Unternehmen melden rekordverdächtige Krankenstände – Was können sie tun?
Teil 1: Der lustlose Arbeitnehmer mit fehlendem Unrechtsbewusstsein
Die aktuellen Rekord-Krankenstände belasten die ohnehin gebeutelte Wirtschaft enorm.
Aber was können Arbeitgeber dagegen tun?
Insoweit gibt es durchaus einige Möglichkeiten, ohne dass Arbeitgeber befürchten müssen, wie Tesla mit Hausbesuchen bei langzeitkranken Beschäftigten in die Presse zu kommen.
Der Fall Tesla zeigt aber auch, dass viele Arbeitgeber nicht wissen, welche „legalen“ Möglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen, um sich wirtschaftlich von Krankheitskosten zu entlasten.
Hierbei sind mehrere Fallkonstellationen zu unterscheiden:
Die erste Fallkonstellation, mit der wir uns heute befassen, betrifft Beschäftigte, bei denen man aufgrund von Umständen oder deren Äußerungen davon ausgehen muss, dass sie nicht krank sind oder die Krankheit zumindest sehr zweifelhaft ist.
Leider häufen sich solche Fälle.
Und manchmal ist das fehlende Unrechtsbewusstsein von Beschäftigten erschreckend, wie folgende Fälle aus unserer Praxis zeigen:
Beispiel 1 aus unserer Praxis:
Eine Arbeitnehmerin hatte selbst gekündigt, weil sie einen neuen Job hatte.
In dem Gespräch mit ihrer Vorgesetzten erklärte sie, dass sie sich gerne noch ein paar Wochen vor Antritt des neuen Jobs ausruhen wolle. Da sie aber nicht mehr genug Urlaub habe, werde sie sich krankmelden.
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Eine Beschäftigte hat keinerlei Skrupel, ihrer Vorgesetzten zu sagen, dass sie sich krankmelden werde, um sich vor Antritt des neuen Jobs auszuruhen. Eine ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit anstelle von Urlaub?
Die Beschäftigte setzte dem Ganzen aber noch einen obendrauf. Nachdem die Vorgesetzte ihr gesagt hatte, dass ihr Vorhaben illegal sei und Konsequenzen haben könne (fristlose Kündigung, keine Lohnfortzahlung) und die Vorgesetzte die Beschäftigte fragte, warum sie ihren Resturlaub denn gerade erst und nicht am Ende der Kündigungsfrist genommen habe, antwortete die Beschäftigte: Ich habe meinen Resturlaub vorher genommen, weil ich mit meinem Freund verreisen wollte. Er (also ihr Freund) versteht sowieso nicht, warum ich überhaupt noch zur Arbeit komme. Er hat ebenfalls gekündigt und ist zuhause. Und ich möchte noch ein bisschen Zeit mit ihm verbringen, bevor wir beide unsere neuen Jobs starten. Außerdem sind 3 Monate Kündigungsfrist ohnehin viel zu lang. Wer kommt denn da tatsächlich noch bis zum Schluss?
Beispiel 2 aus unserer Praxis:
Eine Arbeitnehmerin war gekündigt worden. Auch sie wurde im Zusammenhang mit der Kündigung arbeitsunfähig krank.
Nachdem die 6-wöchige Lohnfortzahlungsfrist auszulaufen drohte, hatte auch diese Mitarbeiterin keine Skrupel, ihrer Vorgesetzten Folgendes vorzuschlagen: Da die Lohnfortzahlung bald ausliefe, sei es doch eine gute (!) Idee, wenn sie jetzt noch ihren Resturlaub nimmt und sich dann erneut krankmeldet, da dann ja wieder ein neuer Lohnfortzahlungszeitraum beginnt.
Juristisch sind die Fälle leicht zu lösen. Natürlich ist die eAU in solchen Fällen nichts wert. Arbeitgeber können die Zahlungen an diese Beschäftigten also einstellen (vgl. § 7 Absatz 1 Nr. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes) und über eine fristlose Kündigung wegen eines Lohnfortzahlungsbetrugs oder zumindest den dringenden Verdacht eines solchen nachdenken; ob man in Fällen, in denen das Ende des Arbeitsverhältnisses ohnehin naht und man die Zahlungen eingestellt hat, noch fristlos kündigt, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Denn fristlose Kündigungen haben (auch oder gerade bei fehlendem Unrechtsbewusstsein) ja häufig Kündigungsschutzklagen zur Folge und die kosten Arbeitgeber bekanntlich Geld, weil bis zum Abschluss der ersten Instanz der Arbeitgeber die Anwaltskosten selbst tragen muss, selbst wenn er als Sieger vom Platz geht.
Das viel schwerer zu lösende Problem ist das gerade in punkto „Krankmachen“ bei einigen Beschäftigten offenbar total fehlende Unrechtsbewusstsein. Hier müssen wir uns alle fragen, wie es sein kann, dass Beschäftigte auf die Idee kommen, dass sie auf Kosten ihres Arbeitgebers krankfeiern, ohne krank zu sein.
