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Schwerbehinderte Menschen im Bewerbungsprozess Teil 2 – Die bloße Veröffentlichung einer Stellenanzeige in der Jobbörse der Arbeitsagentur reicht nicht!

Unser heutiges Thema ist mindestens genauso praxisrelevant wie die neuen Fallstricke bei Online-Bewerbungsportalen, über die wir in Teil 1 unserer kleinen Reihe berichtet hatten.

Denn wir wissen aus Erfahrung, dass viele Arbeitgeber – wenn überhaupt – ihre Jobangebote nur über die Jobbörse der Arbeitsagentur veröffentlichen.
Und das reicht nicht, wie das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in seinem kürzlich im Volltext veröffentlichten Urteil vom 23.04.2024 (Az.: 3 Sa 556/22) entschieden hat.

Der Reihe nach:
Nach § 164 Absatz 1 Satz 1 und 2 SGB IX müssen Arbeitgeber prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten / gleichgestellten Menschen (insbesondere solchen, die bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldet sind) besetzt werden können und dazu frühzeitig Kontakt zur Agentur für Arbeit aufnehmen.

Was viele Unternehmen nicht wissen: Geschieht das nicht, haben Unternehmen ein Indiz für eine Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz gesetzt.

Oder um es mit den Worten des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf unter Bezugnahme auf die insoweit schon bestehende Rechtsprechung zu sagen:

„Nach § 164 Absatz 1 Satz 1 und 2 SGB IX ist jeder Arbeitgeber verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können. Hierzu ist frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufzunehmen. Diese gesetzlichen Verfahrenspflichten sollen die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen fördern; sie sind nicht nur moralischer Appell, sondern begründen eine echte Rechtspflicht (BAG vom 25.11.2021 – 8 AZR 313/20, juris, Rz. 36; BAG vom 17.08.2010 – 9 AZR 839/08, juris, Rz. 37; jurisPK-SGB IX/Fabricius, 3. Auflage (Stand: 07.06.2022), § 164 Rn. 10 m.w.N.).
 
Ein Verstoß gegen die aus § 164 Absatz 1 Satz 1 und 2 SGB IX resultierenden Verfahrens- und Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung im Sinne von § 22 AGG. Denn diese Pflichtverletzungen sind grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (BAG vom 25.11.2021 – 8 AZR 313/20, juris, Rz. 26 und 36; BAG vom 27.08.2020 – 8 AZR 45/19, juris, Rz. 29; BAG vom 11.08.2016 – 8 AZR 375/15, juris, Rz. 25; BAG vom 26.06.2014 – 8 AZR 547/13, juris, Rz. 45 m.w.N.; siehe auch ErfK/Rolfs, 24. Auflage, § 164 SGB IX Rn. 4; jurisPK-SGB IX/Fabricius, 3. Auflage (Stand: 07.06.2022), § 164 Rn. 18.1).“


Es gilt also der allgemeine Grundsatz: Wer gegen die geltenden Verfahrens- und Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter / gleichgestellter Menschen verstößt, und davon gibt es bekanntlich einige, schafft ein Indiz für eine Diskriminierung.

Die Frage ist nur: Was müssen Arbeitgeber tun, um die Arbeitsagentur frühzeitig einzubinden?

Für den öffentlichen Dienst, für den insoweit allerdings nicht § 164, sondern § 165 SGB IX gilt, hat das Bundesarbeitsgericht schon 2021 (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.11.2021, Az.: 8 AZR 313/20) entschieden:

Es reicht nicht aus, wenn öffentliche Arbeitgeber eine freie Stelle in der Jobbörse der Arbeitsagentur veröffentlichen. Vielmehr müssen Arbeitgeber bei den nach § 187 Absatz 4 SGB IX dafür eingerichteten besonderen Stellen („Die Bundesagentur für Arbeit richtet zur Durchführung der ihr in diesem Teil und der ihr im Dritten Buch zur Teilhabe behinderter und schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben übertragenen Aufgaben in allen Agenturen für Arbeit besondere Stellen ein […]“)einen „Vermittlungsauftrag“ auslösen.

