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BAG konkretisiert Verdachtsgrad und Erforderlichkeit einer verdeckten Videoüberwachung

(BAG, Urteil vom 20.10.2016, Aktenzeichen 2 AZR 395/15)

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich erneut mit der Verwertung von Erkenntnissen, die im Rahmen einer verdeckten Videoüberwachung gewonnen wurden, auseinandergesetzt. Dabei hat es die Grundsätze aus seinem Urteil vom 22.09.2016, über das wir bereits in unserem Newsletter vom 03. Februar 2017 berichtet hatten, weiter konkretisiert.

 

In der neuen Entscheidung ging es um den folgenden Fall:

Der Kläger war als Kraftfahrzeugmechaniker bei der Beklagten angestellt.Nachdem bei zwei Inventuren ein nicht unerheblicher Fehlbestand von Ersatzteilen festgestellt wurde, untersagte der Arbeitgeber allen Werkstattmitarbeitern, mit Ausnahme der beiden Lageristen, den Zutritt zum Lager und verbot ihnen darüber hinaus, Teile aus den Regalen zu nehmen.

Zudem wurden Gespräche mit den Lagermitarbeitern geführt, die jedoch ebenso wie das Verbot der Betretung nicht zu dem gewünschten Ergebnis führten.

Daraufhin ließ der Arbeitgeber im Lager Videokameras installieren. Hierüber informierte er die zutrittsberechtigten Lageristen, die der Maßnahme zustimmten, nicht aber diejenigen Mitarbeiter, die das Lager aufgrund der Anweisung sowieso nicht betreten durften.

Die Auswertung der Videoaufzeichnungen ergab, dass der Kläger das Ersatzteillager trotz des Verbots betrat, aus dem Regal ein Paket Bremsklötze entnahm und es sodann in seiner Tasche verschwinden ließ.

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis daraufhin fristlos, hilfsweise fristgerecht.

Die gegen diese Kündigungen gerichtete Kündigungsschutzklage begründete der Kläger unter anderem damit, dass das erlangte Videomaterial prozessual nicht verwertbar sei.

Wie schon in der Entscheidung aus September 2016 entschied das BAG zunächst auch hier wieder:

Die Frage der Verwertbarkeit hängt im Wesentlichen an der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Maßnahme nach § 32 BDSG.

Ist die Maßnahme zulässig, ist es die Verwertung auch. Erfüllt die Maßnahme die Voraussetzung des § 32 BDSG hingegen nicht, darf das Gericht die Erkenntnisse auch nicht verwerten.

Unerheblich ist dabei, ob die andere Partei den durch die unrechtmäßige Videoaufzeichnung erlangten Sachvortrag überhaupt bestritten hat. Das BAG begründet diese Erkenntnis damit, dass das Gericht unabhängig vom Parteivorbringen an Recht und Gesetz gebunden ist und daher keine Erkenntnisse verwerten darf, die rechtswidrig erlangt wurden.

Im weiteren Verlauf der Urteilsbegründung setzt sich das Bundesarbeitsgericht detailliert mit den Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG und der Zulässigkeit der Videoüberwachung auseinander.

In § 32 Abs. 1 Satz zwei BDSG heißt es:

„Zur Aufdeckung von Straftaten dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind.“

Aus § 32 BDSG zieht das Bundesarbeitsgericht jetzt folgende weitere und wichtige Schlussfolgerungen für die Zulässigkeit verdeckter Videoüberwachungen:

  • Bezogen auf den „Verdacht“ reicht es aus, dass ein so genannter „Anfangsverdacht“ (also tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat) vorliegt. Nicht erforderlich ist hingegen ein „dringender“ Tatverdacht, der einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit für die Begehung einer Straftat voraussetzt.
  • Außerdem kann sich der Verdacht gegen einen räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Der Verdacht muss sich also nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten.

Auch die verdeckte Videoüberwachung kann in bestimmten Fällen eine weniger einschneidende Maßnahme sein als die offene Videoüberwachung oder Taschenkontrollen. Zu diesem Schluss kam das Bundesarbeitsgericht auch im entschiedenen Fall:

Zum einen hätte eine den Mitarbeitern gegenüber offene Videoüberwachung vermutlich nicht dazu geführt, dass die Straftat aufgedeckt worden wäre. Zum anderen wäre eine Aufklärung durch Taschenkontrollen oder die Visitation von Kleidung nur so möglich gewesen, dass alle Mitarbeiter von dieser Maßnahme betroffen worden wären.

Das ist auch der Grund, aus dem das BAG hier zu dem Ergebnis kam, dass die verdeckte Videoüberwachung ein milderes Mittel als eine Taschenkontrolle war:

Da im vorliegenden Fall ein Betretungsverbot für alle Mitarbeiter mit Ausnahme der Lageristen ausgesprochen worden war, betraf die verdeckte Videoüberwachung nur diejenigen Personen, die gegen das ausdrückliche Verbot verstoßen hatten. Demgegenüber hätten sich Taschenkontrollen auf alle Mitarbeiter beziehen müssen.

Anmerkung:

Unsere neuen Newsletter-Abonnenten finden diesen Newsletter aus Februar 2017, in dem wir das Urteil vom 22.09.2016 kommentiert haben, unter:

http://www.vonderseipen.de/de/blog/177-bundesarbeitsgericht-zur-verwertung-von-zufallsfunden-aus-verdeckter-videoueberwachung

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