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Equal-Pay – Die Urteilsbegründung im Daimler-Fall ist da

Am 15.10.2024 hatten wir von dem Urteil berichtet, mit dem das LAG Baden-Württemberg einer langjährigen Daimler-Mitarbeiterin rund EUR 130.000 brutto zugesprochen hatte, weil Daimler die Frau – so die Begründung in der Pressemitteilung – wegen ihres Geschlechts benachteiligt hatte.

Nun liegt das Urteil im Volltext vor und obwohl die Entscheidungsgründe fast 60 Seiten umfassen, bleiben leider viele unserer Fragen unbeantwortet.

Was wir wissen

Die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Urteil sind:

  • Welche Kriterien das Gericht für die Feststellung einer geschlechtsbedingten Benachteiligung heranzieht, ist eine Frage des Einzelfalls.
    Ein Indiz für eine Diskriminierung wegen des Geschlechts liegt vor, wenn der Entgelt-Median des einen Geschlechts geringer ist als der Entgelt-Median des anderen Geschlechts, also einer hypothetischen Vergleichsperson. Es kann aber auch (z.B. in kleineren Einheiten) ausreichend sein, sich auf das Gehalt einer einzelnen, konkret benannten Vergleichsperson des anderen Geschlechts zu berufen, wenn diese ein Entgelt oberhalb der eigenen Vergütung bezieht.

  • Egal, welche Kriterien im Einzelfall maßgeblich sind: Die Entgeltdifferenz zwischen den Geschlechtern lässt eine Diskriminierung wegen des Geschlechts vermuten. Und diese Vermutung kann nur widerlegt werden, wenn die unterschiedliche Vergütungshöhe sachlich begründet ist.
    Beispielsweise kann eine höhere Vergütung mit einer längeren Betriebszugehörigkeit begründet sein; zumindest, wenn die Betriebszugehörigkeit nach dem betrieblichen Entgeltsystem ein Kriterium für eine höhere Vergütung darstellt.

  • Für das Widerlegen der Vermutung ist das Unternehmen darlegungs- und beweisbelastet. Es muss also vortragen und vollen Beweis dafür erbringen, dass und warum die Vergütungsdifferenz keine rechtswidrige Diskriminierung darstellt. Daimler konnte das schon nicht dartun.

  • Liegt die individuelle Vergütung nicht nur unterhalb der Vergütung der (hypothetischen) Vergleichsperson, sondern auch unterhalb des Medians des eigenen Geschlechts, kann die eigene, individuelle Vergütung nicht zum Vergleich bzw. zur Ermittlung der Entgeltdifferenz herangezogen werden.
    Da es – so das LAG – denklogisch ausgeschlossen ist, dass Vergütungsdifferenzen zwischen Beschäftigten des gleichen Geschlechts auf dem Geschlecht beruhen, kann die schlechtere Bezahlung im Vergleich zum eigenen Geschlecht nur auf einem anderen Grund beruhen als auf einer geschlechtsbedingten Diskriminierung.

  • Aus demselben Grund spielt auch die individuelle Vergütung einer konkreten Vergleichsperson nur eine untergeordnete Rolle, wenn diese oberhalb des Medians für das eigene Geschlecht liegt. Anders ausgedrückt: Wird eine Person besser bezahlt als Angehörige des eigenen Geschlechts, wird das – so das LAG – ebenfalls einen Grund haben, der nichts mit dem Geschlecht zu tun hat.

  • Deshalb hat das LAG den Schaden der Klägerin gedeckelt auf die Differenz zwischen dem weiblichen und dem männlichen Median, obwohl die Klägerin weniger und die von ihr ausgewählte männlich Vergleichsperson mehr verdient haben als es dem Median des jeweils eigenen Geschlecht entspricht.

    Aber Achtung: Hätte Daimler den weiblichen Median nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, hätte das Gericht der Klägerin die Differenz zwischen ihrem individuellen Gehalt und dem männlichen Median zugesprochen!

  • Stellt sich heraus, dass die Vergütungsdifferenz nicht (nur) aus einer geschlechtsbedingten Diskriminierung resultiert, kann die klagende Partei ihren Anspruch auch auf eine Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes stützen. Voraussetzung ist aber, dass es sich um vergleichbare Beschäftigte handelt, denen Leistungen in unterschiedlicher Höhe gewährt werden, ohne dass es hierfür eine rechtmäßige Erklärung gibt.
    Eine Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes kann aber nur dazu führen, dass die benachteiligte Partei den Durchschnittswert der Vergleichsgruppe beanspruchen kann. Besteht die Vergleichsgruppe – wie hier – aus mehreren Personen, folgt also auch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz keine Höchstvergütung.

Was wir nicht wissen
 
Noch immer nicht beantwortet sind die grundlegenden Fragen:

  • Ist der Median immer / in allen Fällen der Ausgangspunkt für die Ermittlung der Entgeltdifferenz?
    Oder gilt das nur in diesem Fall, in dem die Klägerin unterhalb des Medians der Frauen verdient hat?

  • Wie hätte das Gericht entschieden, hätte die Frau mehr verdient als andere Frauen?
    Hätte sie dann auch die Differenz Median-Median erhalten?
    Oder hätte sie sich mit der Differenz zwischen ihrer individuellen Vergütung und dem Median begnügen müssen? 

Schade, dass wir das nicht wissen. Denn Daimler ist kein Einzelfall, wie wir in unserem Erfahrungsbericht vom 17.10.2024 erläutert haben.
 
Fun-Fact am Rande
 
Die Zahlung, zu der Daimler verurteilt wurde, ist auch deshalb so hoch ausgefallen, weil die zwischen Daimler und der Klägerin arbeitsvertraglich vereinbarte Ausschlussfristenregelung unwirksam war. Wäre die Klausel wirksam gewesen, hätte Daimler nur für ein paar Monate, nicht aber für mehrere Jahre nachzahlen müssen.
 
Abgesehen davon, dass Ihre Vertragsmuster sowieso immer auf dem aktuellen Stand der Rechtsprechung sein sollten, zeigt der Fall, dass es sich auch bei langjährig Beschäftigten lohnen kann, Verträge „up-to-date“ zu halten; so sparen Sie sich teure Überraschungen.

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