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Teilzeit ist kein Wunschkonzert, oder: Eltern gegen Eltern

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie betreiben eine Bäckerei, in der Sie vier Verkäuferinnen in einem etablierten 3-Schicht-System mit Früh-, Mittel- und Spätschicht beschäftigen. Sie haben montags bis samstags geöffnet. Jede der Verkäuferinnen hat mindestens ein Kind, das noch im Kindergartenalter ist. Ihre Frühschicht beginnt schon um 5:30.

Eine der Verkäuferinnen verlangt nun von Ihnen eine Verringerung ihrer Arbeitszeit von vormals 40 Stunden auf 35 Stunden.
Die Verkäuferin will aber noch mehr: Sie verlangt, dass sie künftig nur noch montags bis freitags arbeitet, und zwar immer zur gleichen Zeit: Von 7:40 bis 16:40.
Die Gründe für ihr Verlangen sind nachvollziehbar: Sie ist alleinerziehende Mutter von 18 Monate alten Zwillingen, der Vater hat sich von der Familie abgewandt und scheidet für die Betreuung aus. Unterstützung von den Großeltern der Kinder hat sie nicht. Die KiTa, in der die Kinder untergebracht sind, hat von 7:00 bis 17:00 geöffnet, und zwar nur montags bis freitags.

Das stellt Sie vor ein Dilemma. Natürlich verstehen Sie die schwierige Situation der jungen Mutter. Andererseits: Ihr Schichtsystem hat sich seit Jahren bewährt und sorgt dafür, dass der Laden läuft und im Ergebnis alle Verkäuferinnen gleich belastet werden. Die anderen drei Mütter haben sich über ihre Einteilung noch nicht beschwert. Deren private Situation kennen Sie gar nicht genau. Wie diese drei die Kinderbetreuung organisieren und es schaffen, schon um 5:30 ihre Schicht anzutreten und die Nachmittage und Samstage mit Kinderbetreuung abdecken, wissen Sie nicht. Fest steht nur: Wenn Sie dem Verlangen der einen Verkäuferin nachgeben, werden die anderen drei (noch) stärker von den ungünstigen Schichten belastet als bislang.

Was nun?

Wie dieser gordische Knoten zu lösen ist, erklärt das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern in seiner Entscheidung vom 13.07.2023 – Az. 5 Sa 139/22.

1. Beim Teilzeitverlangen kommt es nur auf betriebliche Gründe an, nicht auf persönliche Belange
Sie müssen der gewünschten Verteilung der Arbeitszeit nicht wegen § 8 TzBfG entsprechen. In § 8 (4) TzBfG heißt es:

„Der Arbeitgeber hat der Verringerung der Arbeitszeit zuzustimmen und ihre Verteilung entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers festzulegen, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen. Ein betrieblicher Grund liegt insbesondere vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht.“

Es kommt demnach allein auf „betriebliche Gründe“ (die nicht „dringend“ sein müssen, wie etwa bei § 15 (7) Nr. 4 BEEG) an. Kenner wissen, dass auch die „betrieblichen Gründe“ nicht ganz ohne sind, weil ein 3-stufiges Schema abgeprüft werden muss (1.: Tatsächlich gelebtes betriebliches Organisationskonzept, 2.: Unvereinbarkeit von Arbeitszeitregelung und Teilzeitverlagen, 3.: Wesentliche Beeinträchtigung des Organisationskonzepts durch die verlangte Teilzeit). Das LAG stellt in seiner Entscheidung klar: Die betrieblichen Gründe sind nicht an den persönlichen Belangen, derentwegen Teilzeit beantragt wird, und deren Gewicht zu messen. Eine Abwägung zwischen den betrieblichen Belangen und den Interessen des Arbeitnehmers sieht das Gesetz nicht vor.

