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20. März 2025

BAG zur unzulässigen Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten durch tarifliche Überstundenregelungen – das Urteil im Volltext

BAG zur unzulässigen Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten durch tarifliche Überstundenregelungen – das Urteil im Volltext

In unserem Beitrag vom 13.12.2024 haben wir von verschiedenen Urteilen berichtet, in denen das BAG und vor ihm schon der EuGH die Rechte von Teilzeitbeschäftigten stärken und „vollzeitbezogene“ Zuschüsse, Goodies o. ä. in Tarifverträgen für unwirksam erklärt haben.
 
Für besonders viel Furore sorgte die damals nur als Pressemitteilung vorliegende Entscheidung des BAG, in dem es entschied:
 
Regelungen in Tarifverträgen, die Überstundenzuschläge ohne „plausiblen“ Grund nur für Arbeitsstunden vorsehen, die über die Arbeitszeit einer Vollzeitkraft hinaus geleistet werden, sind unwirksam.
 
Die Entscheidung ging deshalb „viral“, weil solche Überstundenregelungen in Tarifverträgen weit verbreitet sind und daher die Rechte von vielen Frauen durch die Entscheidung gestärkt werden (immer noch sind Teilzeitbeschäftigte zu fast 80 % Frauen).
 
Eben weil die unzulässige Zuschlagsregelung meistens Frauen betrifft, hat das BAG der Klägerin für ihre unzulässige Benachteiligung bei den Überstundenzuschlägen zusätzlich eine Entschädigung („Schmerzensgeld“) nach § 15 Absatz 2 AGG (= Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) zugesprochen.
 
Nun liegt das Urteil im Volltext vor. Den Volltext können Sie hier nachlesen.
Grund genug, unseren Bericht fortzusetzen.
 
1. Beginnen möchten wir die Fortsetzung mit einer neuen Erkenntnis aus dem Volltext, die sich hauptsächlich an Arbeitgeber mit Haustarifverträgen richtet und die der Klägerin wegen ihrer Diskriminierung als Frau zugesprochene Entschädigung betrifft.
 
Das BAG hat nämlich geurteilt, dass das Haftungsprivileg des § 15 Absatz 3 AGG nicht für Haustarifverträge gilt.
 
Aber was bedeutet das?
§ 15 Abs. 3 AGG enthält eine Haftungsprivilegierung für Arbeitgeber, die kollektivrechtliche Vereinbarungen anwenden (müssen).
 
Dort heißt es:
 
„Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.“
 
Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit hat das BAG dem Arbeitgeber nicht unterstellt. Verdonnert hat es ihn trotzdem zum „Schmerzensgeld“, weil es im entschiedenen Fall um einen Haustarifvertrag ging und § 15 Absatz 3 AGG – laut BAG – jedenfalls nicht für Haustarifverträge gilt.
Was mit Flächentarifverträgen ist, hat das BAG ausdrücklich offengelassen.
Kenner wissen, dass es viele Stimmen gibt, die sagen, dass die Haftungsprivilegierung in § 15 Absatz 3 AGG insgesamt gegen europäisches Recht verstößt, weil die europäischen Vorgaben eine verschuldensunabhängige Entschädigung vorsehen.
 
Wir verstehen das BAG so, dass es diese Zweifel an der Wirksamkeit von § 15 Absatz 3 AGG zumindest für nachvollziehbar hält.
 
Arbeitgeber, die Tarifverträge anwenden, dürfen sich also nicht mehr darauf verlassen, dass sie (abgesehen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit) kein Schmerzensgeld zahlen müssen, wenn tarifvertragliche Regelungen gegen das AGG verstoßen.
Für Arbeitgeber mit Haustarifverträgen ist das Haftungsprivileg schon jetzt passé.
 
2. Für die tarifliche Regelung, dass Überstundenzuschläge nur bei einer Überschreitung der Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten gezahlt werden, sah das BAG keinen Rechtfertigungsgrund:
 
Zwar lasse der (Haus-)Tarifvertrag erkennen, dass die Regelung dazu dienen solle,

  • Vollzeitbeschäftigte nicht gegenüber Teilzeitbeschäftigten zu benachteiligen und
  • die Anordnung von Überstunden zu vermeiden.

 Sachliche Gründe seien das aber nicht.
 
Ganz im Gegenteil, würden Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte gleichbehandelt, wenn man Überstundenzuschläge an die Überschreitung der individuellen Arbeitszeit koppelt.
Außerdem würde die bestehende Regelung die Anordnung von Überstunden gegenüber Teilzeitbeschäftigten forcieren, da bis zur Grenze der Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten ja keine Überstundenzuschläge fällig seien.
 
Darauf, dass die Tarifpartner eine Überschreitung der Vollzeit mit Zuschlägen honorieren, weil es erst ab dann zu einer übermäßigen Arbeitsbelastung kommt, könne sich das Unternehmen nicht berufen, weil dieses Argument im Tarifvertrag keinen Anklang gefunden habe.
 
Deshalb lässt das BAG offen, inwieweit die an dieses und andere Argumente gestellten Anforderungen des EuGH mit der in unserem Grundgesetz verankerten Tarifautonomie vereinbar seien.
 
Apropos Tarifautonomie: Wir hatten in unserem Beitrag vom 21.02.2025 über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Nachtzuschlägen berichtet.
 
Wie wir in diesem Beitrag bereits sagten, ist das Urteil zu den Nachtzuschlägen aber nicht mit dem hier in Rede stehenden Fall der Überstundenzuschläge von Teilzeitkräften vergleichbar, da es im zuletzt genannten Fall nicht nur um die Gleichbehandlung, sondern (auch) um eine Diskriminierung im Sinne des AGG geht.
Deshalb glauben wir, dass das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des BAG in diesem Fall billigen würde, weil auch die Tarifautonomie (vereinfacht ausgedrückt) keine Rechtfertigung für eine Diskriminierung sein kann.

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19. März 2025

BAG zur Zustellung von Kündigungen per Einwurf-Einschreiben - Das Urteil im Volltext

BAG zur Zustellung von Kündigungen per Einwurf-Einschreiben - Das Urteil im Volltext

Wie versprochen sind wir am Ball geblieben: Anfang der Woche hat das BAG seine Urteilsbegründung veröffentlicht, den Volltext können Sie hier nachlesen.

Leider sind wir aber nicht schlauer als zuvor:

Das BAG hat ausdrücklich offengelassen, ob das Einwurf-Einschreiben als Beweis des ersten Anscheins taugt, wenn der Arbeitgeber Ein- und Auslieferungsbeleg vorlegen kann.

Stattdessen hat sich das BAG nur der Vorinstanz angeschlossen und festgestellt, dass die Vorlage von Einlieferungsbeleg und Sendungsstatus (ohne Reproduktion des Auslieferungsbelegs) jedenfalls nicht ausreichend ist.

Es bleibt also dabei:

⚠️ Stellen Sie Schreiben, deren Rechtsfolge von der Zustellung im Original abhängt, lieber per Boten zu.

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14. März 2025

Anspruch auf ausländisches Homeoffice bei Umzug?

Anspruch auf ausländisches Homeoffice bei Umzug?

Aktuell haben wir einen interessanten Fall auf dem Tisch, der das Thema Homeoffice im Ausland betrifft und sicher viele andere Unternehmen interessiert.
Der Fall geht so:
Eine Arbeitnehmerin arbeitet im Homeoffice und macht dort Kundenakquise für ein Unternehmen einer größeren Unternehmensgruppe.
Nun teilte sie ihrem Arbeitgeber mit, dass sie zusammen mit ihrem Mann für unbestimmte Zeit nach Afrika umziehen wird, weil der Mann dort arbeiten wird.
Da sie ohnehin im Homeoffice arbeite, könne sie das ja auch problemlos von Afrika aus tun.
 
