BAG zur unzulässigen Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten durch tarifliche Überstundenregelungen – das Urteil im Volltext
BAG zur unzulässigen Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten durch tarifliche Überstundenregelungen – das Urteil im Volltext
In unserem Beitrag vom 13.12.2024 haben wir von verschiedenen Urteilen berichtet, in denen das BAG und vor ihm schon der EuGH die Rechte von Teilzeitbeschäftigten stärken und „vollzeitbezogene“ Zuschüsse, Goodies o. ä. in Tarifverträgen für unwirksam erklärt haben.
Für besonders viel Furore sorgte die damals nur als Pressemitteilung vorliegende Entscheidung des BAG, in dem es entschied:
Regelungen in Tarifverträgen, die Überstundenzuschläge ohne „plausiblen“ Grund nur für Arbeitsstunden vorsehen, die über die Arbeitszeit einer Vollzeitkraft hinaus geleistet werden, sind unwirksam.
Die Entscheidung ging deshalb „viral“, weil solche Überstundenregelungen in Tarifverträgen weit verbreitet sind und daher die Rechte von vielen Frauen durch die Entscheidung gestärkt werden (immer noch sind Teilzeitbeschäftigte zu fast 80 % Frauen).
Eben weil die unzulässige Zuschlagsregelung meistens Frauen betrifft, hat das BAG der Klägerin für ihre unzulässige Benachteiligung bei den Überstundenzuschlägen zusätzlich eine Entschädigung („Schmerzensgeld“) nach § 15 Absatz 2 AGG (= Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) zugesprochen.
Nun liegt das Urteil im Volltext vor. Den Volltext können Sie hier nachlesen.
Grund genug, unseren Bericht fortzusetzen.
1. Beginnen möchten wir die Fortsetzung mit einer neuen Erkenntnis aus dem Volltext, die sich hauptsächlich an Arbeitgeber mit Haustarifverträgen richtet und die der Klägerin wegen ihrer Diskriminierung als Frau zugesprochene Entschädigung betrifft.
Das BAG hat nämlich geurteilt, dass das Haftungsprivileg des § 15 Absatz 3 AGG nicht für Haustarifverträge gilt.
Aber was bedeutet das?
§ 15 Abs. 3 AGG enthält eine Haftungsprivilegierung für Arbeitgeber, die kollektivrechtliche Vereinbarungen anwenden (müssen).
Dort heißt es:
„Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.“
Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit hat das BAG dem Arbeitgeber nicht unterstellt. Verdonnert hat es ihn trotzdem zum „Schmerzensgeld“, weil es im entschiedenen Fall um einen Haustarifvertrag ging und § 15 Absatz 3 AGG – laut BAG – jedenfalls nicht für Haustarifverträge gilt.
Was mit Flächentarifverträgen ist, hat das BAG ausdrücklich offengelassen.
Kenner wissen, dass es viele Stimmen gibt, die sagen, dass die Haftungsprivilegierung in § 15 Absatz 3 AGG insgesamt gegen europäisches Recht verstößt, weil die europäischen Vorgaben eine verschuldensunabhängige Entschädigung vorsehen.
Wir verstehen das BAG so, dass es diese Zweifel an der Wirksamkeit von § 15 Absatz 3 AGG zumindest für nachvollziehbar hält.
Arbeitgeber, die Tarifverträge anwenden, dürfen sich also nicht mehr darauf verlassen, dass sie (abgesehen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit) kein Schmerzensgeld zahlen müssen, wenn tarifvertragliche Regelungen gegen das AGG verstoßen.
Für Arbeitgeber mit Haustarifverträgen ist das Haftungsprivileg schon jetzt passé.
2. Für die tarifliche Regelung, dass Überstundenzuschläge nur bei einer Überschreitung der Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten gezahlt werden, sah das BAG keinen Rechtfertigungsgrund:
Zwar lasse der (Haus-)Tarifvertrag erkennen, dass die Regelung dazu dienen solle,
- Vollzeitbeschäftigte nicht gegenüber Teilzeitbeschäftigten zu benachteiligen und
- die Anordnung von Überstunden zu vermeiden.
Sachliche Gründe seien das aber nicht.
Ganz im Gegenteil, würden Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte gleichbehandelt, wenn man Überstundenzuschläge an die Überschreitung der individuellen Arbeitszeit koppelt.
Außerdem würde die bestehende Regelung die Anordnung von Überstunden gegenüber Teilzeitbeschäftigten forcieren, da bis zur Grenze der Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten ja keine Überstundenzuschläge fällig seien.
Darauf, dass die Tarifpartner eine Überschreitung der Vollzeit mit Zuschlägen honorieren, weil es erst ab dann zu einer übermäßigen Arbeitsbelastung kommt, könne sich das Unternehmen nicht berufen, weil dieses Argument im Tarifvertrag keinen Anklang gefunden habe.
Deshalb lässt das BAG offen, inwieweit die an dieses und andere Argumente gestellten Anforderungen des EuGH mit der in unserem Grundgesetz verankerten Tarifautonomie vereinbar seien.
Apropos Tarifautonomie: Wir hatten in unserem Beitrag vom 21.02.2025 über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Nachtzuschlägen berichtet.
Wie wir in diesem Beitrag bereits sagten, ist das Urteil zu den Nachtzuschlägen aber nicht mit dem hier in Rede stehenden Fall der Überstundenzuschläge von Teilzeitkräften vergleichbar, da es im zuletzt genannten Fall nicht nur um die Gleichbehandlung, sondern (auch) um eine Diskriminierung im Sinne des AGG geht.
Deshalb glauben wir, dass das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des BAG in diesem Fall billigen würde, weil auch die Tarifautonomie (vereinfacht ausgedrückt) keine Rechtfertigung für eine Diskriminierung sein kann.
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