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Krankschreibung per Mausklick: Die Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Die Digitalisierung macht auch vor dem Gesundheitswesen nicht Halt. Das Stichwort lautet „E-Health“. Das Angebot reicht von Gesundheitsportalen und Gesundheits-Apps über Online-Apotheken bis hin zu Videosprechstunden und nun auch Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen („Online-AUB“).

Hintergrund der Online-AUB ist eine Lockerung des Fernbehandlungsverbots für Ärzte. Durch den 121. Deutschen Ärztetag am 10.05.2018 und den Beschluss der Bundesärztekammer vom 14.12.2018 wurde das bis dato geltende Fernbehandlungsverbot dahingehend gelockert, dass „Kommunikationsmedien unterstützend“ eingesetzt werden können und eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien „im Einzelfall erlaubt“ ist, „wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt, insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird“.
 
Selbstdiagnose auf AU-Schein.de
Diese Änderung des ärztlichen Berufsrechts hat sich ein Hamburger Jurist zu Nutze gemacht und das Start-up „AU-Schein“ gegründet. Arbeitnehmer können sich hier für 14 Euro durch einen kurzen Fragebogen klicken, der typische Symptome, Art und Umfang der Beschwerden abfragt. Ein Arzt prüft die eingegebenen Antworten auf ihre Plausibilität und stellt dem Kunden bei positivem Befund in der Regel noch am selben Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im PDF-Format zur Verfügung. Die Diagnose erfolgt allein anhand des ausgefüllten Fragebogens, den Patienten bekommt der Arzt nicht zu Gesicht – auch nicht per Video. Für weitere 8 Euro können sich die Kunden das Originaldokument per Post zusenden lassen.
 
Derzeit bietet AU-Schein.de Krankschreibungen für Erkältungen, Regelschmerzen, Rückenschmerzen, Stress, Migräne und Blasenentzündungen an. Die Webseite wirbt mit über 30.000 Krankschreibungen und einer hohen Akzeptanz bei Arbeitgebern. Missbrauch werde durch Beschränkungen des Services vorgebeugt. Eine Krankschreibung durch AU-Schein.de ist für Erkältung 4 Mal im Jahr möglich, für Rückenschmerzen 2 Mal und für Regelschmerzen bis zu 17 Mal im Jahr.
 
Müssen Arbeitgeber die Online-AUB akzeptieren?
Mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung weist der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber seine Arbeitsunfähigkeit nach. Nach der Rechtsprechung des BAG besteht bei der Vorlage einer ordnungsgemäß erstellten AUB die tatsächliche Vermutung für eine Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert nur bei ernsthaften und begründeten Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit erschüttern, z. B. bei vorheriger Ankündigung des Fernbleibens, Arbeitsunfähigkeit in Zeiten nicht gewährten Urlaubs oder wenn die AUB ohne vorhergehende ärztliche Untersuchung ausgestellt wird.
 
Ob auch der Online-AUB ein solch hoher Beweiswert zukommt, wird höchst unterschiedlich beurteilt. Meinung 1 sagt, dass man der Online-AUB wegen der Lockerungen des Fernbehandlungsverbotes ihren Beweiswert nicht per se absprechen könne. Meinung 2 (das sind insbesondere etliche Ärztekammern) haben dem gegenüber bereits Skepsis an der Zulässigkeit der Online-AUB geäußert.
 
Die Befürworter der ersten Meinung sehen auch in der Diagnose anhand des Fragenkatalogs eine ärztliche Untersuchung im Sinne der Rechtsprechung. Für die Skeptiker und Vertreter von Meinung 2 liegt der Online-AUB keine Untersuchung zugrunde, so dass der Online-AUB kein Beweiswert zukommen könne.
 
Rechtsprechung gibt es hierzu noch keine. Dass die Gerichte der Online-AUB den gleichen Beweiswert wie der herkömmlichen AUB zusprechen, erscheint unseres Erachtens zweifelhaft. Gegen die Richtigkeit einer Online-AUB spricht nicht nur das erhebliche Missbrauchsrisiko, das mit der fehlenden Inaugenscheinnahme des Patienten einhergeht. Gegen die Richtigkeit spricht auch die Gefahr von Fehldiagnosen; denn immerhin beruht die vom Arzt gestellte Diagnose auf der Selbsteinschätzung eines medizinischen Laien, ohne die Möglichkeit für individuelle Rückfragen beim Patienten oder weitere Untersuchungen.
 
Was können Arbeitgeber tun?
Die erste und wohl größte Herausforderung besteht darin, eine Online-AUB überhaupt zu erkennen. Hier kann ein Blick auf die Details helfen, etwa dass stets ein anderer Arzt die AUB ausstellt, die Praxis ungewöhnlich weit vom Wohnort des Arbeitnehmers entfernt ist (z. B. anderes Bundesland) oder die AUB in digitaler Form übersendet wird.
 
Ist die Online-AUB erst einmal erkannt, stellt sich die Frage, ob sie zurückgewiesen und der Arbeitnehmer zur Vorlage weiterer Nachweise für eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit aufgefordert werden soll. Der fehlende Nachweis der Arbeitsunfähigkeit bedeutet unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit und kann für den Arbeitnehmer erhebliche arbeitsrechtliche Konsequenzen haben.
 
In Anbetracht der noch ungeklärten Rechtslage und um nicht in die Bredouille zu gelangen, den Beweiswert der Online-AUB vor Gericht klären zu lassen, empfehlen wir Ihnen Vorsorge statt Nachsorge. Das bedeutet: Weisen Sie Arbeitnehmer vorab darauf hin, dass eine Online-AUB nicht akzeptiert wird. Dies kann im Arbeitsvertrag, als Aushang oder im Intranet geschehen.
 
Ein kleiner Ausblick zum Schluss
Auch der Gesetzgeber hat die AUB in Angriff genommen. Zum 01.01.2022 wird ein einheitliches und verbindliches elektronisches Verfahren zur Übermittlung von Arbeitsunfähigkeitsdaten durch die Ärzte an die Krankenkassen eingeführt.
 
Zwar muss sich der Arbeitnehmer nach dem neuen Gesetz im Falle einer Krankheit nach wie vor beim Arzt vorstellen. Allerdings entfällt für gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer die Pflicht zur Einreichung des „gelben Zettels“ sowohl bei der Krankenkasse als auch beim Arbeitgeber. Der Arzt übermittelt die Daten elektronisch an die Krankenkassen und der Arbeitgeber kann bei den Krankenkassen die Daten zu Beginn und Dauer der Arbeitsunfähigkeit sowie über den Zeitpunkt des Auslaufens der Entgeltfortzahlung elektronisch abrufen. Bei der Mitteilungspflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber (sog. Anzeigepflicht) bleibt alles beim Alten.

Wenn Sie Fragen hierzu haben, sprechen Sie uns gerne an.
 
 
Bettina Steinberg          Dr. Mona Geringhoff          Lydia Voß

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