Wichtig: Aktuelles zum Thema Mindestlohn
Heute soll es um zwei aktuelle und vor allem auch praxisrelevante Urteile zum Thema Mindestlohn gehen.
1. Können jährliche Sonderzahlungen zur Erfüllung des Mindestlohns in monatliche Zahlungen umgewandelt werden? Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 11.01.2024 (Az.: 3 Sa 4/23)
Ab dem 01.01.2025 wird der gesetzliche Mindestlohn auf EUR 12,82/Std. steigen.
Und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat ja bereits angekündigt, dass der gesetzliche Mindestlohn ab 2026 notfalls per Gesetz (was allerdings fragwürdig ist) auf EUR 15,-/Std. angehoben werden soll.
Der ein oder andere Arbeitgeber wird daher möglicherweise auf die Idee kommen, der Erhöhung des Mindestlohns dadurch Rechnung zu tragen, dass Einmalzahlungen (insbesondere Urlaubs- und/oder Weihnachtsgeld) nicht mehr einmal pro Jahr, sondern anteilig pro Monat ausgezahlt werden.
Die Preisfrage ist natürlich: Können Arbeitgeber das einfach so machen?
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat diese Frage per Urteil vom 11.01.2024 (Az.: 3 Sa 4/23) mit nein beantwortet.
Damit haben die baden-württembergischen Landesarbeitsrichter eine sehr umstrittene Frage zu Lasten der Arbeitgeber beantwortet.
Bei der Antwort auf diese Frage kann man nämlich durchaus geteilter Meinung sein.
Grund dafür ist § 271 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Dort heißt es:
„Ist eine Zeit bestimmt, so ist im Zweifel anzunehmen, dass der Gläubiger die Leistung nicht vor dieser Zeit verlangen, der Schuldner aber sie vorher bewirken kann.“
Die Vorschrift besagt platt gesprochen, dass der Schuldner (hier also der Arbeitgeber) im Zweifel berechtigt ist, eine Leistung schon vor der eigentlichen Fälligkeit zu bewirken.
Überträgt man diese Regelung z. B. auf ein erst im Dezember fälliges Weihnachtsgeld, würde das bedeuten, dass der Arbeitgeber dieses Weihnachtsgeld im Zweifel schon vor Dezember und auch in monatlichen Teilbeträgen in dem Zeitraum von Januar bis Dezember leisten kann.
Die baden-württembergischen Landesarbeitsrichter sehen das anders. Sie sind der Meinung, dass die Zweifelsregelung hier nicht greift, weil die monatliche Auszahlung eindeutig nicht im Interesse der Beschäftigten liegt.
Ohne die Umwandlung wäre das Weihnachtsgeld (um in dem Beispiel zu bleiben) nämlich nur in dem Monat mindestlohnrelevant, in dem es gezahlt wird, in den Vormonaten dagegen nicht.
Wandelt man Einmalzahlungen dagegen in monatliche Teilzahlungen um, sind sie Monat für Monat auf den Mindestlohn anrechenbar. Für Beschäftigte ist die Umwandlung also ein schlechtes Geschäft.
Und deshalb sollen Arbeitgeber nach Meinung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg nicht befugt sein, Einmalzahlungen ohne Vereinbarung mit den Beschäftigten in monatliche Zahlungen umzuwandeln.
Eben weil die Frage sehr umstritten ist, hatte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.
Leider wurde keine Revision eingelegt; das Bundesarbeitsgericht wird daher keine Gelegenheit haben, den Streit final zu entscheiden.
Bekräftigt wurde in dem Urteil außerdem, dass Arbeitgeberzuschüsse zu vermögenswirksamen Leistungen (VWL) sowie Fahrtkostenzuschüsse nicht mindestlohnrelevant sind, da sie keine unmittelbare Gegenleistung für die von Beschäftigten erbrachten Leistungen sind.
Einen Überblick, was auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechenbar ist und was nicht, hatten wir z. B. in unserem Newsletter vom 21.10.2016 gegeben.
2. Vorsicht bei außergerichtlichen Vergleichen zu Überstunden! Landesarbeitsgericht Hessen, Urteil vom 28.04.2023 (Az.: 14 Sa 582/22)
Sie alle kennen das: Das Arbeitsverhältnis endet und Beschäftigte verlangen noch die Bezahlung von zig Überstunden.
In dem ein oder anderen Fall liegt es nahe, sich aus prozessökonomischen Gründen ohne gerichtliche Auseinandersetzung mit den Beschäftigten zu vergleichen.
