Let’s do it – Fair Pay Teil 3 – Fragen an den Fachmann
Fair Pay, Entgeltsysteme, Vergütungskonzepte: Für einige ist dies täglich Brot, für andere sind es Böhmische Dörfer. Heute möchten wir Herrn Eckhard Eyer dazu zu Wort kommen lassen, einen erfahrenen Vergütungsexperten.
Herr Eyer, Fair Pay ist ja eigentlich nichts Neues. Durch die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und die Berichterstattung zur Entgelttransparenzrichtlinie rückt das Thema vermehrt in den Fokus. Wie reagieren die Unternehmen darauf?
Das ist sehr unterschiedlich, je nach Ausgangssituation der Unternehmen. Die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie zum Beispiel sehen das Thema eher entspannt. Sie haben Tarifverträge, die nicht im Widerspruch zur Entgelttransparenzrichtlinie stehen. Aber: Diese Unternehmen können in der Umsetzung der Tarifverträge Fehler gemacht haben.
Die Geschäftsführungen von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die tariffrei sind und gewachsene Entgeltregelungen haben, die funktionieren, fragen sich: Warum sollen wir etwas ändern? Sie handeln nach dem Motto: „Verändere kein erfolgreich funktionierendes System”.
Wieder andere Geschäftsführungen lassen das Thema auf sich zukommen und denken, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Und außerdem steht in der Politik das große Thema Entbürokratisierung an. Und das Entgelttransparenzgesetz ist in ihren Augen „Bürokratie“.
Vereinzelt ist der Ausgangspunkt aber auch ein ganz anderer: Da kommen Geschäftsführungen und/oder Personalleiter auf mich zu und wollen eine Analyse ihrer betrieblichen Entgeltsituation und einen Vorschlag für ein neues, passgenaues betriebliches Entgeltsystem. Ursache für diesen Schritt ist meist die Wettbewerbssituation am Arbeitsmarkt. Dass das neue betriebliche Entgeltsystem dann auch den Anforderungen der Entgelttransparenzrichtlinie entspricht, ist ein willkommener Zusatznutzen.
Mittelfristig rechne ich mit einer Zunahme der letztgenannten Nachfragen, angestoßen von der Entgelttransparenzrichtlinie.
Was empfehlen Sie den Unternehmen, die ein passgenaues Entgeltsystem wollen, um im Wettbewerb am Arbeitsmarkt bestehen zu können?
Zuerst mache ich eine statistische Analyse und Bewertung der Ausgangssituation. Dafür gehe ich auch in das Unternehmen und sammle die bereits aktuell vorhandene Kritik am bestehenden, gewachsenen Entgeltsystem. Es zeigt sich dann schon, welche Mitarbeitergruppen systematisch bevorzugt werden und welche Arbeiten weniger geschätzt werden und wie überhaupt die Unternehmenskultur ist. Aufgrund dieser ersten Analyse kann ich relativ gut abschätzen, wie umfangreich die Veränderungen sein werden – und auch wie konfliktträchtig die Umstellung auf ein neues gerechtes Entgeltsystem werden könnte.
Ganz konkret zum Stichwort Veränderung: Wie schafft man Fair Pay in der Praxis? In welchen Schritten läuft die Einführung – oder Verbesserung – von Fair Pay ab?
Zunächst geht man davon aus, dass die Mitarbeiter aufgrund der ihnen vom Arbeitgeber oder seinem Beauftragten übertragenen Arbeitsaufgaben entlohnt werden. D. h. es muss eine umfangreiche oder skizzenhafte, auf jeden Fall belastbare, Beschreibung der Arbeitsaufgaben der Mitarbeiter vorliegen. Die Arbeitsaufgaben werden dann einerseits entsprechend der für ihre Ausführung notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten und ggf. notwendigen Berufserfahrung bewertet. Andererseits kommt es auch auf die Verantwortung an, die den Mitarbeitern mit ihrer Arbeitsaufgabe übertragen wird. Denken Sie z. B. an kleine oder große Ermessensspielräume und ggf. die Verantwortung einer Führungskraft für zu führende Mitarbeiter. Wenn so der Wert der Arbeitsaufgaben ermittelt wurde, kommt im nächsten Schritt die Zuordnung zu einer Entgeltgruppe. Danach wird eine Entgelttabelle erarbeitet und die Veränderungen der Entgelte (Stundenlöhne oder Monatsentgelte) vorher und nachher verglichen. Der Vergleich muss für jeden einzelnen Mitarbeiter und für das Unternehmen als Ganzes erfolgen. Aufgrund der sich abzeichnenden Entgeltunterschiede (die Mitarbeiter werden entweder weniger oder mehr im neuen Entgeltsystem verdienen) wird die Entgelttabelle – unter Berücksichtigung der Kosten – in einem iterativen Prozess optimiert. Danach entscheidet das Unternehmen, ob das neue passgenaue Entgeltsystem in einem Schritt oder in mehreren Schritten eingeführt wird und wie Mitarbeiter, die im neuen Entgeltsystem weniger verdienen würden, ihre Besitzstände abgesichert bekommen.
