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Digitale AU schon ab dem ersten Tag? Wie geht das?

Seitdem es die digitale AU gibt, werden wir immer wieder gefragt, ob die digitale AU auch schon ab dem ersten Tag verlangt werden kann und wie Arbeitgeber ein solches Verlangen umsetzen sollen.
 
Kann (auch) die digitale AU schon ab dem ersten Arbeitstag verlangt werden?
 
Ja, sie kann. § 5 Absatz 1 Satz 3 des Entgeltfortzahlungsgesetzes („Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen AU früher zu verlangen.“) gilt auch für die digitale AU. Das ergibt sich aus § 5 Absatz 1a Satz 2 des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Der einzige Unterschied bei der digitalen AU ist der, dass an die Stelle der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Nachweispflicht) die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (Feststellungspflicht) tritt.

Wie setzt man das Verlangen der digitalen AU ab dem ersten Arbeitstag um?
 
Bei der Umsetzung müssen Arbeitgeber vor allem daran denken, dass es nach wie vor Fälle gibt, in denen Beschäftigte die AU in Papierform vorlegen müssen. Das betrifft privat versicherte Beschäftigte, aber auch Beschäftigte, die keinen Vertragsarzt aufsuchen sowie die Fälle, in denen die digitale Übermittlung schlicht noch nicht funktioniert (so soll es nach wie vor viele Vertragsarztpraxen geben, die mit der digitalen Übermittlung weiterhin Probleme haben).
 
Arbeitgeber sollten also doppelgleisig fahren und das könnten sie durch folgende Formulierung tun:
 
„Wir fordern Sie auf, das Bestehen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer zukünftig bereits am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen zu lassen.
Sofern keine digitale Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch die Arztpraxis erfolgt (insbesondere, weil Sie keinen Vertragsarzt aufsuchen oder privat krankenversichert sind oder die digitale Übermittlung bei der Arztpraxis nicht funktioniert) sind Sie darüber hinaus verpflichtet, uns eine Ausfertigung der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am darauffolgenden Werktag (Werktage sind die Tage Montag bis Freitag) vorzulegen.“

 
Brauchen Arbeitgeber einen besonderen Grund für ein solches Verlangen?
 
Es war lange streitig, ob Arbeitgeber die frühere Vorlage der AU bzw. die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit immer oder nur mit besonderem Grund anordnen können.
 
Wie das Bundesarbeitsgericht schon 2012 entschieden hat, ist es legitim, die AU bzw. die ärztliche Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit immer und auch ohne besonderen Grund früher zu verlangen, vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.11.2012, Az.: 5 AZR 886/11.
 
Eine andere Frage ist die, ob es sinnvoll ist, diese Möglichkeit immer zu nutzen. Wir meinen nein, da Beschäftigte häufig schon beim ersten Arztbesuch für eine ganze Woche krankgeschrieben werden.
Verlangen Arbeitgeber die AU bzw. die ärztliche Feststellung der AU immer ab dem ersten Tag, laufen sie daher Gefahr, dass auch Beschäftigte, die sonst nach zwei oder drei Tagen wieder zur Arbeit erschienen wären, eine ganze Woche lang krankheitsbedingt ausfallen.
 
Und was gilt für Arbeitgeber mit Betriebsrat?
 
Für Arbeitgeber mit einem Betriebsrat gilt: Wenn Arbeitgeber die AU bzw. die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit generell zu einem früheren Zeitpunkt verlangen möchten, hat der Betriebsrat nach § 87 Absatz 1 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (sogenanntes „Ordnungsverhalten“) ein Mitbestimmungsrecht. Ohne Zustimmung des Betriebsrats ist die generelle Einführung der Nachweis- bzw. Feststellungspflicht ab dem ersten Tag also nicht umsetzbar.
 
Entscheidend in Unternehmen mit Betriebsrat ist also, ob ein solches Verlangen Einzelfallentscheidungen betrifft oder aber einen generellen Bezug hat.
 
Aber Achtung: Die Anzahl der betroffenen Beschäftigten entscheidet nicht unbedingt darüber, ob die Anordnung der früheren Vorlage bzw. Feststellung der AU Einzelfälle betrifft oder einen kollektiven Bezug hat.
So hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 03.12.2021 (Az.: 12 TaBV 74/21) ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in einem Fall verneint, in dem der Arbeitgeber die Vorlage der AU ab dem ersten Tag bei 17 Beschäftigten angeordnet hatte. Allerdings war insoweit auch entscheidend, dass die 17 Beschäftigten nur 1,5 % aller Beschäftigten ausmachten (im Unternehmen waren nämlich insgesamt 1.175 Personen tätig).
Letztlich ist also auch die Frage, ob es sich um einzelfallbezogene oder kollektive Maßnahmen handelt, immer eine Entscheidung, die im Lichte aller Umstände getroffen werden muss.

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