So war es auch in dem vom Landesarbeitsgericht Hessen per Urteil vom 28.04.2023 (Az.: 14 Sa 582/22) entschiedenen Fall:
Die Arbeitnehmerin hatte 569,25 Überstunden geltend gemacht. Bezahlen wollte der Arbeitgeber hiervon aber maximal 100 Überstunden.
Damit gab sich die Arbeitnehmerin zunächst zufrieden. Da der Arbeitgeber clever war, vereinbarte er in dem Vergleich mit der Arbeitnehmerin nicht, dass sie für 569,25 Überstunden nur einen Überstundenausgleich erhält, der 100 Überstunden entspricht. Er vereinbarte vielmehr, dass sich die Parteien einig seien, dass die Arbeitnehmerin bloß 100 vergütungspflichtige Überstunden geleistet habe und hierfür auch bezahlt werde; wir Juristen nennen das einen sogenannten Tatsachenvergleich.
Warum der Arbeitgeber den Tatsachenvergleich gemacht hat, lag angesichts des geringen Einkommens der Arbeitnehmerin auf der Hand: Hätte er der Arbeitnehmerin für 569,25 Überstunden bloß eine 100 Überstunden entsprechende Vergütung bezahlt, hätte er aufgrund des niedrigen Einkommens der Arbeitnehmerin ein offensichtliches Problem mit dem Mindestlohngesetz gehabt.
Dieses Problem wollte er dadurch umschiffen, dass er sich mit ihr darüber verständigt, dass sie nur 100 vergütungspflichtige Überstunden geleistet hat.
Denn mit dem Mindestlohn bezahlt werden müssen bekanntlich nur tatsächlich erbrachte Arbeitsleistungen sowie Fälle der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht.
Dumm nur, dass die Arbeitnehmerin es sich hinterher anders überlegte und doch für weitere Überstunden bezahlt werden wollte.
Sie klagte also trotz des außergerichtlichen Vergleichs.
Und, nicht nur das: Sie hatte damit auch Erfolg!
Sie konnte vor Gericht 387 dieser Überstunden darlegen und beweisen und bekam für 387 Überstunden minus 100 bereits „verglichener“ Überstunden den gesetzlichen Mindestlohn.
Die hessischen Landesarbeitsrichter haben ihre Entscheidung wie folgt begründet:
- Der Mindestlohn darf auch bei außergerichtlichen Vergleichen nicht unterschritten werden.
Eine Unterschreitung des Mindestlohns ist nur bei gerichtlichen Vergleichen erlaubt, § 3 Satz 2 des Mindestlohngesetzes. - Eine Unterschreitung des Mindestlohns ist auch nicht per Tatsachenvergleich möglich. Vielmehr steht § 3 Absatz 1 Satz 1 des Mindestlohngesetzes der Wirksamkeit von außergerichtlichen Tatsachenvergleichen entgegen, soweit diese den Mindestlohnanspruch beschränken.
Was lernen wir daraus?
- Bei außergerichtlichen Vergleichen über Überstunden oder andere vergütungspflichtige Zeiten sollte immer eine Schattenrechnung gemacht werden. Die Schattenrechnung muss in 2 Schritten erfolgen:
Zunächst muss die in den Monaten, für die Überstunden geltend gemacht werden, inklusive Überstunden geleistete Arbeitszeit mit dem Mindestlohn multipliziert werden, Schritt 1.
Anschließend muss der Betrag, der dabei herausgekommen ist, mit der gezahlten Monatsvergütung verglichen werden, Schritt 2.
Ist das Ergebnis von Schritt 2, dass die bereits gezahlte Vergütung unter dem Mindestlohn liegt, muss der außergerichtliche Vergleich so ausgestattet werden, dass der gesetzliche Mindestlohn in den jeweiligen Monaten erreicht wird. - Wem das zu kompliziert ist, sollte sich verklagen lassen und, wenn an den Überstunden was dran ist, sich im Gütetermin vergleichen.
- Tatsachenvergleiche sind gefährlich. Das gilt übrigens nicht nur für Tatsachenvergleiche bei Überstunden. Das gilt beispielsweise auch für Tatsachenvergleiche über bereits in Anspruch genommene Urlaube, sofern der gesetzliche Mindesturlaub betroffen ist. Darüber hatten wir bereits in unserem Newsletter vom 26.07.2024 berichtet.
Es ist also mal wieder alles gar nicht so leicht.
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