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Das Bundessozialgericht und die immer größer werdenden Probleme mit „Solo-Selbständigen“

Bei der Beschäftigung von „Solo-Selbständigen“ stehen Unternehmen fast immer mit mindestens einem Bein in der sogenannten „Scheinselbständigkeit“.
 
Darum wurde „Solo-Selbständigen“ in der Vergangenheit häufig empfohlen, eine Kapitalgesellschaft (UG oder GmbH) zu gründen, deren Gesellschafter und Geschäftsführer die „Solo-Selbständigen“ dann werden.
 
Und das hauptsächlich aus folgenden Gründen:

  • Das Risiko einer „Scheinselbständigkeit“ mit all seinen sozialversicherungs- und strafrechtlichen Folgen sollte minimiert werden, da „Solo-Selbständige“ auf Basis eines Vertrages tätig werden, der nicht mit ihnen, sondern einer Kapitalgesellschaft geschlossen wird.

  • Risiken einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung mit ebenfalls unangenehmen Folgen sah man auch nicht, da das Bundesarbeitsgericht bereits entschieden hat, dass die Überlassung eines Gesellschafter-Geschäftsführers nicht in den Anwendungsbereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes fällt. 

Die Rechnung der Vermeidung einer „Scheinselbständigkeit“ bei „Solo-Selbständigen“ in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft geht spätestens jetzt nicht mehr auf.



Das Bundessozialgericht hat in 3 gerade im Volltext veröffentlichten Urteilen vom 20.07.2023 (Az.: B 12 BA 1/23 R, B 12 R 15/21 R sowie B 12 BA 4/22 R) nämlich entschieden:

Der Abschluss eines (Dienstleistungs-)Vertrages mit einem „Solo-Selbständigen“ in der Rechtsform einer UG oder GmbH ist kein Allheilmittel.
Vielmehr kommt es auch in dieser Konstellation darauf an, ob der Einsatz des „Solo-Selbständigen“ die entscheidenden Kriterien für eine selbständige Tätigkeit (in Abgrenzung zu einem Arbeitsverhältnis) erfüllt.

Nebenbei bemerkt äußert das Bundessozialgericht auch Zweifel an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Anwendbarkeit des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, zumindest in Fällen, in denen die UG oder GmbH nur aus dem „Solo-Selbständigen“ besteht.

Aber was sind die entscheidenden Kriterien für die Abgrenzung von echten Selbständigen und abhängig Beschäftigten?

Auch insoweit hat es schon seit längerem eine Verschärfung der zu beurteilenden Kriterien gegeben, die vielen Unternehmen, die „Solo-Selbständige“ einsetzen, auf die Füße fallen könnte:

  • So reicht eine Weisungsfreiheit bei der Ausübung der Tätigkeit nicht mehr unbedingt. Vielmehr müsse, so z. B. das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 26.01.2023 (Az.: L 4 KR 550/16) die „Weisungsfreiheit“ gerade in der modernen Arbeitswelt weitergedacht werden. Wörtlich sagt das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, dass „die Freiheit bei Ort und Zeit der Tätigkeit in der modernen Arbeitswelt nicht zwingend für Selbständigkeit spricht. Es kommt nicht darauf an, ob ein Arbeitgeber das ihm zustehende Weisungsrecht faktisch ausübt. Ein rein faktisches, nicht rechtlich gebundenes und daher jederzeit änderbares Verhalten der Beteiligten ist nicht maßgeblich.“

  • Und sowohl das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg als auch der 1. Strafsenat(!) des Bundesgerichtshofs (der in seinem Urteil vom 08.03.2023, Az.: 1 StR 188/22, über als freie Mitarbeiter beschäftigte Rechtsanwälte zu entscheiden hatte) stellen fest, dass die in der Natur der Tätigkeit besonders hoch qualifizierter Fachkräfte liegenden Freiheiten ebenfalls nicht für eine „echte Selbständigkeit“ genügen.

  • Gleichfalls nicht ausreichend sind Rahmenverträge mit „Solo-Selbständigen“, die vorsehen, dass über die konkreten Arbeitseinsätze separate Vereinbarungen geschlossen werden müssen (womit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass der „Solo-Selbständige“ darüber entscheiden kann, ob er den Einzelauftrag annimmt oder aber nicht). Das wurde unlängst vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen per Urteil vom 09.10.2023 (Az.: L 2 BA 56/23) entschieden. O-Ton des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen:
    „Bei Vertragsgestaltungen, in denen – wie hier – die Übernahme einzelner Dienste individuell vereinbart wird und insbesondere kein Dauerschuldverhältnis mit Leistungen auf Abruf vorliegt, ist für die Frage der Versicherungspflicht allein auf die Verhältnisse abzustellen, die während der Ausführung der jeweiligen Einzelaufträge bestehen. …“ 

Aber was ist es dann, was den Ausschlag geben soll?
 
Das Zauberwort lautet Unternehmerrisiko. Um ein Unternehmerrisiko festzustellen, werden Unternehmen sich künftig daher vor allem mit folgenden Fragen befassen müssen:

  • Hat der Selbständige eine eigene Betriebsstätte?

  • Setzt der Selbständige eigene Arbeitsmittel und vor allem auch eigenes Kapital ein?

  • Beschäftigt der Selbständige eigene Angestellte in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis?

  • Tritt der Selbständige werbend am Markt auf?

  • Ist die Tätigkeit des Selbständigen mit einem Verlustrisiko belastet oder ist sie lediglich Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung?
    In dem schon genannten 1. Urteil des Strafsenats des BGH, der über die selbständige Tätigkeit der als freien Mitarbeiter beschäftigten Rechtsanwälte zu entscheiden hatte, heißt es dazu:
    „Soweit die Kriterien der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlieren, weil die konkreten Umstände sowohl bei einer abhängigen Beschäftigung als auch einer selbständigen Tätigkeit festzustellen sein können, muss im Rahmen der notwendigen Gesamtbetrachtung den übrigen Merkmalen mehr Gewicht beigemessen werden. In diesen Fällen ist vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen. Insoweit ist vor allem entscheidend, ob die Tätigkeit mit einem – gegebenenfalls pauschalierten – Verlustrisiko belastet ist und deshalb einer Gewinnbeteiligung gleichkommt oder ob sie lediglich als Gegenleistung für geschuldete Arbeitsleistung anzusehen ist (…).“

Die Anforderungen sind also hoch und werden bei „Solo-Selbständigen“ häufig nicht erfüllbar sein.
Angesichts der sozialversicherungs-, aber auch strafrechtlichen Risiken sollten Unternehmen sich daher gut überlegen, mit wem sie Dienstleistungs- oder Werkverträge abschließen können.

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