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Wenn sich Kinderbetreuungsmöglichkeiten zerschlagen – ist das für den Arbeitgeber ein Kündigungsgrund?

Beschäftigte, deren Elternzeit ausläuft, haben in der Regel einen Plan, wie sie die Betreuung des Kindes organisieren.
Aber was ist, wenn sich der Plan zerschlägt und der betroffene Elternteil deshalb nicht zur Arbeit kommen kann?

Ist das eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung, wenn der Arbeitgeber das Nichterscheinen vorher abgemahnt hat (und das sollten Arbeitgeber auch bei einer Arbeitsverweigerung immer tun)?

Auf diese für die betriebliche Praxis wichtige Frage hat das Thüringer Landesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 19.07.2022 (Az.: 1 Sa 191/21) folgende Antwort gegeben:

Ein Kündigungsgrund ist in solchen Fällen nur dann gegeben, wenn keine unverschuldete Zwanglage bei der/dem betroffenen Beschäftigten vorliegt.

Nun können Arbeitgeber, die den Kündigungsgrund darlegen müssen, ja nicht wissen, ob eine unverschuldete Zwangslage vorliegt.
Das sehen auch die Gerichte und arbeiten in solchen Fällen mit einer sogenannten „abgestuften Darlegungs- und Beweislast".

Konkret bedeutet das für diesen Fall:
Zunächst ist es Sache der/des Beschäftigten, Tatsachen vorzubringen, die eine unverschuldete Zwangslage rechtfertigen.

Und was ist eine unverschuldete Zwangslage?
Es reicht nicht aus, dass sich die ins Auge gefasste Betreuungsmöglichkeit zerschlagen hat. Vielmehr darf es auch keine alternativen Betreuungsmöglichkeiten durch insbesondere den anderen Elternteil oder Familienmitglieder geben.

Im konkreten Fall, der zu Corona-Zeiten spielte, haben die Thüringer Landesarbeitsrichter eine unverschuldete Zwangslage bejaht.
Geplant war, dass die Großeltern nach Ende der Elternzeit die Betreuung des Kindes übernehmen. Da die Großeltern zu der besonders gefährdeten Gruppe gehörten, die vor Ansteckungen mit dem Corona-Virus geschützt werden musste, ist das Thüringer Landesarbeitsgericht der Meinung der Klägerin gefolgt, dass die Betreuung ihres Kindes ihren Großeltern nicht zumutbar war.
Eine Betreuung durch den Kindsvater kam in den Augen des Gerichts ebenfalls nicht in Betracht – zwar hatte der Kindsvater flexible Arbeitszeiten; die Klägerin und der Kindsvater hatten sich allerdings getrennt und die Trennung war nach den Ausführungen der Klägerin konfliktbelastet.

Was können Arbeitgeber daraus lernen?
Arbeitgeber sollten in solchen Fällen schon vor einer Abmahnung immer fragen, warum sich Betreuungsmöglichkeiten zerschlagen haben und es auch keine alternativen Betreuungsmöglichkeiten gibt.

Letzter Aspekt:
Im konkreten Fall hatte der Arbeitgeber der Beschäftigten vor der Kündigung eine unbezahlte Freistellung angeboten, die diese allerdings abgelehnt hatte.
Das war für das Thüringer Landesarbeitsgericht ein weiterer Grund, die Klage abzuweisen. Denn durch das Angebot auf unbezahlte Freistellung habe der Arbeitgeber zum Ausdruck gebracht, dass er die fehlende Arbeitsleistung nicht als schwere Pflichtverletzung betrachtet.

Wörtlich heißt es dazu in dem Urteil:

„Für die Kammer ist in diesem Zusammenhang entscheidend, dass der Beklagte selbst kundgetan hat, ein Fernbleiben von der Arbeit im Zusammenhang mit der Erfüllung der elterlichen Betreuungspflichten nicht als schwere Vertragspflichtverletzung anzusehen. Denn er selbst hat der Klägerin zur Kinderbetreuung eine unbezahlte Freistellung angeboten. Mit diesem Angebot hat der Beklagte deutlich gemacht, dass das Nichterscheinen am Arbeitsplatz die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar macht. Kündigungsgrund des Beklagten ist die beharrliche Arbeitsverweigerung durch das Fernbleiben von der Arbeit, nicht die Frage einer Bezahlung für Zeiten des Fernbleibens. […] Es wäre ihm als milderes Mittel durchaus möglich gewesen, entsprechend seinem Angebot auf unbezahlte Freistellung das Fernbleiben der Klägerin zunächst hinzunehmen und lediglich die Vergütungszahlung gegenüber der Klägerin zu verweigern. Erst die Weigerung der Klägerin, sich mit einer unbezahlten Freistellung nicht einverstanden zu erklären, sondern weiter auf einer Bezahlung zu bestehen, hat den Beklagten erwogen, die streitgegenständliche Kündigung auszusprechen. Dies erweckt den Eindruck, die Klägerin habe nicht für das Fernbleiben von der Arbeit selbst, sondern für ihr Beharren auf einer Bezahlung für ihr Fernbleiben „bestraft“ werden sollen. Das Verlangen einer Bezahlung macht die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar.“

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