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Wann schaden Vorbeschäftigungen einer Befristung ohne sachlichen Grund

Nachdem das Bundesverfassungsgericht am 06.06.2018 entschieden hatte, dass ein Arbeitnehmer, der ohne sachlichen Grund befristet beschäftigt werden soll, grundsätzlich noch nie in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber gestanden haben darf, ist es umso wichtiger geworden, dass sich die betriebliche Praxis mit "schädlichen" Vorbeschäftigungen auseinandersetzt.

1. Ein leichtes Unterfangen ist das nicht, hat das Bundesverfassungsgericht die Ausnahmen vom Vorbeschäftigungsverbot doch nur sehr allgemein formuliert.
Als Ausnahmen vom Vorbeschäftigungsverbot kommen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 06.06.2018 folgende Fallkonstellationen in Betracht:

  • Die Vorbeschäftigung liegt sehr lange zurück.  
  • Die Vorbeschäftigung war ganz anders geartet oder nur von sehr kurzer Dauer; das betrifft laut Bundesverfassungsgericht geringfügige Nebenbeschäftigungen während der Schul-, Studien- oder Familienzeit, bei Werkstudierenden und studentischen Mitarbeitern im Rahmen ihrer Berufsqualifizierung oder bei einer erzwungenen oder freiwilligen Unterbrechung des Erwerbslebens und einer damit einhergehenden beruflichen Neuorientierung und einer Aus- und Weiterbildung. 

Besondere Kopfschmerzen bereitet der betrieblichen Praxis die erste Fallgruppe und damit die Frage, wann eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt.

Durch das gerade veröffentlichte Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17.04.2019 (Az.: 7 AZR 323/17) scheint sich der Nebel zu lichten.
In diesem Urteil hat das Bundesarbeitsgericht nämlich entschieden, dass eine Vorbeschäftigung von 15 Jahren kein sehr lange zurückliegender Zeitraum ist. 

Die Begründung, die das Bundesarbeitsgericht hierfür gibt, deutet allerdings darauf hin, dass eine Vorbeschäftigung, die 20 Jahre zurückliegt, ein ausreichend langer Zeitraum ist, um ein Arbeitsverhältnis erneut ohne sachlichen Grund zu befristen.

Das Bundesarbeitsgericht sagt nämlich:

  • Ein Erwerbsleben dauert in der Regel 40 Jahre. Ließe man eine 15-jährige Vorbeschäftigung für eine erneute Befristung ohne sachlichen Grund genügen, könnte ein Arbeitnehmer dreimal ohne sachlichen Grund befristet beschäftigt werden, und dreimal sei zu viel. 
  • Ein Blick auf die in § 622 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches verankerten Kündigungsfristen zeige, dass der Gesetzgeber die längste Kündigungsfrist erst bei einer Beschäftigungsdauer von 20 Jahren eingreifen lässt.

Wenn man dann noch bedenkt, dass das Bundesarbeitsgericht in seinem bislang erst als Pressemitteilung veröffentlichten Urteil vom 21.08.2019 (Az.: 7 AZR 452/17) entschieden hat, dass eine 22 Jahre zurückliegende Vorbeschäftigung ein sehr lange zurückliegender Zeitraum ist, lässt das unseres Erachtens nur einen Schluss zu:

Der neue Richtwert, ab dem eine erneute Befristung ohne sachlichen Grund wieder möglich ist, wird 20 Jahre heißen.
Bei einer Unterbrechung von mindestens 20 Jahren kann es in einem normalerweise 40 Jahre dauernden Arbeitsleben auch bloß zwei sachgrundlose Befristungen geben; die Gefahr der Kettenbefristung ist damit gebannt.

Ob unsere Prognose zutrifft, werden wir wissen, wenn auch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.08.2019 im Volltext vorliegt. Spätestens dann kommen wir auf das Thema zurück.

Was folgt daraus voraussichtlich für die betriebliche Praxis?