Leider hat die Arbeitnehmerin nicht bedacht, dass eine (zumal unbefristete) Tätigkeit im Ausland Arbeitgeber vor viele arbeits-, sozialversicherungs- und (unternehmens-)steuerrechtliche Probleme stellt. Gerne erinnern wir insoweit auch an unseren Beitrag vom 06.03.2024.
 
Infolgedessen gibt es unseres Erachtens gute Argumente, die Homeoffice-Tätigkeit aus Afrika abzulehnen, zumal das von uns beratene Unternehmen in Afrika keine Betriebsstätte unterhält.
 
Aber was heißt das konkret?
 
Das bedeutet, dass das Arbeitsverhältnis beendet werden muss. Da die Arbeitnehmerin nicht freiwillig ausscheiden möchte, ist die Kündigung das Mittel der Wahl.
 
Aber was ist der Kündigungsgrund?
 
Unseres Erachtens gibt es zwei Kündigungsgründe:
 
➡ Zum einen könnte schon die beabsichtigte Verlagerung des Wohnsitzes ins Ausland als personenbedingter Kündigungsgrund ausreichen. Dann könnte man die Zustimmung zur Kündigung ggf. sogar „proaktiv“ aussprechen, noch bevor der Umzug vollzogen wird.
➡ Alternativ – und das ist u. E. der bessere Weg – könnte man abwarten, bis der Umzug vollzogen ist und die Kündigung darauf stützen, dass die Arbeitsleistung ab dem Moment des Umzugs nicht wie arbeitsvertraglich vereinbart erbracht wird. In dem Fall würde man zunächst nur darauf hinweisen, dass es keinen Anspruch auf die Tätigkeit aus dem Ausland gibt und man erwartet, dass die Arbeitnehmerin ihrer Tätigkeit weiterhin aus Deutschland nachkommt. Gleichzeitig könnte man die Kündigung androhen für den Fall, dass die Tätigkeit nicht (wie geschuldet) aus Deutschland erbracht wird.
Kündigen würde man dann erst nach dem Umzug, also wenn sich die Dame „weigert“, die vertragliche Tätigkeit weiter von Deutschland aus zu erbringen. Das wäre dann eine verhaltensbedingte Kündigung.
 
Rechtsprechung zu der Fallkonstellation gibt es kaum. Allerdings hat das Arbeitsgericht München in einem einstweiligen Verfügungsverfahren per Urteil vom 27.08.2021 (Az.: 12 Ga 62/21) ebenfalls entschieden, dass kein Anspruch auf Fortsetzung einer Homeofficetätigkeit im Ausland besteht. Auch die Münchener Arbeitsrichter begründen das mit dem erheblichen Aufwand und den erheblichen Risiken, die Auslandstätigkeiten für Arbeitgeber nach sich ziehen.
 
In unserem Fall kommt erschwerend hinzu, dass die Arbeitnehmerin schwerbehindert ist.
Dadurch ändert sich u. E. im Ergebnis aber nichts. Wir haben auch keine Sorge, dass das Inklusionsamt die erforderliche Zustimmung zur Kündigung verweigert; denn es handelt sich hier ja um Umstände, die nichts mit der Schwerbehinderung zu tun haben.
Wir werden der Mandantin daher empfehlen, das Inklusionsamt präventiv darüber zu informieren, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses wegen Umzugs ins Ausland gefährdet ist, um dann vom Präventionsverfahren in das Verfahren zur Zustimmung zur Kündigung überzuleiten.
 
Wenn Sie Erfahrungen mit ähnlichen Fällen gesammelt haben, teilen Sie diese gerne. Denn besonders üppig ist die Rechtsprechung wie gesagt noch nicht.

11. März 2025

Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen „Rente“

Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen „Rente“

Es gibt immer noch Unternehmen, die glauben, dass ein Arbeitsverhältnis automatisch endet, wenn Beschäftigte die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung erreichen oder tatsächlich eine (meist vorgezogene) Rente in Anspruch nehmen.
 
