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BAG stärkt die Rechte von Teilzeitbeschäftigten und erklärt weitverbreitete Regelungen in Tarifverträgen für unwirksam!

Viele von Ihnen werden es schon vernommen haben:
Das Bundesarbeitsgericht hat die Rechte von Teilzeitbeschäftigten gestärkt und weitverbreitete Regelungen zu Überstundenzuschlägen (Urteile vom 05.12.2024, Az.: 8 AZR 370/20 und 8 AZR 372/20) sowie zu Altersfreizeiten (Urteil vom 09.07.2024, Az.: 9 AZR 296/20) für unwirksam erklärt.

Die Urteile kamen allerdings aufgrund der vorangegangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs mit Ansage. In dem Fall, in dem es um Überstundenzuschläge ging, hatte das Bundesarbeitsgericht den Europäischen Gerichtshof (EuGH) sogar vorher um seine Meinung gebeten. Und die Entscheidungen des EuGH vom 29.07.2024 (Az.: C-184/22 sowie C-185/22) fielen so aus, dass das BAG gar nicht anders entscheiden konnte, als es das jetzt getan hat.

Bevor wir die Urteile für Sie einordnen, möchten wir kurz zusammenfassen, um welche Fragen es in den Urteilen des BAG ging:

Der Fall mit den Überstundenzuschlägen:
Hier ging es um Pflegekräfte und einen Tarifvertrag, der Überstundenzuschläge nur für Arbeitsstunden vorsieht, die über die Arbeitszeit einer Vollzeitkraft hinaus geleistet werden.
Während eine Vollzeitkraft ab der ersten Überstunde einen Überstundenzuschlag bekam, gingen Teilzeitkräfte, die mit ihren Überstunden nicht mal die Arbeitszeit einer Vollzeitkraft erreichten, bis zum BAG-Urteil ohne Überstundenzuschläge nach Hause.

Fall der Altersfreizeit:
Dieser Fall handelte von einer tarifvertraglichen Regelung, wonach (nur) Vollzeitbeschäftigte ab dem 58. Lebensjahr eine Altersfreizeit von 2 Stunden pro Woche bekamen.

In beiden Fällen entschied das Bundesarbeitsgericht, dass die tarifvertraglichen Regelungen unwirksam sind!

Da solche Regelungen, zumindest was Überstundenzuschläge anbelangt, nicht selten vorkommen, ist die Rechtsprechung sehr praxisrelevant.

Deshalb möchten wir gerne für alle – und nicht nur die tarifgebundenen Arbeitgeber – erläutern, was die Urteile bedeuten.

  • Unsere erste Botschaft richtet sich an nicht tarifgebundene Arbeitgeber: Überstundenzuschläge sind kein Muss. Es gibt also keine gesetzliche Bestimmung, die Arbeitgebern Überstundenzuschläge vorschreibt.
    Es gibt ohnehin nur einen gesetzlich geregelten Zuschlags-Fall, und das ist die Regelung in § 6 Absatz 5 des Arbeitszeitgesetzes für Nachtarbeitnehmer, die zur Nachtzeit arbeiten. Nicht jede Nachtarbeit ist daher zuschlagspflichtig. Vielmehr muss es sich um Nachtarbeit eines Nachtarbeitnehmers handeln, der zur Nachtzeit arbeitet. Was Nachtzeit, Nachtarbeit und Nachtarbeitnehmer sind, wird in § 2 Absatz 3 bis 5 des Arbeitszeitgesetzes definiert. Dort heißt es:

    „(3) Nachtzeit im Sinne dieses Gesetzes ist die Zeit von 23 bis 6 Uhr, in Bäckereien und Konditoreien die Zeit von 22 bis 5 Uhr.
    (4) Nachtarbeit im Sinne dieses Gesetzes ist jede Arbeit, die mehr als zwei Stunden der Nachtzeit umfaßt.
    (5) Nachtarbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes sind Arbeitnehmer, die
    1. auf Grund ihrer Arbeitszeitgestaltung normalerweise Nachtarbeit in Wechselschicht zu leisten haben oder
    2. Nachtarbeit an mindestens 48 Tagen im Kalenderjahr leisten.“

    Für Altersfreizeiten gibt es erst recht keine gesetzliche Grundlage.

