Neues und Hergebrachtes zur außerordentlichen Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden sozialen Auslauffrist
Hauptanwendungsfall der außerordentlichen Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden sozialen Auslauffrist sind Arbeitnehmer mit tariflichem Sonderkündigungsschutz, bei denen ein Kündigungsgrund vorliegt, der nur für eine ordentliche Kündigung reicht. Hauptanwendungsfall sind also betriebsbedingte oder personenbedingte Kündigungen von Arbeitnehmern mit tariflichem Sonderkündigungsschutz.
Die außerordentliche Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist nimmt gewissermaßen eine „Zwitterstellung“ ein. Sie brauchen hierfür einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB, kündigen aber dennoch nicht sofort, sondern mit der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist.
Infolgedessen stellt sich immer wieder die Frage, wo diese Kündigung zu verorten ist, wenn es um die Beteiligung anderer Stellen vor Ausspruch der Kündigung geht. Denn insoweit unterscheidet das Gesetz häufig zwischen außerordentlichen und ordentlichen Kündigungen. Bestes Beispiel hierfür sind die Betriebsratsanhörung und die Zustimmung des Integrationsamtes bei der Kündigung von schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmern.
So hat der Betriebsrat bei einer außerordentlichen Kündigung 3 Tage und bei einer ordentlichen Kündigung eine Woche lang Zeit, zur Kündigung Stellung zu nehmen.
Das Integrationsamt muss bei einer außerordentlichen Kündigung innerhalb von 2 Wochen reagieren; tut es das nicht, gilt die Zustimmung als erteilt, § 91 Abs. 3 SGB IX.
Bei einer ordentlichen Kündigung gibt es eine solche „Zustimmungsfiktion“ des Integrationsamts nicht. Bei einer ordentlichen Kündigung müssen Sie mit der Kündigung also warten, bis Ihnen der schriftliche Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes vorliegt.
Die Frage ist nun, was bei einer außerordentlichen Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist gilt.
- Für die Betriebsratsanhörung hat das Bundesarbeitsgericht schon im Jahr 2006 entschieden, dass in diesem Fall die einwöchige Anhörungsfrist für ordentliche Kündigungen gilt (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.01.2006, Az.: 2 AZR 242/05).
- Für die bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmern außerdem erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes ist das Bundesarbeitsgericht in seinem gerade veröffentlichten Urteil vom 22.10.2015 (Az.: 2 AZR 381/14) jetzt einen anderen Weg gegangen und hat entschieden, dass die Zustimmungsfiktion des § 91 Abs. 3 SGB IX (wenn das Integrationsamt innerhalb von 2 Wochen keine Entscheidung trifft, gilt dessen Zustimmung als erteilt) auch für die außerordentliche Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden sozialen Auslauffrist gilt.
Damit hat das Bundesarbeitsgericht einen schon lange schwelenden Meinungsstreit beendet. Bisher waren die Meinungen darüber, ob die Zustimmungsfiktion nach § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX auch für außerordentliche Kündigungen mit sozialer Auslauffrist gilt, nämlich geteilt.
Und noch etwas hat das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit dem Ausspruch von außerordentlichen Kündigungen nach Zustimmung des Integrationsamts entschieden.
Es hat nämlich außerdem gesagt, dass Arbeitgeber nach Ablauf der dem Integrationsamt zustehenden Zweiwochenfrist dann nicht unverzüglich tätig werden müssen, wenn der außerordentliche Kündigungsgrund ein Dauertatbestand ist. Und das war in der vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Sache deshalb der Fall, weil gegen den Arbeitnehmer eine mehrjährige Haftstrafe, die ein Dauertatbestand ist, verhängt worden war.
Wenn Sie nicht sicher sein können, ob es sich bei Ihrem außerordentlichen Kündigungsgrund um einen solchen Dauertatbestand handelt, sollten bzw. müssen Sie sich nach § 91 Abs. 5 SGB IX mit dem Ausspruch der außerordentlichen Kündigung (ob mit oder ohne soziale Auslauffrist) allerdings sputen.
Insoweit ist zwischen drei Fallkonstellationen zu unterscheiden:
1. Fall: Das Integrationsamt teilt Ihnen innerhalb von zwei Wochen nach Zugang Ihres Zustimmungsantrages schriftlich mit, dass dem Antrag entsprochen wird.
