21. Februar 2024
Neu: Probezeitkündigung als Diskriminierung von schwerbehinderten Menschen
Kündigungen, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, sind unwirksam. Dieser Grundsatz ist so klar wie nachvollziehbar und betrifft insbesondere Kündigungen, die diskriminierenden Charakter haben.
Eine aktuelle Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln, die wir Ihnen heute vorstellen wollen, verdeutlicht, wie schnell der Vorwurf der Diskriminierung selbst bei Probezeitkündigungen im Raum steht; und wie Sie das vermeiden können. Sollte sich die vom Arbeitsgericht Köln vertretene Auffassung bestätigen, werden sich viele Personalabteilungen bei der Vorbereitung von Probezeitkündigungen von Schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten umstellen müssen, wenn sie Kenntnis von der Schwerbehinderung oder Gleichstellung haben.
Um die Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln besser einordnen zu können, möchten wir mit einer jüngeren Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) anfangen, auf die sich der Kläger in dem Verfahren beim Arbeitsgerichts Köln berufen hatte.
1. EuGH zum Vorrang der Versetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz
In der Entscheidung des EuGH vom 10.2.2022 (Aktenzeichen C-485/20) ging es um einen Beschäftigten der belgischen Eisenbahngesellschaft (HR Rail). Dieser befand sich als Facharbeiter für die Wartung und Instandhaltung der Schienenwege in der Probezeit, als ihm ein Herzschrittmacher implantiert werden musste. Da ein Herzschrittmacher sensibel auf elektromagnetische Felder reagiert, wurde bei dem Kläger eine Behinderung anerkannt. Zudem konnte er an den Gleisanlagen ab diesem Moment nicht mehr arbeiten.
Die Eisenbahngesellschaft setzte ihn zunächst für rund drei Monate als Lagerist ein, kündigte dann aber mit der Begründung, dass er die vertraglich vereinbarte Tätigkeit nicht mehr ausüben könne (was zwischen den Parteien auch unstreitig war), eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz für Beschäftigte in der Probezeit aber nicht vorgesehen sei.
Gegen die Kündigung klagte der Arbeitnehmer und bekam – nicht zuletzt aufgrund der Entscheidung des EuGH – Recht.
Der EuGH stellte nämlich fest, dass ein Arbeitnehmer, der wegen einer Behinderung nicht mehr auf seinem bisherigen Arbeitsplatz beschäftigt werden kann, auf eine andere geeignete Stelle versetzt werden muss, sofern der Arbeitgeber dadurch nicht unverhältnismäßig belastet wird.
Oder anders ausgedrückt: Der Arbeitgeber ist auch während der Probezeit verpflichtet, alle möglichen und verhältnismäßigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Arbeitsplatz des (schwer-) behinderten Menschen zu erhalten.
Kommt der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht nach, stellt das, sagt der EuGH, ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot und damit ein Indiz für eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung dar. Eine statt der Versetzung ausgesprochene Kündigung sei wegen des Verbotes der Diskriminierung (schwer-) behinderter Menschen unwirksam; und zwar – so der EuGH ausdrücklich – auch während der Probezeit.
Nun waren – Sie wissen das – bereits vor dem EuGH-Urteil diskriminierende Kündigungen in Deutschland unzulässig.
Allerdings gelten in den ersten sechs Monaten (die Zeitspanne, die hier landläufig als Probezeit bezeichnet wird) weniger strenge Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von Kündigungen, auch bei Schwerbehinderten.
So muss die Kündigung in dieser Zeit nicht den Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes genügen und auch die vorherige Zustimmung des Inklusionsamts ist nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX in den ersten sechs Monaten nicht erforderlich.
Mit der weiten Ausdehnung der vor dem Ausspruch einer Kündigung vom Arbeitgeber zu treffenden Maßnahmen, die auch eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz einbezieht, hat der EuGH den Anwendungsbereich der diskriminierenden Kündigung erheblich ausgeweitet.
Immerhin müsste der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in der Probezeit nun zunächst auf einen anderen, „leidensgerechten“ Arbeitsplatz versetzen, obwohl er ihn gerade nur für den von ihm ausgeschriebenen Arbeitsplatz erproben und einstellen wollte.
Dass der vom EuGH entschiedene Fall trotz dieser Brisanz in Deutschland bislang für wenig Echo sorgte, liegt vor allem an zwei Besonderheiten des Falls bzw. des belgischen Rechts:
Zum einen trat die Behinderung in diesem Fall erst während der Probezeit auf, zum anderen dauerte die Probezeit für deutsche Verhältnisse sehr lange, nämlich fast zwei Jahre.
Die Frage, ob und in welchem Umfang diese Entscheidung Auswirkungen auf die nationale Rechtsprechung haben würde, war deshalb zunächst ungewiss und in der Literatur durchaus umstritten.
Vielfach wurde beispielsweise spekuliert, dass die Grenze der Verhältnismäßigkeit bzw. Zumutbarkeit solcher vom Arbeitgeber durchzuführender Maßnahmen in Deutschland eine zentrale Bedeutung einnehmen würde. Diese Verhältnismäßigkeitsgrenze ist sowohl in Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG als auch in § 164 SGB IX vorgesehen und bietet grundsätzlich Raum für die Berücksichtigung (nationaler) Besonderheiten.
So könne – nach einigen Kommentatoren in der Literatur – die Verpflichtung zur Versetzung bei der in Deutschland vorgesehenen Probezeit von sechs Monaten als unverhältnismäßig angesehen werden, während bei einer längeren Probezeit (wie in dem vom EuGH entschiedenen Fall) eine Versetzung innerhalb der Probezeit verhältnismäßig sein könnte.
Ob diese These einer Kontrolle des EuGH standhalten würde, war jedoch mehr als ungewiss. Dies auch deshalb, weil der EuGH in seiner Entscheidung in keiner Weise auf die (ungewöhnlich lange) Dauer der Probezeit eingegangen war.
2. Arbeitsgericht Köln zur Durchführung des Präventionsverfahrens in der Probezeit
Nun hat sich das Arbeitsgericht Köln in seinem Urteil vom 20.12.2023 (Az.: 18 Ca 3954/23) mit einem vergleichbaren Fall befasst; und kam – auch unter Berücksichtigung einer sechsmonatigen Probezeit – zu einem (für Arbeitgeber) harten Ergebnis: