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Erste Urteile: Entschädigungsansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz oder Entgeltfortzahlung?

Mit der Zeit häufen sich die Entscheidungen der (Arbeits-)Gerichte zu coronabedingten Rechtsfragen. Heute möchten wir Ihnen zwei Urteile vorstellen, die sich mit der für die betriebliche Praxis wichtigen Frage befassen:

Wer muss für die Quarantäne zahlen? Der Arbeitgeber, der § 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht arbeitsvertraglich ausgeschlossen hat, oder das jeweilige Land nach § 56 Absatz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG)?
Oder anders gefragt: Ist eine 14-tägige Quarantäne überhaupt ein Fall von § 616 BGB?


Können Beschäftigte wegen einer behördlich angeordneten Quarantäne nicht zur Arbeit kommen, stellt sich unweigerlich die Frage, wer für die Lohnkosten aufkommen muss. Der Gesetzgeber hat hierfür bekanntlich einen Entschädigungsanspruch in § 56 Absatz 1 IfSG vorgesehen, wonach Arbeitgeber das gezahlte Entgelt vom Bundesland zurückerstattet bekommen.
Eigentlich.
Ob dieser Erstattungsanspruch aber auch besteht, wenn oder solange der Arbeitgeber gemäß § 616 BGB zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, war und ist umstritten. Die Quarantäneanordnung ist zwar ein subjektives Leistungshindernis im Sinne von § 616 BGB. Ob sie aber auch eine „Verhinderung von verhältnismäßig nicht erheblicher Zeit“ darstellt, wird mittlerweile auch von den hierfür zuständigen Verwaltungsgerichten heiß diskutiert.

Das Verwaltungsgericht Koblenz hatte sich gleich in zwei Verfahren mit dieser Frage zu beschäftigen (Urteil vom 10.05.2021 – 3 K 107/21.KO; 3 K 108/21.KO). Das beklagte Land Rheinland-Pfalz hatte eine Erstattung der Lohnkosten für die ersten 5 Tage der 14-tägigen Quarantäne einer Arbeitnehmerin verweigert, weil der Arbeitgeber in dieser Zeit zur Lohnfortzahlung nach § 616 BGB verpflichtet sei. Der Arbeitgeber hielt dagegen: Eine 14-tägige Quarantäne könne nach dem "Alles-oder-Nichts-Prinzip" nicht in zwei Zeitabschnitte aufgeteilt werden - einen nicht erheblichen Zeitraum von 5 Tagen, für den der Arbeitgeber zahlen müsse, und einen darüber hinausgehenden Zeitraum, für den es eine Erstattung nach dem Infektionsschutzgesetz gibt.

Diese Argumentation ging leider nach hinten los. Das Verwaltungsgericht Koblenz wies diese Begründung des Arbeitgebers nämlich nicht nur zurück. Vielmehr waren nach Ansicht der Koblenzer Richter:innen auch die 14 Tage noch eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“. In der Urteilsbegründung sprach das Gericht dem Arbeitgeber also auch den eigentlich für die restlichen 9 Tage vom Land zugestandenen Entschädigungsanspruch ab. Begründung: Die Dauer der Arbeitsverhinderung, die auf max. 14 Tage festgelegt und somit für den Arbeitgeber kalkulierbar sei, müsse mit der Dauer des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses ins Verhältnis gesetzt werden. Jedenfalls dann, wenn das Arbeitsverhältnis bereits deutlich länger als ein Jahr (so war es im konkreten Fall) bestehe, sei eine Arbeitsverhinderung von 14 Tagen noch ein erträglicher Zeitraum, für den der Arbeitgeber nach § 616 BGB zahlen müsse.

Nach dieser Entscheidung aus Koblenz können sich Arbeitgeber, die einen Anspruch aus § 616 BGB in ihren Arbeitsverträgen nicht ausgeschlossen haben, Entschädigungsansprüche aus § 56 Absatz 1 IfSG also „abschminken“.

Zu einem anderen Ergebnis kam das Verwaltungsgericht Bayreuth in seiner Entscheidung vom 05.05.2021 (Az.: B 7 K 21.210). Dort ging es ebenfalls um die Kürzung der Bezugsdauer des Entschädigungsanspruchs aus § 56 Absatz 1 IfSG wegen § 616 BGB. Im konkreten Fall hatte die zuständige Behörde in Oberfranken 4 Tage abgezogen. Die Bayreuther Richter:innen waren der Ansicht, dass eine solche Aufteilung der Gesamtzeit der Quarantäne in einen "nicht erheblichen" und einen "erheblichen" Zeitraum nicht zulässig sei. Anders als das Verwaltungsgericht Koblenz sprachen sie in der Folge dem Arbeitgeber den Entschädigungsanspruch aus § 56 Absatz 1 IfSG aber nicht ab, sondern gaben diesem für die vollen 14 Tage statt. Zur Begründung führte das Gericht an, dass §  616 BGB eine Ausnahme von der Regel "Ohne Arbeit kein Lohn" darstelle und deswegen eng auszulegen sei. Unter einer "verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit" seien daher nur wenige Tage zu verstehen.

Wenigstens eines scheint also klar zu sein: Entweder die Lohnfortzahlungspflicht aus § 616 BGB verdrängt den Entschädigungsanspruch aus § 56 Absatz 1 IfSG vollständig oder gar nicht. Eine Kürzung der Bezugsdauer von § 56 Absatz 1 IfSG unter Berufung auf § 616 BGB scheidet aus. Ob die 14-tägige Quarantäne aber eine "verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit" darstellt, wird von den Verwaltungsgerichten unterschiedlich beurteilt. Eine höchstrichterliche Klärung dieser Frage bleibt abzuwarten.

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