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Neu und wichtig: Probezeitmanagement bei schwerbehinderten / gleichgestellten Beschäftigten – die Kritik am BAG wird immer lauter

Für das Probezeitmanagement von schwerbehinderten / gleichgestellten Beschäftigten bahnt sich ein Richtungswechsel an.
In unserem Newsletter vom 21.02.2024 hatten wir Ihnen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 20.12.2023 (Az.: 18 Ca 3954/23) vorgestellt, in dem entschieden wurde:

Die Kündigung eines schwerbehinderten (oder gleichgestellten) Menschen innerhalb der ersten 6 Monate des Arbeitsverhältnisses ist wegen unzulässiger Diskriminierung unwirksam, wenn der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung kein Präventionsverfahren durchgeführt hat.

Damit haben sich die Kölner Arbeitsrichter offen gegen die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gestellt. Denn das Bundesarbeitsgericht hat noch mit Urteil vom 21.04.2016 (Az.: 8 AZR 402/14) entschieden, dass ein unterlassenes Präventionsverfahren innerhalb der ersten 6 Arbeitsmonate kein Indiz für eine Diskriminierung ist.

Mehr dazu sowie zu einem vorangegangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs, dessen Bedeutung für das deutsche Recht bisher unklar ist, können Sie, wie gesagt, in unserem Newsletter vom 21.02.2024 nachlesen.

Nun macht eine Schwalbe ja bekanntlich noch keinen Sommer.
Gerade wurde allerdings das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 04.06.2024 (Az.: 2 Ca 51/24) veröffentlicht, in dem sich die Freiburger Richter der Kölner Rechtsprechung anschließen.

Das Arbeitsgericht Köln steht mit seiner Meinung also nicht mehr allein da. Und ganz blöd ist die Meinung der Kölner und Freiburger Arbeitsrichter vor dem Hintergrund der Europäischen Rechtsprechung nicht.

Was also tun?
Es ist daher ratsam, rechtzeitig eine „Performance-Prüfung“ von Probezeitlern zu veranlassen. Das gilt erst recht, wenn man weiß, dass sie schwerbehindert oder gleichgestellt sind; aber natürlich auch in allen anderen Fällen.


Zu den praktischen Problemen von Arbeitgebern, die Präventionsverfahren mit schwerbehinderten / gleichgestellten Beschäftigten durchführen, denen aber die Zeit mit Blick auf das Ende der 6-monatigen kündigungsschutzfreien Zeit wegläuft, sagen die Arbeitsrichter:

  • Ein Präventionsverfahren innerhalb der ersten 6 Monate sei weniger aufwendig als sonst; denn es gehe in den ersten 6 Monaten ja nicht um Bestandsschutz, sondern nur um die Klärung möglicher Unterstützungsmaßnahmen mithilfe des Integrations- bzw. Inklusionsamts.

  • Selbst wenn das Präventionsverfahren innerhalb der 6 Monate nicht abgeschlossen werden kann, werde der Schutzzweck auch dann erreicht, wenn der Arbeitgeber die im Präventionsverfahren gewonnenen Erkenntnisse bei seiner Kündigung berücksichtigen kann.

  • In dem zuletzt genannten Fall (das Präventionsverfahren kann innerhalb der 6 Monate nicht abgeschlossen werden) bestehe außerdem – jetzt zitieren wir das Arbeitsgericht Freiburg wörtlich – „ggf. die Möglichkeit einer Verlängerung der Einarbeitungs- und Erprobungsphase ohne dauerhaftes Bindungsrisiko für den Arbeitgeber im Wege der Erprobungsbefristung nach § 14 Absatz 1 Satz 2 Nr. 5 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes“.

    Offen bleibt allerdings, was „gegebenenfalls“ heißt. Wann sind Arbeitgeber, die das Präventionsverfahren noch nicht zu Ende geführt haben, verpflichtet, den Vertrag mit dem Sachgrund der Erprobungsbefristung befristet zu verlängern, um das Präventionsverfahren vollständig durchzuführen?
    Nix Genaues weiß man an dieser Stelle noch nicht.
    Sollte sich die Auffassung der Kölner und Freiburger Arbeitsrichter durchsetzen, kommt es unseres Erachtens darauf an, wie weit das Präventionsverfahren vor Ablauf der 6 Monate schon gediehen ist. Gibt es schon Erkenntnisse, die der Arbeitgeber in seine Kündigungsentscheidung miteinfließen lassen kann, wird er gemäß den Ausführungen der Gerichte im 2. Bullet Point kündigen können.
    Sonst ist eine befristete Verlängerung des Arbeitsverhältnisses wahrscheinlich besser bzw. sicherer. 

Ansonsten bleibt es dabei, dass für eine Kündigung von schwerbehinderten / gleichgestellten Beschäftigten innerhalb der ersten 6 Monate des Arbeitsverhältnisses keine Zustimmung des Integrations- bzw. Inklusionsamtes erforderlich ist; denn das ergibt sich aus dem Gesetz, § 173 Absatz 1 Nr. 1 SGB IX.
 
Ebenso bleibt es dabei, dass Arbeitgeber nicht von sich aus verpflichtet sind, Beschäftigte nach einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung zu fragen. Für die ersten 6 Monate eines Beschäftigungsverhältnisses hat das Bundesarbeitsgericht das Fragerecht in anderem Zusammenhang ja sogar ausdrücklich verneint.
 
Wie Sie aus unserer Berichterstattung zum Thema Gleichstellung außerdem wissen, setzt diese einen Gleichstellungsbescheid voraus, s. dazu unseren Newsletter vom 21.08.2024.

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