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Wann kann ein neu gewählter Betriebsrat einen Sozialplan verlangen?

Betriebsratslose Unternehmen, die z. B. einen größeren Personalabbau beabsichtigen, stehen häufig vor dem Problem, dass ihr Vorhaben durchsickert und noch schnell ein Betriebsrat gewählt wird.
Denn wenn der Personalabbau die Voraussetzungen einer Betriebsänderung im Sinne von §§ 111 bis 112a des Betriebsverfassungsgesetzes erfüllt, könnte ein schon amtierender Betriebsrat ja einen Interessenausgleich und einen Sozialplan verlangen.
 
Bei einem neu gegründeten Betriebsrat ist die Rechtslage schwieriger:
Ein Interessenausgleich kommt in diesen Fällen in der Regel nicht in Betracht. Allgemeiner Auffassung zufolge ist für einen Interessenausgleich nämlich dann kein Raum mehr, wenn die unternehmerische Entscheidung, Personal abzubauen, bereits vor der Wahl des Betriebsrats endgültig gefällt wurde. Und eine endgültige Entscheidung wird meistens von der Unternehmensspitze gefällt, bevor etwas an die Belegschaft durchsickert und diese sich zur Wahl eines Betriebsrats aufmachen kann.

Aber was ist mit einem Sozialplan?
Hier fällt die Antwort nicht ganz so leicht, ist es bei schon amtierenden Betriebsräten doch so, dass diese sogar noch nach der Durchführung eines Personalabbaus (oder einer anderen Betriebsänderung im Sinne von § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes) einen Sozialplan verlangen können.
 
In letzter Zeit werden daher Stimmen laut, die sagen, dass dies bei einem neu gewählten Betriebsrat nicht anders sein könne. Auch ein neu gewählter Betriebsrat könne also einen Sozialplan dann noch verlangen, wenn das Unternehmen mit der Durchführung des Personalabbaus (oder einer anderen und mit Nachteilen für die Belegschaft verbundenen Betriebsänderung) bereits begonnen habe.
 
Diesem Trend ist das Bundesarbeitsgericht in seinem gerade veröffentlichten Beschluss vom 08.02.2022 (Az.: 1 ABR 2/21) nicht gefolgt.
 
Vielmehr bleibt das Bundesarbeitsgericht bei seiner bisherigen Rechtsprechung und der herrschenden Meinung und sagt:
 
Ein Betriebsrat, der erst nach Beginn der Durchführung der Betriebsänderung gewählt wird, kann keinen Sozialplan verlangen.
 
Das Bundesarbeitsgericht begründet das u. a. damit, dass der Arbeitgeber die Kosten der Maßnahme kalkulieren können müsse. Wörtlich sagt das Bundesarbeitsgericht:
 
„Diese gesetzlich vorgesehene Funktion des Sozialplans als Instrument auch zur mittelbaren Einflussnahme auf den unternehmerischen Prozess der Willensbildung und Entscheidung über die Betriebsänderung beruht allerdings auf der Prämisse, dass schon dann ein Betriebsrat besteht, wenn die Maßnahme noch nicht vom Arbeitgeber umgesetzt worden ist. Nur dann kann und muss der Arbeitgeber etwaige finanzielle Belastungen durch einen Sozialplan in seine Entscheidung einbeziehen […]. Der Umstand, dass ein Sozialplan auch noch nach erfolgter Betriebsänderung abgeschlossen werden und der Arbeitgeber entsprechende Kosten – vorsorglich – einkalkulieren könnte, ändert an dieser gesetzlichen Konzeption nichts […]“
 
Kann sich an diesem Grundsatz dann etwas ändern, wenn die Wahl des Betriebsrats vor dem Beginn der Umsetzung des Personalabbaus schon läuft, sodass das Ende der Wahl und die konstituierende Sitzung des frisch gewählten BR absehbar ist?
 
Nein sagt das Bundesarbeitsgericht auch hier und begründet das so:
 
„Eine generelle Verpflichtung des Arbeitgebers, mit einer an sich beteiligungspflichtigen Maßnahme so lange zu warten, bis im Betrieb ein funktionsfähiger Betriebsrat vorhanden ist, enthält das Betriebsverfassungsgesetz nicht. Das gilt selbst dann, wenn mit der Wahl eines Betriebsrats zu rechnen und die Zeit bis zu dessen Konstituierung absehbar ist […] Eine solche Verpflichtung folgt auch nicht aus § 2 Abs. 1 BetrVG. […]“
 
Das Bundesarbeitsgericht lässt allerdings offen, ob eine andere Betrachtung geboten ist, wenn der Arbeitgeber die rechtzeitige Wahl des Betriebsrats vereitelt hat.
 
Bleiben folgende Fragen:
Muss das Unternehmen wirklich schon mit der Betriebsänderung begonnen haben, bevor erstmals ein Betriebsrat gewählt wurde? Oder reicht ggfs. bereits die endgültige Entscheidung über einen Personalabbau oder eine andere Betriebsänderung im Sinne von § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes?
 
Der in diesen Fragen zuständige erste Senat des Bundesarbeitsgerichts spricht sich für die 1. Alternative aus.
Die Durchführung bzw. Umsetzung der Betriebsänderung muss vor der konstituierenden Sitzung des erstmals gewählten BR also zumindest begonnen worden sein.
 
Und was heißt das genau?
Antwort: Das Unternehmen muss mit der Durchführung von unumkehrbaren Maßnahmen begonnen haben.
Beim Personalabbau bedeutet das den Ausspruch von Kündigungen.
 
Fazit und Praxistipp:
Betriebsratslose Unternehmen sollten sich mit der Entscheidung und auch Umsetzung von Personalabbaumaßnahmen oder anderen Betriebsänderungen sputen. Sie sollten außerdem darauf achten, dass nichts durchsickert, bevor sie mit ihren Überlegungen soweit sind.

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