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Präventionsverfahren während der Wartezeit - Die Urteilsbegründung

In unseren Newslettern vom 20.02.2024, 04.09.2024, 16.09.2024 und 17.09.2024 hatten wir über die neuen Entwicklungen in der Rechtsprechung zur Probezeitkündigung von Schwerbehinderten berichtet.

Zur Erinnerung:
Das BAG war noch im Jahr 2016 davon ausgegangen, dass vor Ausspruch einer Kündigung in den ersten sechs Beschäftigungsmonaten kein Präventionsverfahren durchgeführt werden muss.

Das Arbeitsgericht Köln sah das aber anders und wurde in seiner Auffassung von der Berufungsinstanz beim LAG Köln bestätigt.

Beide Kölner Instanzgerichte vertreten also die Auffassung, dass ein nicht durchgeführtes Präventionsverfahren auch in den ersten sechs Monaten ein Indiz für eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung darstellt. Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, dieses Indiz zu widerlegen, ist nicht nur die Kündigung unwirksam; es drohen auch Schadenersatzansprüche.

Da das LAG Köln dennoch in dem konkreten Fall zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Kündigung rechtmäßig gewesen ist, haben wir uns die nun im Volltext vorliegende Entscheidung genauer angesehen:

Das „Spannende“ an dem von dem Kölner (Landes-)Arbeitsgericht entschiedenen Fall war, dass die gesundheitlichen Einschränkungen, die zur Feststellung der Schwerbehinderung geführt hatten, objektiv betrachtet dieselben Gründe waren, wegen derer der Arbeitgeber die Kündigung ausgesprochen hatte.

Dennoch hat das Landesarbeitsgericht entschieden, dass die Kündigung nicht wegen der Schwerbehinderung erfolgt ist.

Der Arbeitgeber hatte nämlich – vom Kläger unbestritten – behauptet, er habe die Hintergründe der Schwerbehinderung nicht gekannt. Das allein reichte nach Auffassung des LAG Köln aus, um den Kausalzusammenhang zwischen Schwerbehinderung und Kündigung zu widerlegen.

Gerne wollen wir die Entscheidung für Sie einordnen:

Es gibt Rechtsvorschriften, die eine Kündigung grundsätzlich verbieten bzw. von der Zustimmung einer entsprechenden Stelle abhängig machen; dazu gehört beispielsweise § 17 MuSchG für die Kündigung einer Schwangeren oder §§ 168, 173 SGB IX für die Kündigung von schwerbehinderten Personen nach Ablauf der Wartezeit.
In diesen Fällen führt allein das objektive Vorliegen der Merkmale (also der Schwerbehinderung und / oder der Schwangerschaft) aus, um die Unwirksamkeit der Kündigung zu begründen.
Für die Kündigung einer schwerbehinderten Person in den ersten sechs Monaten gilt dieser Sonderkündigungsschutz allerdings nicht; auch aus der Verpflichtung zur Durchführung des Präventionsverfahrens folgt – laut LAG Köln – weder ein Kündigungsverbot noch ein Sonderkündigungsschutz.

Vermutlich deshalb hatte sich der Arbeitnehmer in diesem Fall darauf berufen, diskriminiert worden zu sein.

Auch aus einer Diskriminierung kann die Unwirksamkeit der Kündigung folgen; im Gegensatz zur Kündigung nach Ablauf der Wartezeit reicht dafür aber das objektive Bestehen einer Schwerbehinderung nicht aus. Für eine Diskriminierung ist vielmehr ein kausaler Zusammenhang zwischen der Kündigung und der Schwerbehinderung erforderlich; und das wiederum setzt, so das LAG Köln, die Kenntnis des Arbeitgebers voraus.

Dazu zwei Beispiele:

  • Eine Kündigung gegenüber einer Schwangeren ist zwar wegen Verstoßes gegen § 17 MuSchG objektiv unwirksam; kann der Arbeitgeber aber beweisen, dass ihm die Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung nicht bekannt war, fehlt es an einem kausalen Zusammenhang und damit an einer Diskriminierung.

  • Ähnlich verhält es sich mit der Kündigung einer schwerbehinderten Person nach Ablauf der Wartezeit.
    Auch hier muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung bei der zuständigen Behörde einholen. Tut er das nicht, ist die Kündigung unwirksam (und zwar unabhängig von der Frage, ob die Schwerbehinderung bekannt gewesen ist). Eine Diskriminierung kann aber nur vorliegen, wenn der Arbeitgeber es in Kenntnis der Schwerbehinderung unterlassen hat, die Zustimmung einzuholen. 

Zwar wusste der Arbeitgeber in dem Kölner Fall, dass der Mitarbeiter schwerbehindert war und hat dadurch, dass er kein Präventionsverfahren durchgeführt hat, ein Indiz für eine Diskriminierung gesetzt; nach Auffassung des LAG Köln ist dieses Indiz aber dadurch widerlegt worden, dass der Arbeitgeber (1) den Mitarbeiter in Kenntnis der Schwerbehinderung eingestellt hat und (2) keine Kenntnis von den konkreten Einschränkungen hatte, aus denen sich die Schwerbehinderung ergibt.
Deshalb ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Schwerbehinderung nicht kausal für den Kündigungsentschluss war.
 
Ob das Bundesarbeitsgericht Gelegenheit haben wird, sich mit diesen Ausführungen auseinanderzusetzen, bleibt abzuwarten; Informationen darüber, ob der Kläger Revision eingelegt hat, liegen uns noch nicht vor.
 
Wir halten Sie natürlich auf dem Laufenden.

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