Die selbstverschuldete Krankheit
Arbeitnehmer haben nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von 6 Wochen, wenn sie infolge Krankheit unverschuldet arbeitsunfähig sind.
Häufig stellen uns Personalverantwortliche die Frage, wann eine Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitnehmer verschuldet ist, so dass keine Entgeltfortzahlung geleistet werden muss.
Unsere Antwort lautet dann: „Fast nie“.
Es gibt aber Ausnahmen. Über eine solche Ausnahme hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein am 22.05.2025 (Az.: 5 Sa 284 a/24) zu entscheiden.
Bevor wir zu der Ausnahme kommen, sprechen wir über den Grundsatz:
Ein Arbeitnehmer handelt nur dann „schuldhaft“ im Sinne des EFZG, wenn er in besonders grober Weise gegen sein eigenes Interesse verstößt (s.g. Verschulden gegen sich selbst).
Es geht dabei nicht um das allgemeine Verschulden nach § 276 BGB, das sich auf das Verhalten gegenüber anderen Personen bezieht. Stattdessen ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer sich selbst gegenüber in einer Weise gehandelt hat, die offensichtlich unvernünftig, besonders leichtsinnig oder gar vorsätzlich war – z. B. wenn er seine Gesundheit bewusst aufs Spiel setzt und dadurch arbeitsunfähig wird.
▶ In diesem Zusammenhang kommt oft die Frage nach Sportunfällen, die aber selten als Verschulden gegen sich selbst zu qualifizieren sind.
Die Gerichte unterscheiden zwischen gefährlichen und nicht gefährlichen Sportarten.
➡ Ein Sportunfall bei ungefährlichen Sportarten (das klassische Beispiel hier ist natürlich der Fußball) ist nicht verschuldet.
➡ Ein Unfall bei gefährlichen Sportarten kann verschuldet sein.
Bislang hat die Rechtsprechung aber nur Kickboxen (ArbG Hagen, Urteil v. 15.09.1989, Az.: 4 Ca 648/87) als derart gefährliche Sportart eingeordnet.
Wohl nicht besonders gefährlich sind hingegen Skifahren (LAG Bremen, Urteil v. 20.08.1963, Az.: 2 Sa 53/63), Amateurboxen (BAG, Urteil v. 01.12.1976, Az.: 5 AZR 601/75) und Skispringen (LAG München, Urteil v. 03.05.1972, Az.: 4 Sa 536/71).
▶ Die Teilnahme an Schlägereien führt nur dann zu einem Verschulden, wenn der Arbeitnehmer die Schlägerei selbst begonnen oder provoziert hat.
Nicht ausreichend ist hingegen, dass sich ein Arbeitnehmer in eine Situation begibt, in der es immer wieder zu Schlägereien kommt.
▶ Verkehrsunfälle führen nur dann zu einer verschuldeten Arbeitsunfähigkeit, wenn der Arbeitnehmer die Verkehrsregeln in besonders grobem Maß verletzt (z.B., weil er keinen Sicherheitsgurt verwendet hat und deshalb besonders schwer verletzt wurde).
▶ Operative Eingriffe können dann zum Ausschluss des Entgeltfortzahlungsanspruchs führen, wenn sie ausschließlich die individuelle Lebensgestaltung des Arbeitnehmers betreffen und nicht zum allgemeinen Krankheitsrisiko gehören.
➡ Mit dieser Begründung wurde vom BAG die Entgeltfortzahlung im Falle einer vorhersehbaren Arbeitsunfähigkeit durch eine In-vitro-Fertilisation (IVF) abgelehnt; die Behandlung einer ungewollten Kinderlosigkeit gelte nicht als Krankheit im Sinne des EFZG (BAG, Urteil vom 26.10.2016, Az.: 5 AZR 167/16).
➡ Das gleiche gilt für – arbeitstechnisch gesehen nicht erforderliche - operative Eingriffe zur Korrektur einer Kurzsichtigkeit. Sie begründen grundsätzlich keinen Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz; auch hier spielt das Thema „individuelle Lebensgestaltung“ eine entscheidende Rolle.
Das LAG Schleswig-Holstein hat nun einen weiteren Fall gefunden, in dem der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern kann: Die Komplikationen einer Tätowierung.
Wörtlich sagt das LAG:
„Nach einer Tätowierung muss damit gerechnet werden, dass sich die tätowierte Hautstelle entzündet. Diese Komplikation wird bei Einwilligung in die Tätowierung billigend in Kauf genommen.
Führt diese Komplikation zur Arbeitsunfähigkeit, besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, da den Arbeitnehmer ein Verschulden an der Arbeitsunfähigkeit trifft.“
Auch wenn die Hürden für ein selbstverschuldetes Kranksein hoch sind, sollten Arbeitgeber Krankheitsursachen im Blick behalten.
Nur wer seine Gesundheit in grob fahrlässiger Weise aufs Spiel setzt, riskiert den Anspruch auf Lohnfortzahlung – und nur wer als Arbeitgeber nah an seinen Beschäftigten ist, erfährt auch davon.
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