Konkret heißt das für Sie als Betreiber der Bäckerei: Sie haben ein Organisationskonzept, das durch die Öffnungszeiten der Bäckerei und die erforderlichen Vor- und Nacharbeiten bestimmt ist. Ihr rollierendes Schichtsystem ist Teil des Organisationskonzepts; nur so ist es Ihnen möglich, die täglichen langen Öffnungszeiten und die Samstagsöffnung zu gewährleisten. In Ihrem Konzept wechseln alle Mitarbeiterinnen regelmäßig zwischen den Schichten; solche Wechselschichten sind üblich und im Grunde nicht zu beanstanden.

Mit diesem Organisationskonzept sind die Wünsche der Verkäuferin nicht in Einklang zu bringen: Wenn Sie nun eine Verkäuferin ausschließlich zu einer festen Zeit einsetzen (die im Übrigen keiner der üblichen Schichtzeiten entspricht), wird Ihr Schichtsystem auf den Kopf gestellt und muss völlig neu organisiert werden. Ein regelmäßiger Wechsel auch in der „Mittelschicht“ wäre nicht mehr möglich. Zwangsläufig müssten die anderen Verkäuferinnen verstärkt in der Früh- und Spätschicht sowie samstags eingesetzt werden.

Sie können die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit also ablehnen, ohne dass Sie die persönlichen Gründe berücksichtigen müssen. Das tun Sie auch und teilen die Verkäuferin in der Folgezeit in das rollierende Schichtsystem ein.

2. Eltern sind gleich Eltern, Alleinerziehende nicht bevorzugt
Aber die Verkäuferin bleibt hartnäckig, erscheint am ersten Tag ihrer Frühschicht erst um 7:40 Uhr (wie sie es aus persönlichen Gründen verlangt hatte) zur Arbeit. Das dulden Sie unter Verweis auf Ihr Schichtsystem nicht und schicken sie nach Hause. Die Verkäuferin bietet jetzt täglich ihre Arbeitsleistung in der von ihr begehrten Schicht an, Sie lehnen das konsequent ab, fragen sich aber insgeheim, ob Sie nicht vielleicht doch auch die Interessen der Verkäuferin irgendwie berücksichtigen müssen, denn Böses wollen Sie ihr ja nicht.
Die Verkäuferin pocht auf ihre private Situation und verlangt unter Verweis auf ihre Arbeitsbereitschaft von Ihnen Annahmeverzugslohn, weil Sie die angebotene Arbeitsleistung nicht angenommen haben. Zu Recht?

Nein. Auch das stellt das LAG Mecklenburg-Vorpommern klar:

Anknüpfungspunkt ist nun nicht § 8 TzBfG, sondern § 106 GewO, wonach der Arbeitgeber unter anderem die Lage der Arbeitsleistung im Rahmen der arbeitsvertraglichen Regelungen „nach billigem Ermessen“ bestimmen kann. Anders als bei § 8 TzBfG findet beim billigen Ermessen also eine Interessenabwägung statt: Der Arbeitgeber muss bei der Bestimmung der Lage der Arbeitszeit auch auf die Personensorgepflichten des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen. Das gilt aber nur, sofern betriebliche Gründe oder berechtigte Belange anderer Arbeitnehmer nicht entgegenstehen. Und so ist es hier: Sie haben gewichtige betriebliche Gründe und andere Verkäuferinnen in einer vergleichbaren Situation. Dies dürfen Sie gegenüber dem Wunsch der Verkäuferin vorgehen lassen. Dazu sagt das LAG: 

