in der Fernbehandlungen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sind.
Ob und wie diese Behandlungen gegenüber Krankenkasse und/oder Patient:in abgerechnet werden dürfen, ist allerdings davon unabhängig zu bewerten; diese Dinge regelt das Vertragsarztrecht, das hier außen vor bleiben soll.
 
Die Anforderungen an eine (zulässige) Fernbehandlung sind vielschichtig und reichen von Fragen der sicheren Identifikation der Patient:innen über datenschutzrechtliche Aspekte bis hin zur ordnungsgemäßen Dokumentation. Besonders wichtig ist natürlich, dass es im Einzelfall ärztlich vertretbar sein muss, den Patient:innen ausschließlich aus der Ferne zu beraten und zu behandeln, und dass dabei die erforderliche ärztliche Sorgfalt einzuhalten ist. Die MBO-Ä sieht im Übrigen nach wie vor die Beratung und Behandlung im persönlichen Kontakt als „Goldstandard“ an; die Fernbehandlung soll in der Regel nur unterstützende Funktion haben.
 
Darf als Ergebnis einer Fernbehandlung eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ausgestellt werden?
Das ist für Arbeitgeber die entscheidende Frage. Denn sobald eine Arbeitsunfähigkeit "aus der Ferne" festgestellt wird, können berechtigte Zweifel daran bestehen, ob diese auch ohne persönlichen Kontakt zwischen Ärzt:innen und Patient:innen zuverlässig genug ermittelt worden ist.
 
Berufsrechtlich dürfen Ärzt:innen nach einer Fernbehandlung, die den Vorgaben der Berufsordnung entspricht, eine AU ausstellen.
Aber: Arbeitgeber müssen diese AU nur unter bestimmten Voraussetzungen akzeptieren.

Eine AU hat nämlich weitreichende Folgen, insbesondere Ansprüche nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz und Krankgengeld gem. §§ 44 ff. SGB V. Daher hat die AU nach der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung einen hohen Beweiswert. Und genau deshalb hat der gemeinsame Bundesausschuss trotz der technischen und berufsrechtlichen Möglichkeiten für Fernbehandlungen nach wie vor hohe Hürden für AUs aufgestellt.
 
In § 4 Abs. 5 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie, die Sie hier finden, heißt es:
 
„Abweichend von Absatz 1 kann Arbeitsunfähigkeit auch mittelbar persönlich im Rahmen von Videosprechstunden festgestellt werden. Dies ist jedoch nur zulässig, wenn die oder der Versicherte der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt oder einer anderen Vertragsärztin oder einem anderen Vertragsarzt derselben Berufsausübungsgemeinschaft aufgrund früherer Behandlung unmittelbar persönlich bekannt ist und die Erkrankung dies nicht ausschließt. Eine erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist nur für einen Zeitraum von bis zu 7 Kalendertagen möglich. Die Feststellung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit ist nur zulässig, wenn bei der oder dem Versicherten bereits zuvor aufgrund unmittelbar persönlicher Untersuchung durch die Vertragsärztin oder den Vertragsarzt Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit festgestellt worden ist. Sofern der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt eine hinreichend sichere Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Videosprechstunde nicht möglich ist, ist von einer Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Videosprechstunde abzusehen und auf die Erforderlichkeit einer unmittelbar persönlichen Untersuchung durch eine Vertragsärztin oder einen Vertragsarzt zu verweisen. Die oder der Versicherte ist im Vorfeld der Videosprechstunde über die eingeschränkten Möglichkeiten der Befunderhebung zum Zweck der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Videosprechstunde aufzuklären. Ein Anspruch auf die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Videosprechstunde besteht nicht.“
 
Vor allem drei Dinge sind also wichtig:

1. Ärzt:in (bzw. Berufsausübungsgemeinschaft) und Patient:in müssen sich persönlich kennen; wie lange der letzte Kontakt zurücklegt, ist allerdings irrelevant. Aber: Damit können jedenfalls AUs von Ärzt:innen, die weit vom Wohnort der/des Arbeitnehmer:in entfernt ihren Sitz haben, regelmäßig zurückgewiesen werden.
2. Eine Erstbescheinigung darf nicht mehr als sieben Kalendertage bescheinigen.
3. Eine Folgebescheinigung durch Videosprechstunde darf nur ausgestellt werden, wenn die Erstbescheinigung nach unmittelbarer persönlicher Untersuchung ausgestellt wurde.
 
Diese Einschränkungen halten wir für richtig und gut. Ob sie auf Dauer Bestand haben werden, bleibt abzuwarten.
 
Eine ganz andere Frage ist natürlich, ob Sie der AU im Einzelfall überhaupt entnehmen können, wie sie zustande gekommen ist. Nicht immer ist die „telemedizinische Behandlung und Beratung“ nämlich aus der AU erkennbar. Sobald Sie allerdings einen Hinweis darauf entdecken, sind Sie jetzt gewappnet.

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