BAG: Deutscher Kündigungsschutz für Schwangere gut genug
Am 03.04.2025 hatten wir brandaktuell über die Pressemitteilung des BAG zum Kündigungsschutz Schwangerer berichtet. Es ging um einen Fall, in dem eine gekündigte Arbeitnehmerin erst kurz vor Ablauf der Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage einen im Ergebnis positiven Schwangerschaftstest durchführte, aber erst einige Zeit später und nach Fristablauf die Schwangerschaft durch ärztliches Zeugnis bestätigt wurde.
Nun ist das Urteil im Volltext veröffentlicht. Und siehe da: Das Bundesarbeitsgericht entschied nicht nur über die Frage, ab wann „fristenrelevante“ Kenntnis von einer Schwangerschaft vorliegt. Sondern es setzt sich intensiv auch mit den europarechtlichen Anforderungen des effektiven Rechtsschutzes schwangerer Arbeitnehmerinnen auseinander.
Sein Resultat: Die deutschen Regelungen zum Kündigungsschutz und zur nachträglichen Klagezulassung sind ausreichend.
Zum Fall:
Wir erinnern uns an den Sachverhalt: Arbeitnehmerin A erhielt am 14.05.2022 ein Kündigungsschreiben von ihrem Arbeitgeber. Am 29.05.2022 führte sie einen Schwangerschaftstest mit positivem Ergebnis durch und informierte den Arbeitgeber noch am selben Tag. Sie bemühte sich um einen schnellstmöglichen Termin beim Frauenarzt und erhielt diesen für den 17.06.2022. Bereits vor diesem Termin, aber nach Ablauf der 3-Wochen-Frist des § 4 S. 1 KSchG, nämlich am 13.06.2022, erhob sie Kündigungsschutzklage, verbunden mit dem Antrag auf nachträgliche Klagezulassung. Am 21.06.2022 reichte sie ein ärztliches Zeugnis ein, das bestätigte, dass am 17.06.2022 eine Schwangerschaft festgestellt wurde; es ergab sich daraus auch, dass die Schwangerschaft am 28.04.2025 – und damit vor Zugang der Kündigung – begonnen hatte (Rückrechnung vom mutmaßlichen Entbindungstag um 280 Tage; auch dazu haben wir hier bereits ausführlich berichtet).
Der Streit drehte sich um die Frage, ob die Kündigungsschutzklage gem. § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG nachträglich zuzulassen war oder nicht. Für die Beantwortung dieser Frage kommt es entscheidend darauf an, ob für die „Kenntniserlangung von der Schwangerschaft“ auf den häuslichen Schwangerschaftstest oder die ärztliche Feststellung abzustellen ist.
Dazu sagt das BAG (wie wir bereits aus der Pressemitteilung wissen):
Die ärztliche Feststellung ist entscheidend.
Ab dem Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung läuft also die 2-wöchige Antragsfrist für die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage.
Zur Einordnung in europarechtliche Rahmenbedingungen:
Ausführlich setzen sich die höchsten deutschen Arbeitsrichter mit dem deutschen Kündigungsschutz für Schwangere im Verhältnis zu den europarechtlichen Anforderungen an den Mutterschutz und effektiven Rechtsschutz auseinander. Damit bezieht das BAG sowohl zu Aussagen der Vorinstanz als auch des Arbeitsgerichts Mainz Stellung, die die deutschen Vorschriften an verschiedener Stelle als nicht ausreichend erachteten. Hierüber hatten wir am 26.09.2024 und am 07.11.2024 berichtet.
Das sind die aus unserer Sicht wichtigsten Erkenntnisse aus dem aktuellen Urteil:
- Es bleibt dabei: Weiß der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung nicht, dass die Arbeitnehmerin schwanger ist, wird die 3-wöchige Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG durch Zugang der Kündigung in Gang gesetzt. § 4 S. 4 KSchG (bei Kündigungen, die einer behördlichen Zustimmung bedürfen, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst ab der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer) findet in diesen Fällen keine Anwendung. Es wird durch die Regelungen in § 5 über die Zulassung verspäteter Klagen ein ausreichender Rechtsschutz gewährleistet.
- Das deutsche System des Kündigungsschutzes durch §§ 4,5 KSchG genügt dem unionsrechtlichen Grundsatz der Effektivität. Das gilt insbesondere, wenn man für den Beginn der Antragsfrist für die nachträgliche Klagezulassung auf das ärztliche Zeugnis über Bestand und Beginn der Schwangerschaft abstellt. Dann gibt es laut BAG nämlich keine – wie vom EuGH vermutete – Unsicherheit über den Beginn der Antragsfrist. Mit dem ärztlichen Zeugnis lässt sich der Fristbeginn einfach und rechtssicher bestimmen.
Das BAG legt an dieser Stelle Wert auf die Feststellung, dass in all den Fällen, in denen es bereits vor der ärztlichen Feststellung „Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Schwangerschaft gibt“, die Überlegungszeit für die Betroffene tatsächlich sogar länger ist als die 2-Wochen-Frist für die nachträgliche Klagezulassung. So habe die Betroffene ab Durchführung eines häuslichen Schwangerschaftstests bis zur ärztlichen Untersuchung schon Gelegenheit, sich anwaltlich beraten zu lassen und ggf. schon Schritte einzuleiten; bis zur ärztlichen Feststellung der Schwangerschaft, die den Beginn der 2-Wochen-Frist für die nachträgliche Klagezulassung markiert, vergeht in vielen Fällen daher nutzbare Zeit, die zu einer faktischen Fristverlängerung führt.
Wenn die Arbeitnehmerin durch einen positiven Schwangerschaftstest greifbare Anhaltspunkte für eine Schwangerschaft habe, könne sie allerdings gehalten sein, sich unverzüglich um einen Termin für eine frauenärztliche Untersuchung zu bemühen. - Es ist kein Hindernis für einen effektiven Rechtsschutz, dass auch der Arbeitgeber gem. § 17 MuSchG über das Bestehen der Schwangerschaft informiert werden muss, da diese Mitteilung zugleich mit, bzw. im Schriftsatz über die nachträgliche Klagezulassung erfolgen kann.
Unser Fazit:
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist zu begrüßen, denn sie räumt Zweifel an den deutschen Regelungen zum Kündigungsschutz werdender Mütter im europarechtlichen Gefüge aus.
Die Feststellung des BAG, dass für die Fristberechnung bei nachträgliche Klagezulassung auf das ärztliche Zeugnis abzustellen ist, ist dabei ein wichtiger Meilenstein.
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