  • Der Arbeitgeber darf sich bei der Abwägung auf die ihm ohne weiteres nachvollziehbaren persönlichen Umstände der Beschäftigten beschränken, ohne die familiären Verhältnisse in ihren Einzelheiten näher erforschen zu müssen.
  • Dem gewichtigen Interesse der Verkäuferin stehen ebenso gewichtige Belange der Arbeitgeberin und der übrigen Mitarbeiterinnen entgegen. Sämtliche Mitarbeiterinnen der Filiale haben ebenfalls betreuungsbedürftige Kinder und haben deshalb ein gesteigertes Interesse an einem regelmäßigen Schichtwechsel einschließlich des Einsatzes in der Tagschicht. Hinzu kommt der Wunsch nach einer möglichst hohen Zahl von arbeitsfreien Samstagen, um diese Zeit mit der Familie verbringen oder anderweitig nutzen zu können.
  • Die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und der EU-GRCharta gelten nicht nur für die Klägerin, sondern in gleicher Weise auch für die anderen dort tätigen Mütter
  • Eine Ungleichbehandlung im Sinne einer Besserstellung der Verkäuferin gegenüber den anderen Beschäftigten rechtfertigt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sie alleinerziehend ist. […] Dass es den anderen Mitarbeiterinnen gelingt, ihre arbeitsvertraglichen und ihre familiären Pflichten miteinander zu vereinbaren, rechtfertigt es nicht, diese durch die vermehrte Zuweisung ungünstiger Schichten zusätzlich zu belasten und gegenüber der Klägerin zu benachteiligen. Für die Klägerin mag es ebenso wie für viele andere werktätige Mütter schwierig sein, die Betreuung der Kinder zu Randzeiten sicherzustellen. Ausgeschlossen ist dies jedoch nicht. 

Und es geht weiter:
 
3. Fehlende Organisation der Kinderbetreuung ist selbstverschuldet
Sie haben der Verkäuferin wegen Ihres Nichterscheinens zur Frühschicht eine Abmahnung erteilt. Diese möchte die Verkäuferin aus ihrer Personalakte entfernt haben.
Auch diesem Ansinnen erteilt das LAG eine klare Absage. Zwar können sich Arbeitnehmer in Fällen, in denen eine Kinderbetreuung erforderlich ist, auf ein Leistungsverweigerungsrecht berufen, wenn eine unverschuldete Zwangslage vorliegt. Das ist hier aber nicht der Fall. Wörtlich heißt es in der Entscheidung:
 
„Der Klägerin war weit vor Ende der Elternzeit das bei der Beklagten bestehende Schichtsystem bekannt. Ihr war bewusst, dass sie bei der dort üblichen Einteilung regelmäßig auch während der Früh- und Spätschichten sowie am Wochenende eine Betreuung ihrer Kinder würde organisieren müssen. Es wäre ihr daher frühzeitig möglich gewesen, sich hinsichtlich der bestehenden Betreuungsmöglichkeiten zu informieren und dadurch zu gewährleisten, dass sie ihren arbeitsvertraglichen Pflichten zur Erbringung der Arbeitsleistung vollumfänglich nachkommen kann.“
 
Das hatte die Verkäuferin versäumt. Sie konnte nicht ausreichend darlegen, weshalb sie ihre Zwillinge nicht z.B. in einer der wohnortnahen 24-Stunden-KiTas angemeldet hatte, die eine Betreuung während der Wechselschichten hätte gewährleisten können.
 
Damit wäre dieser Fall zumindest rechtlich gelöst.
 
4. Unser Fazit
Wichtig sind aus unserer Sicht folgende Erkenntnisse:

  • Eltern sind Eltern, unabhängig von Kinderanzahl, persönlichen Umständen und individueller Betreuungssituation, der Arbeitgeber muss diese weiteren persönlichen Umstände grundsätzlich nicht berücksichtigen.
  • Eltern sind gehalten, rechtzeitig vor der Rückkehr an ihren Arbeitsplatz eine Kinderbetreuung sicherzustellen, die ihren individuellen Arbeitszeiten gerecht wird.
  • Betriebliche Organisationskonzepte können im Einzelfall auch den Interessen von Eltern an bestimmten Arbeitszeiten vorgehen.
  • Im Rahmen der Verteilung der Arbeitszeit kommt es auch darauf an, ob nur vorübergehend (z.B. um eine kurzzeitige Sondersituation abzudecken) oder dauerhaft die besondere Lage der Arbeitszeit verlangt wird.
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