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19. November 2025

Neues vom EuGH – sind Reisezeiten ohne Arbeit jetzt immer Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes?

Neues vom EuGH – sind Reisezeiten ohne Arbeit jetzt immer Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes?

in seinem Urteil vom 09.10.2025 (Az.: C-110/24) hat der EuGH entschieden, dass auch Reisezeiten als Beifahrer Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie und damit im Sinne des deutschen Arbeitszeitgesetzes sein können.

Wie haben uns gefragt ob und ggf. was das Urteil an der Rechtslage in Deutschland ändert. Fangen wir mit einer für die betriebliche Praxis wichtigen Unterscheidung an:

Es muss zwischen der Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne und der Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne unterschieden werden. Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne betrifft die Frage, welchen Zeiten Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes sind, um sicherzustellen, dass Beschäftigte die tägliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden nicht überschreiten, die tägliche Mindestruhezeit von 11 Stunden nicht unterschreiten und die gesetzlichen Pausenzeiten einhalten. Bei der Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne geht es dagegen um die Frage, welche Zeiten Arbeitgeber vergüten müssen.

Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne ist also eine Frage des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne demgegenüber eine Geldfrage.

Wichtig ist, dass beides nicht deckungsgleich ist. Oder anders gesagt: Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne ist nicht zwingend Arbeitszeit im arbeitsrechtlichen Sinne und umgekehrt.

In dem Urteil des EuGH ging es um Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne (nur das fällt im Übrigen auch in den Zuständigkeitsbereich des EuGH).

Was Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes ist und was nicht, hat angesichts der (noch) geltenden täglichen Höchstarbeitszeit große praktische Bedeutung.
Beispiel: Ein Arbeitnehmer arbeitet 8 Stunden. Danach tritt er eine seiner gelegentlichen Dienstreisen an, derentwegen er im Anschluss an die Arbeit 4 Stunden in einem Zug der Deutschen Bahn verbringt. Am nächsten Tag arbeitet er dann auswärts bei einem Kunden. Er arbeitet im Zug nicht (muss das auch nicht), sondern isst im Bord-Bistro zu Abend, liest danach ein Buch und schläft bis zur Ankunft.

Wäre die Reisezeit nun Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes, hätte der Arbeitgeber ein Problem. Denn dann wäre der Arbeitnehmer ja summa summarum länger als 10 Stunden unterwegs, und das darf er aktuell nicht.

Die Preisfrage ist, ob das aktuelle EuGH-Urteil das so vorgibt.

Unsere Meinung ist Nein. Der EuGH hat lediglich entschieden, dass Reisezeit im fremdgelenkten Pkw dann Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes ist, wenn das Reisen Teil der Haupttätigkeit ist.
Im entschiedenen Fall war es so, dass die spanischen Beschäftigten sich jeden Tag an einem Stützpunkt versammelten, von wo aus sie gemeinsam zu ihren Einsatzgebieten fuhren. Die Fahrten waren daher notwendiger Bestandteil der täglichen Arbeitsleistung.

Wörtlich heißt es im EuGH-Urteil:

17. November 2025

Entgelttransparenzrichtlinie – Kommission gibt Empfehlungen für eine Umsetzung in das deutsche Recht

Entgelttransparenzrichtlinie – Kommission gibt Empfehlungen für eine Umsetzung in das deutsche Recht

In unserem Beitrag vom 24.05.2024 haben wir Sie bereits darauf vorbereitet, welche Herausforderungen durch die europäischen Entgelttransparenzrichtlinie auf Sie zukommen werden. Die aktuelle Equal-Pay-Rechtsprechung, über die wir fortlaufend berichtet haben, tut das Übrige dazu, dass Arbeitgeber gut beraten sind, entsprechende Entgeltsysteme zu installieren.

Leider hat Deutschland die Entgelttransparenzrichtlinie (ETRL) noch nicht in deutsches Recht umgesetzt. Die Bundesregierung hat erstmal eine Kommission eingesetzt, die Empfehlungen für ein deutsches Gesetz geben soll.

Nun liegt der Bericht dieser Kommission vor. Gerne möchten wir die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Bericht für Sie zusammenfassen:

Bewertungskriterien:
Die Kommission stellt klar: Bei der Umsetzung der Richtlinie darf von den vier Kriterien aus Art. 4 Abs. 4 ETRL - Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen - nicht abgewichen werden. Neue Kriterien werden gerade nicht vorgeschlagen. Die Richtlinie lasse jedoch einen Spielraum zugunsten weiterer Kriterien, die für den konkreten Arbeitsplatz oder die konkrete Position maßgeblich sind.

Gleiche und gleichwertige Arbeit:
Laut Kommission kann/soll der Gesetzgeber das Konzept der gleichwertigen Arbeit weiter konkretisieren, damit insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen klare und rechtssichere Vergleichsgruppen bilden können.

