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Was tun, wenn Beschäftigten zu viel Entgeltfortzahlung geleistet wurde?

In unseren Beiträgen vom 24.03.2025 (Rechte von Arbeitgebern bei Fortsetzungserkrankungen und sogenannten einheitlichen Verhinderungsfällen) und vom 02.04.2025 (Wann ist der Beweiswert einer AU erschüttert?) haben wir erklärt, wie sich Arbeitgeber vor zu viel Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall schützen können – nämlich durch die ihnen in solchen Fällen zustehenden Auskunfts- und Leistungsverweigerungsrechte.
 
Nun passiert es aber häufiger, dass Arbeitgeber schon zu viel Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geleistet haben.
 
In diesen Fällen stellen sich folgende Fragen:

  • Kann Arbeitnehmern ggfs. sogar fristlos gekündigt werden, weil sie zumindest verdächtig sind, sich zu viel Entgeltfortzahlung eingestrichen zu haben, und wer muss in diesen Fällen was darlegen?

  • Und was ist mit der Rückforderung zu viel gezahlter Entgeltfortzahlung?

Diese Fragen stellten sich auch in dem gerade veröffentlichten Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 16.01.2025 (Az. 8 Ca 4803/23).

Was war passiert?
Die Arbeitnehmerin einer Krankenkasse (!) hatte in dem Zeitraum von April 2020 bis April 2023 75 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt, von denen 37 sogenannte Erstbescheinigungen waren.

Da die Krankenkasse offenbar noch nichts von der neuen Rechtsprechung zu insbesondere einheitlichen Verhinderungsfällen gehört hatte, leistete sie brav immer wieder aufs Neue Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Wach wurde die Krankenkasse erst nach Veröffentlichung der Entscheidungsgründe des BAG-Urteils vom 18.01.2023 (Az. 5 AZR 93/22).

Die Krankenkasse kündigte das Arbeitsverhältnis nunmehr außerordentlich.

Die Arbeitnehmerin erhob gegen ihre Kündigung Kündigungsschutzklage. Die beklagte Krankenkasse bestand auf der Wirksamkeit der Kündigung und erhob Widerklage auf Rückzahlung zu viel geleisteter Entgeltfortzahlung.

Sowohl in Bezug auf die Kündigung als auch in Bezug auf den Rückforderungsanspruch musste sich das Arbeitsgericht Köln mit der Darlegungs- und Beweislast befassen.
Konkret ging es insbesondere um folgende Frage:
Verschiebt sich die Darlegungslast auch dann zunächst auf die Beschäftigten, wenn es um eine Kündigung wegen mutmaßlichen Entgeltfortzahlungsbetrugs und/oder die Rückforderung von zu viel geleisteter Entgeltfortzahlung geht?
Oder noch konkreter: Sind Beschäftigte auch in diesen Fällen erstmal verpflichtet, dezidierte Auskunft zu erteilen?


Das Arbeitsgericht Köln hat die Frage in beiden Fällen (also sowohl im Hinblick auf die Kündigung als auch im Hinblick auf den Rückforderungsanspruch) mit Nein beantwortet und der Arbeitnehmerin infolgedessen recht gegeben.
Bezogen auf die Rückforderungsansprüche widerspricht das Arbeitsgericht damit allerdings der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 05.07.2024 (Az. 12 Sa 1266/23).

Die Kölner Arbeitsrichter begründen ihre Entscheidung platt gesprochen folgendermaßen:
Arbeitgeber haben aufgrund der neuen Rechtsprechung, über die wir in unseren Beiträgen vom 24.03.2025 und 02.04.2025 berichtet hatten, die Möglichkeit, sich durch Auskunfts- und Leistungsverweigerungsrechte vor zu viel Entgeltfortzahlung zu schützen. Tun sie das nicht oder nicht rechtzeitig, sind sie selbst schuld.

Wörtlich heißt es in dem Urteil

… in Bezug auf die Kündigung:

„Zutreffend dürfte nach Einschätzung der hiesigen Aktenlage im Kündigungsprozess sein, dass die Beklagte in Anbetracht der Rechtsprechung des 5. Senats des BAG in den letzten Jahren zu viel Entgeltfortzahlung an die Klägerin geleistet haben dürfte. Dies liegt jedoch letztlich in der Sphäre der Beklagten begründet, die diese Zahlungen veranlasst hat. Bei zutreffender Rechtsanwendung hätte die Beklagte nach Ablauf von sechs Wochen Entgeltfortzahlung jedenfalls bis zu näherer Darlegung seitens der Klägerin weitere Entgeltfortzahlung jedenfalls zunächst nicht mehr geleistet. Insofern ist dies auch entgegen der Darstellung der Beklagten gar nicht so „neu“. Zwar mag ggf. erst das Bekanntwerden der Entscheidungsgründe zu BAG 18.01.2023 (Az. 5 AZR 93/22) Anlass für die Beklagte zum Ausspruch der hiesigen Kündigung gewesen sein. Dass ein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch nach Ablauf von sechs Wochen ohne zwischenzeitliche Wiederherstellung der Arbeitsunfähigkeit unter dem Gesichtspunkt der „Einheit des Verhinderungsfalls“ nicht besteht und dass den Arbeitnehmer die diesbezügliche Darlegungslast bezüglich der zwischenzeitlichen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit als anspruchsbegründende Tatsache trifft, hatte das BAG bereits jedenfalls mit der Entscheidung vom 25.05.2016 (Az. 5 AZR 318/15) sowie spätestens der weit beachteten weiteren Entscheidung vom 11.12.2019 (Az. 5 AZR 505/18) entsprechend entschieden – also zeitlich noch vor den hier streitgegenständlichen Sachverhalten der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab Mitte des Jahres 2020. Es hätte mithin aus Sicht der Beklagten nahegelegen, an die Klägerin keine weitergehende Entgeltfortzahlung zu leisten und die Klägerin stattdessen auf etwaige Krankengeldansprüche gegenüber ihrer Krankenkasse zu verweisen. Insofern ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Einheit des Verhinderungsfalls in den Entscheidungen vom 25.05.2016 und 11.12.2019 der Beklagten zum damaligen Zeitpunkt auch bereits bekannt gewesen sein sollte – bei der Beklagten handelt es sich um eine große bundesweit agierende gesetzliche Krankenkasse, die von den Auswirkungen dieser Entscheidungen unmittelbar nicht unerheblich betroffen ist.“

