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Fair Trial bei Aufhebungsverträgen - das neue Grundsatzurteil des BAG ist da!

Mit Urteil vom 07.02.2019 (Az.: 6 AZR 75/18), über das wir in unserem Newsletter vom 16.05.2019 berichtet hatten, hat das Bundesarbeitsgericht für Aufhebungsverträge einen neuen Kontrollmaßstab namens Fairness eingeführt.
 
Seither gilt für das Zustandekommen von Aufhebungsverträgen also das Gebot des fairen Verhandelns. Wird dieses Gebot verletzt, ist auch der Aufhebungsvertrag unwirksam (für die Dogmatiker: Das ergibt sich aus der Paragrafen-Kette § 280 Absatz 1, 311 Absatz 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Absatz 2, § 249 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches).

Seither gab es aber immer wieder (auch durch Gerichtsurteile verursachte) Unsicherheiten darüber, wie hoch die Latte für Arbeitgeber beim Fairnessgrundsatz nun hängt.
 
Durch sein gerade im Volltext veröffentlichtes Urteil vom 24.02.2022 (Az.: 6 AZR 333/21) hat das Bundesarbeitsgericht für den in der betrieblichen Praxis wohl wichtigsten Fall Rechtssicherheit geschaffen.
 
Der vielen Unternehmen bekannte Fall ging so:
Es bestand gegenüber einer Arbeitnehmerin der Vorwurf schwerwiegender Pflichtverletzungen, die eine fristlose Kündigung hätten rechtfertigen können.
Zur Minimierung des Prozessrisikos (auch bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen ist man vor Gericht ja manchmal in Gottes Hand) bot der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin in einem Personalgespräch statt einer fristlosen Kündigung plus der Erstattung einer Strafanzeige eine einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu einem glatten Beendigungstermin an.
Laut der Arbeitnehmerin soll der Anwalt des Arbeitgebers, der an dem Personalgespräch teilnahm, bei Übergabe der Aufhebungsvereinbarung gesagt haben:
 
Wenn die Arbeitnehmerin durch die Tür gehe, die Aufhebungsvereinbarung nicht hier und jetzt unterschreibe, sei das Aufhebungsvertragsangebot vom Tisch.
 
Das Bundesarbeitsgericht musste nun entscheiden, ob ein nur hier und jetzt annehmbares Aufhebungsvertragsangebot den Fairnessgrundsatz verletzt.
 
Das Bundesarbeitsgericht hat diese Frage mit nein beantwortet und das folgendermaßen begründet:

  • Ein nur sofort annehmbares Aufhebungsvertragsangebot ist nicht unfair, sondern durchaus legal. Das schlussfolgert das Bundesarbeitsgericht aus § 147 Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches, wonach ein Vertragsangebot unter Anwesenden grundsätzlich nur sofort angenommen werden kann. 
  • Eine Bedenkzeit (ggfs. mit der Einholung von Rechtsrat) oder ein Rücktritts- bzw. Widerrufsrecht muss der Arbeitgeber der/dem Beschäftigten ebenso wenig einräumen.
  • Entscheidend ist vielmehr, dass die/der Beschäftigte die Möglichkeit gehabt hätte, die Aufhebungsvereinbarung nicht zu unterschreiben und den angekündigten Maßnahmen ihren Lauf zu lassen.
    Und genau das ist laut Bundesarbeitsgericht auch der entscheidende Anknüpfungspunkt. Ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns liegt mit anderen Worten nur dann vor, wenn ein Arbeitnehmer bei objektiver Betrachtung davon ausgehen muss, dass er nur eine Option hat, nämlich die der Unterschrift unter den Aufhebungsvertrag, um sich der Verhandlungssituation zu entziehen.

Die Hürden für eine Verletzung des Gebot fairen Verhandelns liegen also hoch.
Ein nur hier und jetzt annehmbares Aufhebungsvertragsangebot, und das ist die für die betriebliche Praxis wichtige Botschaft, erfüllt diese Voraussetzungen jedenfalls noch nicht.
 
Arbeitgeber sollten sich durch dieses Urteil allerdings nicht zu früh freuen.
Die Verletzung des Fairnessgrundsatzes ist nämlich nur ein Risiko.
Das andere und nicht zu unterschätzende Risiko ist die Anfechtbarkeit von Aufhebungsverträgen in solchen Konstellationen.
Droht der Arbeitgeber der / dem Beschäftigten für den Fall der Nichtunterzeichnung der Aufhebungsvereinbarung nämlich mit einer (außerordentlichen) Kündigung, ist die unterzeichnete Aufhebungsvereinbarung anfechtbar, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte.
Was das bedeutet, erläutert das Bundesarbeitsgericht ebenfalls, und zwar so:

  • Es ist nicht erforderlich, dass sich die angedrohte Kündigung, wenn sie erklärt worden wäre, in einem Kündigungsschutzverfahren als rechtswirksam erwiesen hätte. 
  • Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde eine arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, hat er ein Anfechtungsproblem.

Die gleichen Grundsätze gelten im Übrigen für die Drohung mit einer Strafanzeige.

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