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Lohngleichheit für das andere Geschlecht - eine erste praktische Einordnung nach dem Meilenstein-Urteil des BAG

Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.02.2023, über die wir in unserem Newsletter vom selben Tag berichtet hatten, finden in den Medien hitzige Debatten statt. Die Frauen als vielfach immer noch benachteiligtes Geschlecht jubeln und die Arbeitgeber beklagen das Ende der Vertragsfreiheit.
 
Grund genug für uns, eine sachliche Einordnung dieses Urteils zu versuchen (die Entscheidung des BAG liegt noch nicht im Volltext vor).

Wichtig ist zunächst, dass der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts eine zweistufige Prüfung zugrunde liegt:
Auf der ersten Stufe wird geprüft, ob es überhaupt ein Indiz für eine Ungleichbehandlung von Personen unterschiedlichen Geschlechts gibt. Sollte das der Fall sein, prüft das Gericht auf der zweiten Stufe, ob dieses Indiz widerlegt werden kann.

Ausgangspunkt der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts war auf der ersten Stufe ein objektiv bestehender Gehaltsunterschied zwischen einem Mann und einer Frau.
Da es sich in dem entschiedenen Fall um eine 1 : 1-Situation handelte (in der Vergleichsgruppe waren nur ein Mann und eine Frau) war das Indiz für eine geschlechtsbezogene Diskriminierung der Frau schnell ausgemacht.
Die betriebliche Realität in vielen Unternehmen ist allerdings die, dass es etliche weibliche und männliche Beschäftigte mit vergleichbaren Tätigkeiten gibt. In den meisten Fällen wird eine Ungleichbehandlung der Geschlechter (so es sie denn gibt) also nicht so offen zu erkennen sein. Wenn der Gehaltsdurchschnitt in einer größeren Vergleichsgruppe aber pari/pari gewesen wäre, wäre das Urteil sicherlich anders ausgefallen.
 
Unternehmen sollten daher zunächst überprüfen, ob es für vergleichbare Tätigkeiten überhaupt durchschnittliche Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Am besten führt man die Berechnung direkt nach den Vorgaben in § 11 Absatz 3 Entgelttransparenzgesetz (sogenanntes Median-Entgelt) durch. Erst, wenn diese Berechnung einen Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern ergibt, kommt § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ins Spiel. Erst dann wird also zu Lasten des Arbeitgebers vermutet, dass die Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt.
 
Diese Vermutung muss dann vom Arbeitgeber entkräftet werden.
 
Wie das aussehen müsste, hatte das Bundesarbeitsgericht bereits in seinem Grundsatzurteil vom 21.01.2021 (Az.: 8 AZR 488/19), über das wir in unserem Newsletter vom 21.09.2021 berichtet hatten, entschieden und gesagt:
 
„Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.“
 
Arbeitgeber müssen also mit objektiven Fakten für die Entgeltunterschiede aufwarten können, die nichts mit dem Geschlecht zu tun haben und obendrein legitime Ziele verfolgen.
 
Als Beispiel nannte das Bundesarbeitsgericht schon in seiner damaligen Entscheidung vom 21.01.2021 z. B. das Dienstalter (nicht das Lebensalter!), sofern eine solche Dienstaltersentgeltpolitik durchgängig im Unternehmen gelebt wird.
 
Für Aufschrei bei den Unternehmern hat das aktuelle Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 22.02.2023 deshalb gesorgt, weil die Tatsache, dass der Mann ein höheres Gehalt haben wollte, also besser verhandelt hatte, nicht ausreicht. Das war dem Bundesarbeitsgericht offenbar „zu dünn“ (Näheres werden wir wissen, wenn das Urteil im Volltext vorliegt).
 
Das heißt (nach derzeitigem Kenntnisstand) aber nicht, dass das Bundesarbeitsgericht genauso entschieden hätte, wenn es objektiv nachvollziehbare Gründe dafür gegeben hätte, dass der Mann mehr Gehalt haben wollte, z. B. weil er eine längere Berufserfahrung hatte, besser qualifiziert war, in seinem bisherigen Arbeitsverhältnis nachweislich auch ein solches Gehalt hatte o. ä.
 
Infolgedessen darf man sich fragen, ob die Aufregung über das Urteil berechtigt ist, oder ob Unternehmen von diesem Urteil nicht auch profitieren können, indem sie der Forderung nach mehr Gehalt des anderen Geschlechts (das im Übrigen auch Frauen sein könnten) nur nachgeben, wenn es dafür auch objektiv nachvollziehbare Gründe gibt.
 
Eine letzte Anmerkung zum Schluss: In dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall wusste die Klägerin, was ihr männlicher Kollege verdient. Sie war (anders als in dem vom BAG am 21.01.2021 [Az.: 8 AZR 488/19] entschiedenen Fall) also nicht auf eine Auskunft des Arbeitgebers angewiesen.
Auskunftspflichtig sind Arbeitgeber nach § 11 des Entgelttransparenzgesetzes allerdings nur in Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten beim selben Arbeitgeber.
Betriebe, die diese Schwelle nicht erreichen, müssen trotzdem aufpassen. Denn wie der jetzt vom Bundesarbeitsgericht entschiedene Fall zeigt, sind Gehälter oft keine Geheimsache mehr. Damit schließt sich die Frage an, ob Unternehmen sie z. B. arbeitsvertraglich zur Geheimsache machen können. Die herrschende Meinung beantwortet diese Frage mit „Nein“. Es kann Beschäftigten nach herrschender Meinung also nicht verboten werden, über ihr eigenes Gehalt zu sprechen.

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