… und in Bezug auf den Rückforderungsanspruch:

„Für einen bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruch nach § 812 BGB wegen vermeintlicher Gehaltsüberzahlung muss der den Anspruch geltend machende Arbeitgeber – als anspruchsbegründende Tatsache des bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruchs nach § 812 BGB – substantiiert darlegen, dass die zurückgeforderte Leistung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer „ohne Rechtsgrund“ erfolgt ist. Hieran fehlt es vorliegend.
Insofern kommt der Widerklägerin auch in Anbetracht der neueren Rechtsprechung des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts wiederum keine Darlegungserleichterung zu. Entscheidend ist wiederum, dass die erhöhte Darlegungslast des Arbeitnehmers nur dann gerechtfertigt ist, wenn dieser selbst einen Anspruch geltend macht und der Arbeitnehmer selbst die anspruchsbegründenden Tatsachen für einen von ihm geltend gemachten Zahlungsanspruch darlegen muss. Im umgekehrten Fall, in dem ein Arbeitgeber bereits eine Zahlung erbracht hat, diese aber im Nachhinein zurück verlangen möchte, verbleibt es dabei, dass der den bereicherungsrechtlichen Anspruch aus § 812 BGB geltend machende Arbeitgeber dessen Voraussetzungen darlegen muss. Hier ist weder eine Verschärfung noch eine Erleichterung der Darlegungslast veranlasst, es verbleibt bei der Darlegungslast nach allgemeinen Grundsätzen.“
Den allgemeinen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast folgend, nach denen derjenige, der einen Bereicherungsanspruch aus Leistungskondiktion geltend macht, auch für das das Nichtbestehen eines Rechtsgrundes der erbrachten Leistung darlegungs- und beweisbelastet ist (BGH, Urteil vom 11. März 2014, Az. X ZR 150/11, Rn. 11, juris), hat auch der Arbeitgeber, der bereits Entgeltfortzahlung gewährt hat und im Nachhinein meint, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum nicht arbeitsunfähig gewesen sei, einen Sachverhalt schlüssig darzulegen und ggf. zu beweisen, aus dem sich ergibt, dass eine Arbeitsunfähigkeit nicht vorgelegen und der Arbeitnehmer die Entgeltfortzahlung demzufolge ohne Rechtsgrund erhalten hat (so ausdrücklich LAG Köln, Urteil vom 11.01.2024, Az. 8 Sa 300/23, juris, Rn. 26). Bloße Mutmaßungen des Arbeitgebers ohne konkreten Tatsachenvortrag reichen insofern gerade nicht aus (LAG Köln, a. a. O., Rn. 25).“


Darüber hinaus hat sich das Arbeitsgericht Köln in Bezug auf den Rückforderungsanspruch wegen zu viel geleisteter Entgeltfortzahlung auch mit dem Thema der Ausschlussfristen befasst (im konkreten Fall gab es eine tarifliche Ausschlussfrist).

Hier können sich Unternehmen Folgendes merken:

  • Bezogen auf Fortsetzungserkrankungen kann nach dem BAG-Urteil vom 31.03.2021 (Az. 5 AZR 197/20) davon ausgegangen werden, dass die Ausschlussfrist für Arbeitgeber, die keine Auskunft verlangen, erst mit der Mitteilung der Krankenkasse beginnt.

  • Auf die sogenannten einheitlichen Verhinderungsfälle ist diese Rechtsprechung nicht übertragbar. Denn zu einheitlichen Verhinderungsfällen können die Krankenkassen auch gar keine Auskunft erteilen. Und wie man an dem Urteil des Arbeitsgerichts Köln sieht (und wir auch aus Erfahrung wissen), kennen viele Krankenkassen die Rechtsprechung zu einheitlichen Verhinderungsfällen noch gar nicht.

Gibt es die in unserem Beitrag vom 24.03.2025 besprochenen Indizien für einen einheitlichen Verhinderungsfall, sind Arbeitgeber daher gut beraten, sofort aktiv zu werden und die Entgeltfortzahlung erstmal zu verweigern.
 
Fazit:
Wie sich die Rechtsprechung bei zu viel geleisteter Entgeltfortzahlung in Bezug auf Kündigungen und Rückforderungsansprüche weiterentwickelt, bleibt abzuwarten.
So oder so sind Arbeitgeber schon jetzt gut beraten, arbeitsunfähige Beschäftigte nicht zu überzahlen, sondern rechtzeitig Auskunft zu verlangen und von ihrem Zurückbehaltungsrecht bezogen auf Entgeltfortzahlungsansprüche Gebrauch zu machen.

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