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Was meinen Sie: Ist der neue Mindestlohn überhaupt rechtmäßig?

Auf unseren letzten Newsletter „Mindestlohn: Minijob bleibt Minijob“ haben wir viel Resonanz erhalten – dafür ein herzliches Dankeschön!
 
Einige haben uns allerdings gefragt: Ist der Beschluss der Mindestlohnkommission über die neuen Mindestlöhne überhaupt rechtmäßig?
 
Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung, schauen wir uns das Ganze also systematisch an:
 
In § 1 Abs. 2 S. 2 MiLoG heißt es:
 
„Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.“
 
Weiter heißt es in § 9 Abs. 1 und 2 MiLoG (Beschluss der Mindestlohnkommission):

  1. Die Mindestlohnkommission hat über eine Anpassung der Höhe des Mindestlohns bis zum 30. Juni 2023 mit Wirkung zum 1. Januar 2024 zu beschließen. Danach hat die Mindestlohnkommission alle zwei Jahre über Anpassungen der Höhe des Mindestlohns zu beschließen.
  2. Die Mindestlohnkommission prüft im Rahmen einer Gesamtabwägung, welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen sowie Beschäftigung nicht zu gefährden. Die Mindestlohnkommission orientiert sich bei der Festsetzung des Mindestlohns nachlaufend an der Tarifentwicklung

Zwischenergebnis:  Alle zwei Jahre beschließt die Mindestlohnkommission über Anpassungen des Mindestlohns und orientiert sich dabei im Rahmen einer Gesamtabwägung nachlaufend an der Tarifentwicklung. Das Ganze wird dann per Rechtsverordnung umgesetzt.

Nun zum aktuellen Beschluss der Mindestlohnkommission. Darin heißt es zur Begründung wörtlich:

„Dabei hat [die Mindestlohnkommission] sich an den im Mindestlohngesetz und der Geschäftsordnung der Mindestlohnkommission genannten Kriterien orientiert.“

Sie stutzen? Wir auch. Im Gesetz steht als Maßstab für die Orientierung nur die Tarifentwicklung. Wo kommt denn jetzt die Geschäftsordnung als Grundlage für die Entscheidung her?

Die Verfahrensregelungen für die Mindestlohnkommission sind in § 10 MiLoG geregelt. Abs. 4 dieser Vorschrift lautet:

„Die Sitzungen der Mindestlohnkommission sind nicht öffentlich; der Inhalt ihrer Beratungen ist vertraulich. Die Teilnahme an Sitzungen der Mindestlohnkommission sowie die Beschlussfassung können in begründeten Ausnahmefällen auf Vorschlag der oder des Vorsitzenden mittels einer Videokonferenz erfolgen, wenn
1. kein Mitglied diesem Verfahren unverzüglich widerspricht und
2. sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.
Die übrigen Verfahrensregelungen trifft die Mindestlohnkommission in einer Geschäftsordnung.“


Das Gesetz spricht also nur von Verfahrensregelungen als möglichen und zulässigen Inhalten der Geschäftsordnung.

Oder anders ausgedrückt: Die wesentliche Frage, an welchen materiellen Kriterien sich die Mindestlohnkommission orientieren muss, unterliegt dem Gesetzesvorbehalt, darf also nur vom Gesetzgeber vorgegeben werden. Dies hat der Gesetzgeber mit der Regelung in § 9 Abs. 2 MiLoG getan und nur die Tarifentwicklung als Orientierungsmaßstab genannt.

Die Mindestlohnkommission hat sich am 21.01.2025 eine neue Geschäftsordnung gegeben. Darin heißt es in § 2 Abs. 1:

§ 2 Beschlussfassung über die Anpassung des Mindestlohns nach § 9 Mindestlohngesetz (MiLoG)
(1) Kriterien zur Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns:
 
a) Die Mindestlohnkommission orientiert sich zur Festsetzung des Mindestlohns nach § 9 Absatz 2 MiLoG im Rahmen einer Gesamtabwägung nachlaufend an der Tarifentwicklung sowie am Referenzwert von 60 % des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten nach Artikel 5 Absatz 4 sowie an den Kriterien nach Artikel 5 Absatz 2 der EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union (EU-Mindestlohnrichtlinie), um die in § 9 Absatz 2 Satz 1 MiLoG und Artikel 5 Absatz 1 der EU-Mindestlohnrichtlinie genannten Ziele zu erreichen. Sie berücksichtigt zur Anpassung des Mindestlohns den Tarifindex des Statistischen Bundesamtes auf Basis der Stundenverdienste in den beiden vorhergehenden Jahren sowie den vom Statistischen Bundesamt aktuell ermittelten Bruttomedianlohn. Hierbei werden Daten der Lohnentwicklung bis zum Zeitpunkt der beschlussfassenden Sitzung berücksichtigt.
 
b) Von den Kriterien in Buchstabe a) kann die Kommission abweichen, wenn besondere ökonomische Umstände vorliegen und die Kommission daher im Rahmen der Gesamtabwägung zum Ergebnis kommt, dass die genannten Kriterien in dieser Situation nicht geeignet sind, die Ziele des § 9 Absatz 2 Satz 1 MiLoG und Artikel 5 Absatz 1 EU-Mindestlohnrichtlinie zu erreichen.


Schon die Überschrift von Absatz (1) verrät, was kommt: Kriterien für die Anpassung des Mindestlohns, die über das vom Gesetzgeber vorgegebene einzige Kriterium hinausgehen. Besser noch: Man behält sich ausdrücklich vor, auch von diesen selbstbestimmten  Kriterien noch abzuweichen, wenn „besondere ökonomische Umstände vorliegen“.

Das hat mit reinen Verfahrensregeln nicht mehr viel zu tun. Hier hat sich die Mindestlohnkommission über ihren eigentlichen Auftrag selbstbewusst hinweggesetzt.

Rechtlich zulässig ist das nicht. Und bitte verstehen Sie uns nicht falsch: Wir möchten dies nicht als politisches Statement verstanden wissen und auch kein Fass über die Kriterien der Kommission aufmachen.

Es geht allein darum, dass auch in politisch heiß diskutierten Feldern alle Beteiligten an Recht und Gesetz gebunden sind. Das muss gewährleistet sein und eingefordert werden. Auch beim Mindestlohn. Und dessen Erhöhung hätte geringer ausfallen müssen, wenn die Mindestlohnkommission sich - wie es das Gesetz vorsieht - an der Tarifentwicklung orientiert hätte. Und dessen Erhöhung hätte geringer ausfallen müssen, wenn die Mindestlohnkommission sich - wie es das Gesetz vorsieht - an der Tarifentwicklung orientiert hätte.

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