Wir alle müssen uns außerdem fragen, wie es sein kann, dass insbesondere Beschäftigte in gekündigten Arbeitsverhältnissen teilweise nicht mehr in der Lage sind, „die Sache“ ordentlich zu Ende zu bringen.
Deshalb ist es wichtig, dass Arbeitgeber in solchen Fällen klare Kante zeigen und damit klare Signale an die „Übeltäter“ und in die Belegschaft senden. Aus rein prozessökonomischen Gründen klein beizugeben, weil es durch die Kündigung ja wirtschaftlich nicht mehr um viel geht, zählt hier nicht.
Das Mittel der Wahl in solchen Fällen heißt also: Nicht zahlen. Das ist auch völlig legitim. Denn ist der Beweiswert der eAU erschüttert, haben Arbeitgeber bezogen auf die Lohnfortzahlung gem. § 7 Absatz 1 Nr. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes ein Zurückbehaltungsrecht, bis die Beschäftigten konkret dargelegt und durch die sie behandelnden Ärzte bewiesen haben, dass sie tatsächlich krank waren. Und die Anforderungen an die konkrete Darlegung einer Erkrankung sind nach aktueller Rechtsprechung bekanntlich sehr, sehr hoch [welche Krankheit/en haben seit Beginn der Erkrankung vorgelegen, welche gesundheitlichen Einschränkungen (auch im Hinblick auf die geschuldete Tätigkeit) bestanden, welche Verhaltensregeln oder Medikamente hat der Arzt verordnet und welche konkreten Auswirkungen hat all das auf die Arbeitsfähigkeit gehabt].
Hat der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung schon geleistet, bevor es zu solchen Umständen oder Äußerungen kam, gelten im Übrigen genau die gleichen Grundsätze. Das heißt, dass der Arbeitgeber sich bei der Rückforderung geleisteter Lohnfortzahlung auch dann zunächst darauf beschränken kann, die Umstände vorzutragen, die ernsthafte Zweifel an der festgestellten Arbeitsunfähigkeit begründen. Es ist dann wiederum Sache der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers konkret vorzutragen, welche Krankheiten mit welchen gesundheitlichen Einschränkungen in Bezug auf die geschuldete Tätigkeit bestanden haben, welche Medikamente verordnet wurden etc.
Das hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in seinem gerade veröffentlichten Urteil vom 05.07.2024 (Az.: 12 Sa 1266/23) entschieden.
Das Urteil ist deshalb wichtig, weil der Arbeitgeber, der Gehalt oder Entgeltfortzahlung zurückfordert, normalerweise die volle Darlegungslast dafür hat, dass Beschäftigte nicht arbeitsunfähig erkrankt sind.
Nun hat der Arbeitgeber aber keine nähere Kenntnis von der Erkrankung. Er kann seiner Darlegungslast also gar nicht nachkommen. Und weil das so ist, genügen Arbeitgeber ihrer Darlegungslast auch im Fall der Rückforderung geleisteter Vergütung ihrer Darlegungslast zunächst, wenn sie die Umstände vortragen, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen. Dann ist es Sache der/des Beschäftigten, konkreten Vortrag zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen, deren Auswirkungen etc. zu halten.
Kann die/der Beschäftigte diesen Vortrag nicht leisten, wird die Rückzahlungsklage des Arbeitgebers Erfolg haben, wie es auch in dem vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschiedenen Sachverhalt der Fall war.
Anderenfalls (also wenn die/der Beschäftigte zu seiner Arbeitsunfähigkeit detailliert vortragen kann) liegt der Ball wieder im Spielfeld des ja eigentlich darlegungs- und beweisbelasteten Arbeitgebers. Der Arbeitgeber muss die fehlende Arbeitsunfähigkeit dann auch beweisen; da ihm das regelmäßig nur durch das Zeugnis der behandelnden Ärzte möglich ist, müssen Beschäftigte, bei denen der Beweiswert der ärztlich festgestellten eAU erschüttert ist, die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbinden.
Ist die Aussage der Ärzte unergiebig, geht das bei einer Rückforderung von bereits geleistetem Entgelt zu Lasten des Arbeitgebers.
Hat der Arbeitgeber noch keine Entgeltfortzahlung geleistet, ist das anders; ist die Aussage der Ärzte unergiebig, geht das zu Lasten der/des Beschäftigten.
Der Unterschied hat mit den unterschiedlichen prozessualen Rollen zu tun. Ist noch keine Entgeltfortzahlung geleistet worden, ist die/der Beschäftigte der Kläger; sind schon Zahlungen erfolgt, kehrt sich die Rolle um und der Arbeitgeber ist Kläger.
Das war unser Teil 1.
Teil 2 folgt in Kürze. In Teil 2 wird es um Möglichkeiten von Arbeitgebern bei nicht offensichtlichen Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit gehen.
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