Beides ist falsch. Denn beides ist kein Selbstläufer.
 
Zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund Erreichung des gesetzlichen Rentenalters oder wegen der tatsächlichen Inanspruchnahme einer Rente kommt es vielmehr nur, wenn das auch mit den Beschäftigten vereinbart worden ist.
 
Ohne Vereinbarung gibt es in solchen Fällen also keine Beendigung.
 
Die Vereinbarung über die Beendigung mit Erreichen der Regelaltersgrenze ist seit Inkrafttreten des Bürokratieentlastungsgesetzes am 01.01.2025 und des neuen § 41 Abs. 2 SGB VI auch in Textform möglich, obwohl sie eine Befristung ist und für Befristungen wegen § 14 Abs. 4 TzBfG eigentlich Schriftform gilt (wobei nach herrschender Meinung die elektronische Form mit qualifizierter elektronischer Signatur genügen soll).
 
Möchten Unternehmen eine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Fall herbeiführen, dass Beschäftigte tatsächlich eine (vorgezogene) Altersrente in Anspruch nehmen, bleibt es dagegen bei der in § 14 Abs. 4 TzBfG angeordneten Schriftform.
Bei dieser Variante (Beendigung bei tatsächlichem Bezug einer Altersrente) ist außerdem zu beachten, dass es sich um keine Befristung, sondern eine auflösende Bedingung handelt, was nach der Rechtsprechung weitere Anforderungen an die Vertragsgestaltung stellt.
 
Neben diesen formalen Aspekten stellen sich bei „Rentenbefristungen“ natürlich auch inhaltliche Fragen.
Kann man solche Beendigungstatbestände auch noch nachträglich vereinbaren?
Sind solche Regelungen eine unzulässige Altersdiskriminierung?
Ist eine Beendigung wegen der tatsächlichen Inanspruchnahme einer (vorgezogenen) Rente überhaupt noch möglich, nachdem der Gesetzgeber die Hinzuverdienstgrenzen ab dem 01.01.2023 aufgehoben hat?
 
Auf all diese Fragen hat das Landesarbeitsgericht Hamm in seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung vom 08.05.2024 (Az.: 4 Sa 1156/23) folgende Antworten gegeben:

  • Die in einem Arbeits- oder geltenden Tarifvertrag vereinbarte Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des Monats, in dem Beschäftigte die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung erreichen, ist nach wie vor zulässig.
    Eine solche Regelung ist keine unzulässige Altersdiskriminierung, vorausgesetzt, dass Beschäftigte auch Anspruch auf eine Altersrente haben. Hierbei stellt das Gericht unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts klar, dass es hierbei nicht auf die konkrete wirtschaftliche Absicherung, sprich die konkrete Höhe der Altersrente ankommt.

    Achtung: Wenn Beschäftigte Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerks sind, muss die Beendigung des Arbeitsverhältnisses an die Regelaltersgrenze des entsprechenden Versorgungswerks gekoppelt werden.

  • Ob die Beendigung von Arbeitsverhältnissen nach dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen noch an den tatsächlichen Bezug einer (vorgezogenen) Altersrente gekoppelt werden kann, konnten die Hammer Landesarbeitsrichter im entschiedenen Fall offenlassen. Zweifel scheinen aber angebracht.
    Arbeitgeber sollten daher auf dem „Schirm“ haben, dass solche Klauseln gekippt werden könnten.
    Deshalb ist es wichtig, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Erreichen der Regelaltersgrenze und wegen des tatsächlichen Bezugs einer Altersrente voneinander zu trennen, damit die Unwirksamkeit des Beendigungstatbestandes „Bezug einer Altersrente“ nicht zur Unwirksamkeit der Beendigung wegen „Erreichens der Regelaltersgrenze“ führt.