  • Bei tarifgebundenen Arbeitgebern oder Arbeitgebern, die Tarifverträge freiwillig anwenden, ist die Lage eine andere. Praktisch jeder Tarifvertrag enthält Zuschläge für Arbeit unter erschwerten Bedingungen, sprich Zuschläge für Mehrarbeit, Schichtarbeit, zulässige Sonn- und Feiertagsarbeit und natürlich Nachtarbeit, wobei viele Tarifverträge bei den Nachtarbeitszuschlägen großzügiger für die Beschäftigten sind, als das gerade zitierte Gesetz.

  • Von den Urteilen des Bundesarbeitsgerichts sind daher insbesondere Unternehmen betroffen, die Tarifverträge anwenden müssen oder freiwillig anwenden.
    Denn hier kommt das Diskriminierungsverbot nach § 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) von in Teilzeit oder befristet Beschäftigten ins Spiel. Für Teilzeitbeschäftigte heißt es in § 4 Absatz 1 TzBfG:

    „Ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.“

    Und genau wegen § 4 Absatz 1 TzBfG hat das Bundesarbeitsgericht die tariflichen Regelungen über Überstundenzuschläge und Altersfreizeiten für unwirksam erklärt.

    Daran schließt sich folgende wichtige Botschaft für tarifgebundene Arbeitgeber an:
    Auch Tarifvertragsparteien haben die Diskriminierungsverbote des § 4 TzBfG zu beachten. Das wiederum ergibt sich aus § 22 Absatz 1 TzBfG. Oder um es allgemein zu sagen: Die Diskriminierungsverbote des § 4 TzBfG stehen nicht zur Disposition, weder durch die Parteien eines Arbeits- noch eines Tarifvertrages!

  • Anders behandelt werden dürfen in Teilzeit und befristet Beschäftigte nach dem Gesetz nur, wenn – so § 4 Absatz 1 und Absatz 2 TzBfG wörtlich, sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.

    In dem bereits im Volltext vorliegenden Urteil vom 09.07.2024 (Az.: 9 AZR 296/20) zur Altersfreizeit (das Urteil zum Überstundenzuschlag liegt noch nicht im Volltext vor) hat das Bundesarbeitsgericht hierzu folgende zentrale Aussage getroffen:

    „Allein das unterschiedliche Arbeitspensum berechtigt nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitkräften.“

    Es braucht also mehr als das unterschiedliche Arbeitspensum, um eine unterschiedliche Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitkräften zu rechtfertigen.

    Zur Beantwortung der Frage, was das „Mehr“ sein kann, greift das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung zur Altersfreizeit (und nichts anderes wird sich aus dem noch ausstehenden Volltext des Urteils zu den Überstundenzuschlägen ergeben) auf § 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über die Europäische Teilzeit-Richtlinie zurück und verlangt, dass es für die unterschiedliche Behandlung konkrete und genau bezeichnete Umstände geben muss, die die betreffenden Beschäftigungsbedingungen in ihrem speziellen Zusammenhang und auf der Grundlage objektiver und transparenter Kriterien kennzeichnen.

    Diesen Anforderungen haben die tariflichen Regelungen, über die das Bundesarbeitsgericht entschieden hat, nicht genügt.
    Wie in den meisten Tarifverträgen enthielten die streitgegenständlichen Tarifverträge gar keine Begründung, warum Teilzeitbeschäftigte keine Altersfreizeit oder keine Überstundenzuschläge für Mehrarbeit bis zur Grenze einer Vollzeittätigkeit erhalten sollen.

    Wenn insbesondere Überstundenzuschläge nur bei Überschreiten einer bestimmten, über der vereinbarten Regelarbeitszeit liegenden Tätigkeit gezahlt werden sollen, werden die Parteien eines Arbeits- oder eines Tarifvertrages das in Zukunft also konkret begründen müssen, und zwar nachdem sie die Umstände, sprich die ihrer Bewertung zugrundeliegenden Tätigkeiten analysiert haben.
    Ein schwieriges Unterfangen…
    Es ist daher damit zu rechnen, dass Teilzeit- und Vollzeitkräfte in künftigen Tarifverträgen gleich behandelt werden.