Fraglich ist, ob das, was das Bundesarbeitsgericht für den öffentlichen Dienst entschieden hat, auch für private Arbeitgeber gilt. Denn wenn man die diesbezüglichen Vorgaben für öffentliche Arbeitgeber (§ 165 Satz 1 SGB IX) und private Arbeitgeber (§ 164 Absatz 1 Satz 1 und 2 SSGB IX) nebeneinander hält, stellt man fest, dass sie zwar ähnlich, aber nicht deckungsgleich sind.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat in seinem eingangs zitierten Urteil vom 23.04.2024 (Az.: 3 Sa 556/22) entschieden, dass für private Arbeitgeber nichts anderes als für öffentliche Arbeitgeber gilt.
Die Düsseldorfer Landesarbeitsrichter sagen wörtlich:

„Diese Grundsätze haben gleichermaßen im Bereich der Privatwirtschaft zu gelten, denn die Prüfpflichten und die Verpflichtung zur frühzeitigen Kontaktaufnahme mit der Agentur für Arbeit, die allen Arbeitgebern und mithin auch privaten wie der Beklagten in § 164 Absatz 1 Satz 1, 2 SGB IX auferlegt werden, verfolgen den gleichen Zweck wie die Meldepflicht aus § 165 Satz 1 SGB IX, nämlich die Beschäftigungsförderung von Schwerbehinderten. Dementsprechend haben sie zweckgerichtet zu erfolgen. Der gesetzlichen Verpflichtung zur Kontaktaufnahme bei § 164 Absatz 1 Satz 2 SGB IX genügt die bloße Weiterleitung einer Stellenanzeige ohne betreuten Vermittlungsauftrag gegenüber der qualifizierten Stelle nach § 187 Absatz 4 SGB IX so wenig wie dies für eine ordnungsgemäße „Meldung“ freier Stellen an die Agentur für Arbeit nach § 165 Satz 1 SGB IX ausreichen würde (ebenso LAG Köln vom 30.06.2021 – 11 Sa 1172/20, juris, Rz. 25; ErfK/Rolfs, 24. Auflage, § 164 SGB IX Rn. 2; HWK/Thies, 11. Auflage, § 164 SGB IX Rn. 5).“

Mit dieser Meinung steht das LAG Düsseldorf übrigens nicht alleine da. Teile der Literatur sehen das genauso.

Damit das Bundesarbeitsgericht das letzte Wort in dieser Frage hat, haben die Düsseldorfer Landesarbeitsrichter die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

Da aus unserer Sicht einiges dafür spricht, dass sich das Bundesarbeitsgericht dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf anschließen wird, sind Arbeitgeber mit freien Stellen gut beraten, Folgendes zu tun:

  • Frühzeitige Kontaktaufnahme mit den nach § 187 Absatz 4 SGB IX von der Bundesagentur für Arbeit eingerichteten besonderen Vermittlungsstellen. Frühzeitig sollte mindestens drei Wochen vor dem beabsichtigten Termin, zu dem die Stelle besetzt werden soll, sein.
  • Erteilung eines Vermittlungsauftrags bei den hierfür von der Bundesagentur für Arbeit eingerichteten besonderen Stellen. Es sollte daher die Bundesagentur für Arbeit angeschrieben und um Vermittlung eines geeigneten schwerbehinderten / gleichgestellten Menschen gebeten werden.
  • Dazu muss der Bundesagentur für Arbeit auch das genaue Arbeitsplatzprofil mitgeteilt werden. Denn nur so kann dort geprüft werden, ob es überhaupt geeignete schwerbehinderte / gleichgestellte Bewerber:innen gibt.
  • Vor dem Ende des Bewerbungsverfahrens müssen entweder die Vermittlungsvorschläge oder aber die Auskunft, dass es keine geeigneten Vorschläge gibt, abgewartet werden.
  • Da sich die Prüfpflichten von Arbeitgebern nach dem Gesetz nur insbesondere auf die bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten / gleichgestellten Menschen beziehen, muss außerdem geprüft werden, ob der freie Arbeitsplatz mit einem bereits beim Arbeitgeber beschäftigten schwerbehinderten / gleichgestellten Arbeitnehmer besetzt werden kann, vgl. hierzu auch Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.08.2010, (Az.: 9 AZR 839/08).

Achtung: Die Prüfpflicht besteht unabhängig davon, ob Arbeitgebern interne Bewerbungen schwerbehinderter / gleichgestellter Menschen vorliegen oder aber nicht.
Und nochmal Achtung: Die beschriebenen Pflichten bestehen unabhängig davon, ob Arbeitgeber die Beschäftigungsquote nach § 154 Absatz 1 SGB IX bereits erfüllen, weil sie schon genug schwerbehinderte / gleichgestellte Arbeitnehmer:innen beschäftigen.
 
Wenn Sie Fragen zu dem Thema haben, sprechen Sie uns gerne an. Wir praktizieren solche Vermittlungsaufträge schon seit vielen Jahren.

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