  • Das Landesarbeitsgericht Hamm hat auch kein Problem damit, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses „wegen Rente“ erst nachträglich vereinbart wird.
    Viele von Ihnen werden sich jetzt an den Grundsatz erinnern, dass befristete Arbeitsverträge in der gebotenen Form geschlossen sein müssen, bevor Beschäftigte die Arbeit zum ersten Mal aufnehmen.
    Das bleibt auch nach wie vor richtig, gilt aber nur dann, wenn die Befristung von vornherein vereinbart war und erst nach Tätigkeitsaufnahme in der gebotenen Form fixiert wird.
    Der Grundsatz gilt also nicht, wenn – wie in dem vom Landesarbeitsgericht Hamm entschiedenen Fall – eine zunächst nicht vereinbarte Befristung später nachgeholt wird. 

Praxistipp: Unternehmen sind gut beraten, Arbeitsverträge daraufhin zu überprüfen, ob der Vertrag auch ohne Kündigung mit Ablauf des Monats endet, in dem Beschäftigte die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung (alternativ eines bestimmten berufsständischen Versorgungswerks) erreichen. Wenn nicht, sollte das nachgeholt werden.
Ob man zusätzlich eine automatische Beendigung für den Fall regelt, dass Beschäftigte tatsächlich eine (vorgezogene) Rente in Anspruch nehmen, sollte überlegt werden. Zum einen wegen der gerade genannten rechtlichen Bedenken nach Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen. Zum anderen deshalb, weil Unternehmen in Folge des Fachkräftemangels ja vielfach ein Interesse daran haben, dass Beschäftigte im fortgeschrittenen Alter weiterarbeiten.

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06. März 2025

Neu: Mutterschutz nach Fehlgeburt – was Betroffene und Personaler wissen müssen

Neu: Mutterschutz nach Fehlgeburt – was Betroffene und Personaler wissen müssen

Am vergangenen Donnerstag wurden wesentliche Änderungen des Mutterschutzgesetzes im Bundesgesetzblatt verkündet, die der besonderen Belastungssituation von Frauen nach einer Fehlgeburt Rechnung tragen.
 
Anlass für uns, die bisherigen, aber vor allem die ab dem 01.06.2025 geltenden Neuregelungen praxisgerecht für Sie aufzubereiten:
 
Das neue Mutterschutzrecht darf für zwei wichtige Errungenschaften gelobt werden:

  • Zum einen stellt es klar, dass eine Entbindung eine Lebend- oder eine Totgeburt ist und regelt die Dauer des 14-wöchigen Mutterschutzes bei Totgeburten nunmehr eindeutig. Bislang fehlte diese Klarstellung, so dass bei Totgeburten (Geburten ab der 24. Schwangerschaftswoche oder bei einem Geburtsgewicht von mindestens 500g) mitunter Streit über die Dauer des Mutterschutzes herrschte.
  • Und zum anderen führt das neue Mutterschutzgesetz den Mutterschutz nach Fehlgeburten ab der 13. Schwangerschaftswoche ein.

Besonders die zweite Änderung ist – völlig zu Recht – parteiübergreifend als wichtiger Meilenstein gelobt worden. Ab der 13. Schwangerschaftswoche gelten Schwangerschaften gemeinhin als „relativ sicher“. Dies ist auch der Grund, weshalb viele werdende Mütter erst nach den ersten zwölf Wochen ihre Schwangerschaft (auch gegenüber dem Arbeitgeber) bekannt geben. Endet die Schwangerschaft vorzeitig durch eine Fehlgeburt, ist dies für die Betroffenen ein sehr belastendes Ereignis; je länger die Schwangerschaft bestand, desto schlimmer ist es für die Betroffenen. Der Gesetzgeber hat betroffene Frauen nun in den Mutterschutz einbezogen. Damit profitieren sie auch schon dann von diesem besonderen Schutzraum, wenn es sich noch nicht um eine Totgeburt handelt, weil das Geburtsgewicht zu gering oder die Schwangerschaft noch nicht weit genug fortgeschritten war.