Tarifverträge:
Spannend wird es bei den Vorschlägen der Kommission zur Privilegierung tarifgebundener Arbeitgeber:

13. November 2025

Oh du fröhliche – was Arbeitgeber bei diesjährigen Sonderzahlungen beachten sollten

Oh du fröhliche – was Arbeitgeber bei diesjährigen Sonderzahlungen beachten sollten

Es begab sich aber zu der Zeit, dass Arbeitgeber sich mit der Frage befassten, wie sie in diesem Jahr ihre Jahressonderzahlungen gestalten sollten ...
 
Die erste wichtige Erkenntnis hierbei ist:
Gestaltungsspielräume haben überhaupt nur Arbeitgeber, die weder tarifvertraglich, arbeitsvertraglich noch durch eine betriebliche Übung Sonderzahlungen leisten müssen.
Glück haben also Arbeitgeber, bei denen Jahressonder- oder Jahresabschlusszahlungen unter einem wirksamen Freiwilligkeitsvorbehalt stehen.
Über die tausend Fallstricke beim Freiwilligkeitsvorbehalt haben wir in den letzten Monaten laufend berichtet, zuletzt in unserem Beitrag vom 26.08.2025.
 
Gibt es einen wirksamen Freiwilligkeitsvorbehalt, müssen Arbeitgeber zwei Fragen beantworten:
Erste Frage: Möchten bzw. können sie überhaupt zahlen und wenn ja, wie viel?
Zweite Frage: Welche Auszahlungsbedingungen soll es geben?
 
Die Gestaltung der Auszahlungsbedingungen ist heute unser Thema.
 
Viele Unternehmen möchten eine Sonderzahlung zum Jahresende nämlich nur gegenüber Beschäftigten leisten, deren Arbeitsverhältnis noch bis zum xy besteht.
 
Eine solche Bindung (zu den Bindungsfristen kommen wir gleich) ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) allerdings nur möglich, wenn die Sonderzahlung keinerlei Leistungsbezug hat, sondern ausschließlich die Betriebstreue belohnt.
 
Was viele nicht wissen: Beim Leistungsbezug kommen die Auszahlungsbedingungen oft unbemerkt ins Spiel.
Eine Sonderzahlung hat nämlich schon dann einen Leistungsbezug, wenn

  • die Sonderzahlung für Zeiten ohne Entgeltbezug (also beispielsweise bei einer länger als 6-wöchigen Erkrankung, einer Elternzeit, einem unbezahlten Sonderurlaub o. ä.) gekürzt werden soll,
  • die Sonderzahlung bei unterjährigem Eintritt oder Ausscheiden gekürzt werden soll oder
  • Teilzeitbeschäftigte nur eine anteilige Sonderzahlung erhalten sollen; das hat das BAG (Urteil vom 21.05.2025, Az.: 10 AZR 121/24) jüngst in Bezug auf eine Inflationsausgleichprämie entschieden und das ist wirklich krass, puh!

Noch nicht 100-%ig klar ist, wie es sich mit einer Kürzung nach § 4a des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) verhält; im Zweifel gilt auch hier, dass man von einem Leistungsbezug ausgehen sollte.

Arbeitgeber haben also die Qual der Wahl.
Sie müssen sich entscheiden:

12. November 2025

Nach dem EuGH-Urteil: Ist der deutsche Mindestlohn noch zu halten?

Nach dem EuGH-Urteil: Ist der deutsche Mindestlohn noch zu halten?

Das beherrschende Thema gestern war die Entscheidung des EuGH (C-19/23), mit der die Mindestlohnrichtlinie teilweise für nichtig erklärt wurde.
 
Wie Sie seit unserem Beitrag vom 02.07.2025 wissen, haben wir bereits im Sommer arge Bedenken an der Wirksamkeit des jüngst von der Bundesregierung beschlossenen neuen Mindestlohns angebracht.
 
Durch das gestrige Urteil des EuGH sind diese Bedenken gewachsen. Denn der EuGH hat die Mindestlohnrichtlinie vor allem in den Punkten für nichtig erklärt, in denen es um die Höhe des Mindestlohns geht. Damit fehlte der Bundesregierung unseres Erachtens zumindest die Grundlage für die Erhöhung des Mindestlohns auf EUR 14,60 ab dem 01.01.2027. Denn ausweislich der Begründung der Bundesregierung für ihre fünfte Mindestlohnanpassungsverordnung konnte sie diese Erhöhung nicht mehr mit der Tarifentwicklung begründen, wie es § 9 Abs. 2 des Mindestlohngesetzes vorschreibt. Wie die Bundesregierung in ihrer Begründung zur neuen Mindestlohnanpassungsverordnung selbst schreibt, gibt die Tariflohnentwicklung einen Mindestlohn von EUR 14,02, nicht aber EUR 14,60 her. Zu dem Wert von EUR 14,60 kommt die Bundesregierung unter Heranziehung des in der Mindestlohnrichtlinie angegebenen Referenzwerts von 60 % des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten. Wie wir seit gestern wissen, sind die Regelungen zur Höhe des Mindestlohns in der EU-Richtlinie aber nichtig und die Referenzwerte unverbindlich.
 