=> Jetzt müssen Sie die Kündigung unverzüglich aussprechen. Da unverzüglich ohne schuldhaftes Zögern heißt, sollten Sie die sichere Zustellung der Kündigung noch am selben Tag veranlassen.
2. Fall: Das Integrationsamt teilt Ihnen innerhalb von zwei Wochen nach Zugang Ihres Zustimmungsantrages mündlich mit, dass die Zustimmung erteilt wird.
=> Hier gilt grundsätzlich das Gleiche wie in Fall 1. Sie sollten also sofort kündigen und nicht erst die Zustellung des schriftlichen Bescheids des Integrationsamtes abwarten. Das ist im Übrigen ein wichtiger Unterschied zwischen der fristlosen Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters und der fristgerechten Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Bei der fristgerechten Kündigung wird auf die Zustellung des schriftlichen Zustimmungsbescheides abgestellt, § 88 Abs. 3 SGB IX. Dem gegenüber müssen Sie die Kündigung nach der Zustimmung zu einer fristlosen Kündigung erklären, sobald die Zustimmung erteilt ist, § 91 Abs. 5 SGB IX und die Erteilung kann auch mündlich geschehen.
3. Fall: Das Integrationsamt meldet sich innerhalb der zwei Wochen gar nicht bei Ihnen.
=> In diesem Fall sind Sie verpflichtet, sich am letzten Tag der Frist telefonisch beim Integrationsamt zu erkundigen, ob eine Entscheidung getroffen wurde. Das ergibt sich aus § 91 Abs. 3 SGB IX, wo es heißt:
„Das Integrationsamt trifft die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tage des Eingangs des Antrages an. Wird innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt.“
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Der Anruf beim Integrationsamt ist also wichtig, um zu erfahren, ob innerhalb der für das Integrationsamt geltenden Zweiwochenfrist eine Entscheidung gefällt wurde oder aber nicht. Da Sie ja unverzüglich handeln müssen, sollten Sie diesen Anruf beim Integrationsamt am letzten Tag der für das Integrationsamt geltenden Zweiwochenfrist, spätestens jedoch am Folgetag tätigen.
Wie es dann weitergeht, hängt davon ab, was das Integrationsamt Ihnen sagt:
- Teilt das Integrationsamt Ihnen mit, dass innerhalb der zwei Wochen keine Entscheidung ergangen ist, sollten Sie an dem auf den Ablauf der Zweiwochenfrist folgenden Tag die fristlose Kündigung zustellen lassen.
- Teilt das Integrationsamt Ihnen auf Ihren Anruf hin mündlich mit, dass die Zustimmung erteilt wurde, können und müssen Sie unverzüglich kündigen, siehe oben Fall 2.
Last but not least möchten wir Ihnen auch nicht vorenthalten, was das Bundesarbeitsgericht zu einer außerordentlichen Kündigung bei Haftstrafen gesagt hat. Das lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
- Eine ordentliche Kündigung kommt in Betracht, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt noch eine Freiheitsstrafe von mehr als 2 Jahren zu verbüßen hat und seine vorherige Entlassung bzw. sein vorheriger Freigang nicht sicher zu erwarten steht.
- Bei einer außerordentlichen Kündigung reichen die 2 Jahre dagegen nicht. Hier kommen nur Haftstrafen in Betracht, die die 2 Jahre (gerechnet vom Kündigungszeitpunkt an) um ein Mehrfaches überschreiten. Dies ist bei einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten, um die es in der vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Sache ging, der Fall.
- Ggfs. kann eine ordentliche Kündigung oder eine außerordentliche Kündigung auch schon bei kürzeren Haftstrafen in Betracht kommen. Dies hängt aber vom Einzelfall und insbesondere davon ab, wie leicht oder besser schwer es Ihnen fällt, den Arbeitsausfall zu überbrücken. Wenn Sie unter die gerade genannten Richtwerte gehen möchten, müssen Sie sich daher darauf einstellen, dass Sie gegenüber dem Arbeitsgericht konkret begründen müssen, warum Sie den Arbeitsausfall auf keinen Fall bis zu der zu erwartenden Entlassung des Arbeitnehmers überbrücken können.
Bettina Steinberg Dr. Mona Geringhoff Lydia Voß
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