  • Vorbeschäftigungen, die nicht länger als 20 Jahre zurückliegen, machen eine erneute Befristung ohne sachlichen Grund unwirksam. Hiervon betroffen sind die vielen Unternehmen, die weniger als 20 Jahre zwischen zwei sachgrundlosen Befristungen gewartet haben, weil sie auf die vorherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vertrauten, wonach bereits eine Unterbrechung von mehr als drei Jahren ausreichen sollte. 
    Vertrauensschutz genießen diese Arbeitgeber nicht, und auch das hat das Bundesarbeitsgericht schon entschieden.
    Wenn Sie zu diesen Arbeitgebern gehören, kann Ihnen nur eines helfen und das wäre die bei der erneuten Befristung an die Arbeitnehmer gerichtete Frage, ob sie schon mal für dasselbe Unternehmen gearbeitet haben.
    Wenn die Arbeitnehmer diese Frage nämlich fälschlicherweise mit "Nein" beantwortet haben, könnten Sie die letzte Befristung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Absatz 1, 1. Alternative des Bürgerlichen Gesetzbuches anfechten (wenn der Arbeitnehmer mit Vorsatz falsch geantwortet hat) oder sich auf § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches berufen (wenn dem Arbeitnehmer bloß Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann). 
  • Für die Zukunft werden Personalabteilungen gut beraten sein, die für die Beurteilung einer Vorbeschäftigung relevanten Grunddaten von Arbeitnehmern ausreichend lange zu speichern. Mit Blick auf Artikel 17 Absatz 3 b) e) der Datenschutzgrundverordnung dürfte die Speicherung mit Blick auf diese Rechtsprechung auch zulässig sein.

2. Die Frage nach einer Vorbeschäftigung kann sich auch in folgendem Fall stellen:
Sie schließen mit einem Arbeitnehmer, der vorher noch nie für Ihr Unternehmen tätig war, am 10.10.2019 einen ohne sachlichen Grund befristeten Arbeitsvertrag, der am 02.11.2019 beginnen soll.
Da Sie den Arbeitnehmer dann schon früher brauchen, vereinbaren Sie mit ihm am 15.10.2019 (also fünf Tage nach Abschluss des ersten Vertrages), dass das ohne sachlichen Grund befristete Arbeitsverhältnis nun schon am 21.10.2019 beginnt.

Auch das ist eine Frage der Vorbeschäftigung. Denn als Sie am 15.10.2019 die Vereinbarung über die Befristung geändert haben, gab es ja schon den Vertrag vom 10.10.2019 über einen Arbeitsbeginn am 02.11.2019.

Oder allgemeiner gefragt: Worauf kommt es bei der Vorbeschäftigung an? Auf den Abschluss des Vertrages oder auf den vereinbarten Beschäftigungsbeginn?

In seinem gerade veröffentlichten Urteil vom 12.06.2019 (Az.: 7 AZR 548/17) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden: Es kommt nicht auf den Vertragsschluss, sondern auf den vereinbarten Beschäftigungsbeginn an. Wenigstens etwas.

3. Außerdem stellt sich die Frage, ob echte Einstellungsbedingungen in befristeten Arbeitsverträgen schädliche Vorbeschäftigungen sind.

Die Frage, ob es sich bei den Einstellungsbedingungen (Juristen sprechen hier von aufschiebenden Bedingungen) um schädliche Vorbeschäftigungen handelt, stellt sich vor allem dann, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit vertragsgemäß aufgenommen hat, bevor die Frist für beispielsweise die Vorlage einer Bescheinigung abgelaufen ist. Denn dann war er ja bereits tätig, bevor der befristete Arbeitsvertrag volle Wirksamkeit entfaltet.

In seinem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 05.06.2018 (Az.: 15 Sa 1566/16) hat das Landesarbeitsgericht Hessen die Frage folgendermaßen beantwortet:

Solche aufschiebenden Einstellungsbedingungen machen eine Befristung ohne sachlichen Grund nicht kaputt.
Begründung der hessischen Landesarbeitsrichter: Arbeitnehmer werden in einer solchen Konstellation nicht auf Basis eines anderen, sondern desselben Arbeitsvertrages tätig.

Um auf Nummer sicher zu gehen, hat das Landesarbeitsgericht Hessen allerdings die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Sobald das Bundesarbeitsgericht in dieser Frage das letzte Wort gesprochen hat, werden wir das Thema noch einmal aufgreifen.

Für alle Arbeitgeber, die mit solchen Einstellungsbedingungen arbeiten, hat das hessische Landesarbeitsgericht noch eine weitere wichtige Feststellung getroffen. Es hat nämlich außerdem gesagt, dass für solche aufschiebenden Bedingungen (anders als für auflösende Bedingungen) kein sachlicher Grund erforderlich ist.

Begründung: Bei aufschiebenden Bedingungen besteht keine Gefahr, dass Kündigungsschutzvorschriften umgangen werden.

Allerdings können bzw. müssen die Arbeitsgerichte prüfen, ob die aufschiebende Bedingung wirksam ist. Je nach Tätigkeit kann das gerade bei Führungszeugnissen bekanntlich ein Problem sein.

Wenn Sie Fragen hierzu haben, melden Sie sich bitte.

 

Bettina Steinberg          Dr. Mona Geringhoff          Lydia Voß

 

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