Namhafte Jura-Professoren teilen die Bedenken an der Wirksamkeit des deutschen Mindestlohns. Namentlich sind das die Professoren Picker, Thüsing und Sagan, über deren Sicht die FAZ vergangenen Mittwoch und gestern berichtet hatte.
 
Wie wir von Unternehmen, für die die Erhöhung des Mindestlohns existenzielle Bedeutung hat, wissen, gibt es bereits Überlegungen, gegen die Erhöhung des Mindestlohns (verwaltungsgerichtlich) vorzugehen.
Wenn das auch für Sie eine Option sein sollte, sprechen Sie uns gerne an.

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10. November 2025

Provisionen, Boni & Co. sind Teil des Urlaubsentgelts, der Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall und des Mutterschutzlohns – Achtung Phantomlohn

Provisionen, Boni & Co. sind Teil des Urlaubsentgelts, der Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall und des Mutterschutzlohns – Achtung Phantomlohn

Einige Unternehmen sind immer noch der festen Meinung, dass Provisionen, Boni & Co. weder während des Urlaubs noch während einer bis zu 6-wöchigen Erkrankung oder eines Beschäftigungsverbots gezahlt werden müssen.
🚫 Das ist leider falsch.
‼️ Richtig ist: Provisionen, Boni & Co. sind grundsätzlich Teil des Urlaubsentgelts, der Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall und des Mutterschutzlohns.
Dabei spielt es keine Rolle, ob solche variablen Vergütungsbestandteile monatlich, quartalsweise oder z.B. auch halbjährlich gezahlt werden. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) für das Urlaubsentgelt per Urteil vom 27.07.2021 (Az.: 9 AZR 376/20) entschieden, wenn folgende drei Voraussetzungen erfüllt sind:
▶️ Der variable Vergütungsbestandteil wird für bestimmte Zeitabschnitte als Gegenleistung für die Arbeitsleistung gezahlt.
▶️ Die Höhe des variablen Vergütungsbestandteils ist zumindest auch von der Erbringung der Arbeitsleistung abhängig.
▶️ Der variable Vergütungsbestandteil kann durch die fehlende Arbeitsleistung des Arbeitnehmers beeinflusst werden. Interessant ist dieser Punkt bei Abwesenheiten infolge Arbeitsunfähigkeit oder Urlaub für Erfolgsprovisionen o.ä., denen eine langfristige „Anbahnungsphase“ zugrunde liegt; denn hier tut die Urlaubs- / krankheitsbedingte Abwesenheit der Erreichung der Provision o.ä. unter Umständen keinen Abbruch.
 
❓ Und wie werden Provisionen, Boni & Co. während solcher Abwesenheitszeiten berechnet?
Für das Urlaubsentgelt gilt grundsätzlich § 11 des Bundesurlaubsgesetzes und für den Mutterschutzlohn § 18 des Mutterschutzgesetzes, also der Arbeitsverdienst der letzten 13 Wochen bzw. der letzten 3 Monate.
Bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall muss eine zukunftsorientierte Prognose angestellt werden (was hätte der Arbeitnehmer an Provisionen o.ä. verdient, wäre er nicht arbeitsunfähig gewesen?). Werden kurzfristige Erfolge belohnt, ist es aber nicht verkehrt, auch hier auf die in den letzten 13 Wochen/3 Monaten gezahlten Variablen abzustellen. Anders kann es sein, wenn Provisions- oder Bonuszahlungen starken Schwankungen unterliegen; hier muss gegebenenfalls bei der Berechnung auf die letzten 12 Monate abgestellt werden (vgl. BAG, Urteil vom 31.05.2023, Az.: 5 AZR 305/22).
 
🏛️ Wo kein Kläger, da kein Richter?
Et hätt noch immer jot jejange, sagte uns die Tage ein Mandant; seine Mitarbeiter hätten sich bislang nie beschwert.
Außer von Beschäftigten droht allerdings auch von den Sozialversicherungsträgern Ungemach. Die nämlich können in solchen Fällen die SV-Beiträge selbst dann verlangen, wenn Arbeitnehmer ihre Provisionen o.ä. nicht geltend machen. Das nennt man die Verbeitragung von Phantomlohn und die Sozialversicherungsträger haben diese Fälle mittlerweile auf dem Schirm.

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