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Grundsatzentscheidung zur stufenweisen Wiedereingliederung

In seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung vom 16.05.2019 (Az.: 8 AZR 530/17) hat das Bundesarbeitsgericht einige grundlegende Feststellungen zur stufenweisen Wiedereingliederung von Arbeitnehmern getroffen.

Wir möchten die wesentlichen Aussagen des Bundesarbeitsgerichts in gewohnter Manier für Sie zusammenfassen und Ihnen bei der Gelegenheit auch einige Hinweise zum Verhältnis zwischen der stufenweisen Wiedereingliederung und dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) geben.

1. Die Grundaussagen des Bundesarbeitsgerichts zur stufenweisen Wiedereingliederung

Die stufenweise Wiedereingliederung (auch Hamburger Modell genannt) ist eine ärztlich empfohlene Maßnahme, mit der Arbeitnehmer stufenweise an die Belastung ihres Arbeitsplatzes herangeführt werden sollen. Auf der ersten Stufe nimmt der Arbeitnehmer die Arbeit zunächst nur stundenweise wieder auf. Auf den nächsten Stufen wird die Arbeitszeit bzw. Arbeitsbelastung dann sukzessive gesteigert (§§ 74 SGB V, 44 SGB IX).
 
Zur stufenweisen Wiedereingliederung sagt das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 16.05.2019:

  • Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Mitwirkung an einer stufenweisen Wiedereingliederung.
     
  • Ausnahme sind schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer: Diese Arbeitnehmer können vom Arbeitgeber nach § 164 Absatz 4 SGB IX (früher: § 81 Absatz 4 SGB IX) verlangen, an ihrer stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken.

    Geschieht dies nicht, drohen dem Arbeitgeber Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers.
     
  • Der Anspruch schwerbehinderter oder gleichgestellter Arbeitnehmer auf eine stufenweise Wiedereingliederung setzt voraus, dass dem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt wird, aus der sich Folgendes ergibt:

    - Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung
    - evtl. Beschäftigungseinschränkungen
    - Umfang der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit
    - Dauer der Maßnahme
    - Prognose, wann voraussichtlich mit der Wiederaufnahme der Tätigkeit zu rechnen ist

    Selbst schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer haben mit anderen Worten keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung ohne Einhaltung der vorgenannten Voraussetzungen.
     
  • Laut Bundesarbeitsgericht muss die stufenweise Wiedereingliederung nicht zwingend auf dem bisherigen Arbeitsplatz erfolgen; auch eine stufenweise Wiedereingliederung mit einer geänderten Tätigkeit ist also denkbar, wobei sich die Änderungen aus der ärztlichen Bescheinigung ergeben müssen.
     
  • Die stufenweise Wiedereingliederung muss der Genesung des Arbeitnehmers zuträglich und darf ihr nicht abträglich sein. Liegen medizinische Erkenntnisse vor, wonach die empfohlene Wiedereingliederung (z.B. was die Art der Beschäftigung anbelangt) dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers abträglich wäre, können Sie als Arbeitgeber die stufenweise Wiedereingliederung ausnahmsweise verweigern. Ein Schadensersatzanspruch besteht dann wie in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall, in dem dem Arbeitgeber eine gegenläufige betriebsärztliche Stellungnahme vorlag, nicht. Das Bundesarbeitsgericht sagt aber auch, dass der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet ist, an der Klärung sich widersprechender ärztlicher Stellungnahmen mitzuwirken.
     
  • Die stufenweise Wiedereingliederung ist kein Arbeitsverhältnis. Die stufenweise Wiedereingliederung ist vielmehr eine Maßnahme der Rehabilitation. Aus diesem Grund schulden Sie dem Arbeitnehmer während der stufenweisen Wiedereingliederung kein Arbeitsentgelt.

Wir halten also fest: Schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer haben grundsätzlich einen Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung. Andere Arbeitnehmer haben einen solchen Anspruch nicht.
 
2. Verhältnis zum BEM

Bleibt die Frage, in welchem Verhältnis stufenweise Wiedereingliederung und Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) stehen.

Die Beantwortung der Frage ist deshalb wichtig, weil Arbeitnehmer, die per ärztlichem Attest um eine stufenweise Wiedereingliederung bitten, in der Regel zugleich die Voraussetzungen für ein BEM nach § 167 Absatz 2 SGB IX erfüllen.
 
Die Antwort lautet: Die Zustimmung zu einer vom Arbeitnehmer vorgeschlagenen stufenweisen Wiedereingliederung ist kein ordnungsgemäßes BEM.

Ein ordnungsgemäßes BEM muss nämlich von Ihnen als Arbeitgeber unter Einhaltung bestimmter Formalien eingeleitet werden.

Wenn ein Arbeitnehmer Ihnen eine stufenweise Wiedereingliederung vorschlägt, sollten Sie das also zum Anlass nehmen, ihn ordnungsgemäß zu einem BEM einzuladen und die stufenweise Wiedereingliederung oder eine andere erfolgversprechendere Maßnahme am Ende des BEM zu beschließen.
 
Bleibt immer noch folgende Frage: Haben nicht-schwerbehinderte oder nicht-gleichgestellte Arbeitnehmer wenigstens Anspruch auf ein BEM, wenn sie schon keinen Anspruch auf eine stufenweise Wiedereingliederung haben?

Die Antwort auf diese Frage ist leider umstritten und noch nicht höchstrichterlich geklärt.

In der Praxis spielt dieser Meinungsstreit bislang allerdings kaum eine Rolle, da es kaum Arbeitnehmer gibt, die den Arbeitgeber zu einem BEM auffordern. In der Regel liegt das Interesse an der Durchführung des BEM beim Arbeitgeber, da jeder Arbeitgeber weiß, dass ohne ordnungsgemäßes BEM eine krankheitsbedingte Kündigung unmöglich ist.

Bei weiteren Fragen hierzu sprechen Sie uns gerne an.


Bettina Steinberg          Dr. Mona Geringhoff          Lydia Voß

 

 

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