  • In den bisherigen Berichterstattungen wurde in Bezug auf Überstundenzuschläge die Frage aufgeworfen, ob diese Rechtsprechung eine Benachteiligung von Vollzeitkräften bedeutet. Denn nach der Rechtsprechung bekäme eine Teilzeitkraft mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden ja schon ab der 21. Arbeitsstunde einen Überstundenzuschlag. Demgegenüber käme eine Vollzeitkraft mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erst ab der 41. Stunde in den Genuss eines Überstundenzuschlags.
    Dieser Punkt trieb auch das Bundesarbeitsgericht um, als es den Europäischen Gerichtshof in dem Fall mit den Überstundenzuschlägen per Vorlagebeschluss diverse Fragen stellte.
    Der Europäische Gerichtshof hat diese Frage in seinen daraufhin ergangenen Urteilen vom 29.07.2024 (Az.: C-184/22 sowie C-185/22) allerdings bereits beantwortet und sinngemäß gesagt:
    Da Anknüpfungspunkt für den Überstundenzuschlag die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit sei, werden Teilzeit- und Vollzeitkräfte nicht unterschiedlich, sondern gleichbehandelt, wenn sie ab der 1. über die vereinbarte Arbeitszeit hinausgehende Arbeitsstunde einen Überstundenzuschlag erhalten.

  • Böse Zungen rechnen außerdem damit, dass es aufgrund der Rechtsprechung nun vermehrt Teilzeitanträge geben wird, mit dem Ziel, das Gehalt zu verbessern, weil man trotz der Teilzeit ja ohnehin mehr arbeitet.
    Ob es wirklich viele Beschäftigte gibt, die darauf spekulieren, erscheint uns fraglich. Schließlich heißt eine Teilzeit, dass man weniger arbeitet und dafür auch weniger Geld bekommt.
    Eine solche Rechnung wird also nicht unbedingt aufgehen, zumal wenn Arbeitgeber konsequent bleiben.
    Konsequent bleiben kann zweierlei bedeuten:
    Der Arbeitgeber stellt für das durch die Teilzeit freigewordene Arbeitsvolumen eine weitere Kraft ein. Mehrarbeit, auf die solche Beschäftigte spekulieren, gibt es dann nicht, oder wirklich nur in Ausnahmesituationen.
    Oder Arbeitgeber finden nachweisbar keine Ersatzkraft, die das freigewordene Arbeitsvolumen abdeckt (das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Teilzeitantrag nur eine geringe Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit vorsieht) und können den Teilzeitantrag begründet ablehnen.

  • Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot von den in Teilzeit oder befristet Beschäftigten kann im Übrigen noch weitreichendere Folgen haben. So geschehen in den Urteilen des Bundesarbeitsgerichts zu den Überstundenzuschlägen.
    Dort hatte die Klägerin nämlich nicht nur die ihr bisher versagt gebliebenen Überstundenzuschläge verlangt. Vielmehr hatte sie auch Entschädigung („Schmerzensgeld“) für ihre Diskriminierung als Frau geltend gemacht.
    Auch damit hatten sie beim Bundesarbeitsgericht Erfolg. Und das, obwohl die Frauen nicht nur bei den Teilzeitlern, sondern auch bei den Vollzeitbeschäftigten in der Mehrzahl waren. In seinen auf den Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts ergangenen Urteilen hat der Europäische Gerichtshof hierzu gesagt:
    Eine nationale Regelung, nach der die Zahlung von Überstundenzuschlägen an Teilzeitbeschäftigte nur für Arbeitsstunden vorgesehen ist, die über die regelmäßige Arbeitszeit von vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten hinausgehen, stellt eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, wenn erwiesen ist, dass diese Regelung einen signifikant höheren Anteil von Personen weiblichen Geschlechts betrifft, hierbei kommt es nicht darauf an, dass die Vergleichsgruppe der Vollzeitbeschäftigten aus erheblich mehr Männern als Frauen besteht.

    Viele wichtige Erkenntnisse also, die die neuen Entscheidungen mit sich bringen.

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