Grundsatz: Beschäftigungsverbot nach Fehlgeburt
Bei einer Fehlgeburt darf der Arbeitgeber eine Frau für folgende Zeiträume nicht beschäftigen:

  • Bei einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche 2 Wochen,
  • bei einer Fehlgeburt ab der 17. Schwangerschaftswoche 6 Wochen,
  • bei einer Fehlgeburt ab der 20. Schwangerschaftswoche 8 Wochen.

Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Frau sich ausdrücklich zur Arbeitsleistung bereit erklärt – wobei sie diese Erklärung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen kann. Diese Form des „freiwilligen Mutterschutzes auf Widerruf“ ist bereits aus dem vorgeburtlichen Mutterschutz bekannt.
 
Mutterschaftsgeld und Zuschuss zum Mutterschaftsgeld
Hier gelten dieselben Grundsätze wie beim schon bekannten vor- und nachgeburtlichen Mutterschutz:
Während der oben genannten Schutzfristen erhält die (gesetzlich krankenversicherte) Arbeitnehmerin Mutterschaftsgeld von ihrer Krankenkasse iHv bis zu EUR 13 / Tag und einen Arbeitgeber-Zuschuss zum Mutterschaftsgeld; sie erleidet also keine finanziellen Einbußen.
Für privat krankenversicherte Frauen zahlt das Bundesamt für Soziale Sicherung ein Mutterschaftsgeld, das aber auf EUR 210 gedeckelt ist. Der Arbeitgeber-Zuschuss berechnet sich jedoch genauso wie im Falle der gesetzlich versicherten Frauen. Privatversicherte haben also nach wie vor einen Nachteil.
 
Der Arbeitgeber bekommt – zukünftig auch im Falle einer Fehlgeburt – die von ihm erbrachten Leistungen über das U2-Umlageverfahren zu 100% erstattet.
 
Umsetzung in der Praxis
Der Arbeitgeber muss für die Inanspruchnahme des Mutterschutzes nach einer Fehlgeburt über die Fehlgeburt in Kenntnis gesetzt werden. Da für den Beginn der Schutzfrist der Tag der Fehlgeburt maßgeblich ist, empfiehlt sich eine rasche Mitteilung.
 
Nicht erforderlich ist – anders als bislang – eine ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit. Dies ist ein ganz entscheidender und wichtiger Unterschied: Das Gesetz gewährt den Betroffenen Mutterschutz, ohne dass sie mit ihrem Arzt/ihrer Ärztin über die Dauer einer Krankschreibung ins Gespräch gehen müssen. Sind die durch die Fehlgeburt ausgelösten Belastungen so stark, dass sie über den Zeitraum des Mutterschutzes hinausgehen, besteht natürlich weiterhin die Möglichkeit der Krankschreibung.
 
Umgekehrt können Frauen, die unmittelbar an ihren Arbeitsplatz zurückkehren möchten, dies auch tun. Entweder (wenn sie die Schwangerschaft noch nicht offenbart hatten) unterlassen sie von vornherein die Mitteilung. Oder sie erklären sich ausdrücklich zur Arbeit bereit.
 
Nachholbedarf für privatversicherte Selbständige
Selbstständig erwerbstätige Frauen, die freiwillig gesetzlich krankenversichert sind und die bei Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Krankengeld haben, werden von der Neuregelung ebenfalls erfasst und erhalten Mutterschaftsgeld von ihrer Krankenkasse iHv bis zu EUR 13 / Tag.
Privat versicherte Selbständige hingegen erhalten keine gesetzlich geregelten Leistungen. Hier soll in Zukunft – unter Beteiligung der privaten Krankenversicherung – nachgebessert werden.
 
Insgesamt sind die Neuregelungen sehr zu begrüßen. Sie bieten betroffenen Frauen einen zuverlässigen und angemessenen Schutz, ohne sie in ihrer Selbstbestimmung einzuschränken.
So kann gute Familienpolitik aussehen – auch fraktionsübergreifend.

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