Das klingt nach einem interessanten, vielschichtigen Prozess. Wer ist daran beteiligt? Und wie sieht das Ergebnis konkret aus?
Je nach Ausgangssituation kann die Geschäftsführung – in Unternehmen ohne Betriebsrat – einseitig das Entgeltsystem erarbeiten und als verbindlich erklären. Soweit Betriebsräte im Unternehmen sind, müssen gewisse mitbestimmungspflichtige Inhalte mit ihnen abgestimmt werden. Zunehmend erlebe ich, dass Unternehmen mit der zuständigen Gewerkschaft einen passgenauen Haustarifvertrag abschließen und sich so den standardisierten Flächentarifverträgen entziehen.
Wir hören häufig, dass gerade die leistungsgerechte Bezahlung Unternehmen wichtig ist, es aber als schwierig empfunden wird, Leistungen objektiv und nachvollziehbar zu bewerten. Was sagen Sie zu dieser Unsicherheit?
Bisher habe ich über das Grundentgelt gesprochen, dem die Arbeitsaufgabe zugrunde liegt und die Frage „Was macht der Mitarbeiter?“. Beim Leistungsentgelt geht es um die Frage „Wie führt der Mitarbeiter seine Arbeit aus?“ Sie kennen das: Zwei Mitarbeiter haben die gleiche Arbeitsaufgabe, aber die Arbeitsergebnisse sind unterschiedlich.
Es gibt beim Leistungsentgelt mehrere Möglichkeiten die Leistung zu erfassen. Man kann sie messen und/oder beurteilen. Bei der Leistungsmessung ergeben sich, wenn die Leistungskennzahlen und Leistungsniveaus angemessen sind, wenige Probleme. Bei der Leistungsbeurteilung kann es Unterschiede bei der Wahrnehmung der Leistung geben. Durch ein transparentes Leistungsbewertungssystem, die Schulung der Führungskräfte für Leistungsbeurteilungsgespräche und eine entsprechende Unternehmenskultur lässt sich die Unsicherheit reduzieren. Gute Erfahrungen habe ich mit Fremdbewertung durch die Führungskräfte und die Selbstbewertung der Mitarbeiter gesammelt.
Von welchen Faktoren hängt es ab, wie aufwändig die Erarbeitung eines Fair Pay-Konzepts ist?
Es kommt entscheidend auf die Ausgangssituation an, die gefühlte notwendige „Begradigung“ des gewachsenen Entgeltsystems, um am Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein. Das ist immer eine Frage des Einzelfalls und zeigt sich recht schnell gleich zu Beginn der gemeinsamen Überlegungen. Hinzu kommt die mittelfristig anstehende Entgelttransparenzrichtlinie, die man mit einbeziehen muss.
Dabei kann ich aus Erfahrung schon sagen, dass man das Thema nicht auf die lange Bank schieben sollte. Die Entgelttransparenzrichtlinie ist dabei nur ein Stein des Anstoßes. Grundlegende Änderungen von Entgeltsystemen (betrieblich und tariflich) sind im Berufsleben eines Geschäftsführers oder Personalleiters seltene – häufig sogar einmalige Ereignisse, vor denen viele zurückschrecken, weil die Erfahrung fehlt und das Thema konfliktbeladen ist. Aber es ist eben auch ein spannender Prozess, an dessen Ende die Wettbewerbsfähigkeit am relevanten Arbeitsmarkt und die Richtlinienkonformität steht. Weil man sich auf die neue Situation der Entgelttransparenzrichtlinie sowieso einstellen muss, ist es gut, wenn man rechtzeitig ein gerechtes und gerichtsfestes Entgeltsystem etabliert. Deshalb gilt hier das Motto: „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“
Danke an Herrn Eyer für dieses sehr aufschlussreiche Gespräch.
Unsere Blogbeiträge gibt es auch als Newsletter. Melden Sie sich hier an und erhalten Sie aktuelle Informationen aus der Welt des Arbeitsrechts kostenfrei in Ihren Posteingang!
- Erstellt am .