07. Februar 2025
Noch einmal Aktuelles zum Thema Überstunden
Gestern hatten wir von einer aktuellen und rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 03.05.2024 (Az.: 7 Sa 69/23) berichtet.
Herzstück der Entscheidung war, dass Arbeitgeber, die bezogen auf die Arbeitszeit eine unwirksame „All-in-Klausel“ vereinbart haben, sich nicht ohne Weiteres darauf berufen können, dass ihnen die Überstunden nicht zugerechnet werden können.
Interessant ist auch das noch nicht rechtskräftige Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen (Az.: 4 SLa 52/24), von dem Herr Kollege Dr. Alexander Bissels in seinem linkedin-Post von gestern berichtet hat.
Dort ging es darum, dass es sich in einem Überstundenprozess nachteilig für Arbeitgeber auswirken kann, wenn sie gegen die ihnen mittlerweile vom BAG auferlegte Pflicht zur Aufzeichnung von Arbeitszeiten verstoßen haben.
Gerne möchten wir das Urteil des LAG Niedersachsen für diejenigen, die sich nicht tagtäglich mit der Materie beschäftigen, im Gesamtzusammenhang einordnen:
Machen Beschäftigte Überstunden geltend, findet eine zweistufige Prüfung statt:
1. Stufe: Arbeitsleistung über die vereinbarte Normalarbeitszeit hinaus
Zunächst müssen die Beschäftigten vortragen, an welchen Tagen sie von wann bis wann gearbeitet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten haben.
Diesem Vortrag müssen Arbeitgeber substanziiert, das heißt mit konkreten Einwendungen entgegentreten.
Tun sie das nicht, gilt der Vortrag der Beschäftigten über die von ihnen geleistete Arbeitszeit (inkl. der Mehrstunden) als zugestanden; dann haben die Beschäftigten die 1. Stufe erfolgreich erklommen.
2. Stufe: Dem Arbeitgeber zuzurechnen
Auf der 2. Stufe müssen die Beschäftigten dann darlegen (und notfalls auch beweisen), dass der Arbeitgeber die geltend gemachten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, gebilligt oder geduldet hat oder die Arbeiten unbedingt erforderlich waren.
Und hieran scheitern die Beschäftigten meistens.
Unwirksame Überstundenklauseln werden den Beschäftigten diesen Punkt aber in Zukunft erleichtern, wie wir Ihnen in unserem gestrigen Beitrag bereits erläutert haben. Deshalb sollten Arbeitgeber „All-in-Klauseln“ nur mit denjenigen vereinbaren, mit denen das auch rechtlich möglich ist. Und das sind in erster Linie Beschäftigte, die oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung verdienen.
Soweit das Prinzip.
Unruhe kam durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.05.2019 (Az.: C-55/18) auf, das die Mitgliedsstaaten platt gesprochen verpflichtete, per Gesetz Regelungen zur umfassenden Arbeitszeiterfassung zu erlassen.
Danach gab es ein großes Rätselraten, welche Auswirkungen das Urteil des EuGH auf das deutsche Arbeitsrecht und insbesondere die Geltendmachung von Überstunden hat.
Das Arbeitsgericht Emden zog aus der Entscheidung des EuGH für Überstundenprozesse folgenden Schluss:
Arbeitgeber, die die Arbeitszeiten nicht aufzeichnen, können sich – entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – nicht mehr darauf berufen, dass sie keine positive Kenntnis von den Überstunden hatten und sie ihnen deshalb nicht im Sinne einer Anordnung, Billigung oder Duldung zurechenbar seien.
Denn wenn – so das Arbeitsgericht Emden weiter – die Arbeitgeber die Arbeitszeiten aufgezeichnet hätten, hätten sie die ja erforderliche Kenntnis. Das Arbeitsgericht Emden machte aus „Kenntnis“ also „Kennenmüssen“.
Dem Vorstoß des Arbeitsgerichts Emden ist das Bundesarbeitsgericht nicht gefolgt. Vielmehr hat das Bundesarbeitsgericht per Urteil vom 04.05.2022 (Az.: 5 AZR 359/21) sinngemäß erklärt:
Trotz fehlender Arbeitszeiterfassung bleibt in Überstundenprozessen alles beim Alten.
Das zur Historie vorausgeschickt, nun zum neuen Urteil des LAG Niedersachsen vom 09.12.2024 (Az.: 4 SLa 52/24):
Soweit, wie das Arbeitsgericht Emden damals, sind die Niedersächsischen Landesarbeitsrichter jetzt nicht gegangen.
Sie haben also nicht erklärt, dass Arbeitgeber sich Überstunden alleine deshalb zurechnen lassen müssen, weil sie die Arbeitszeiten nicht aufgezeichnet haben.
Allerdings möchte das LAG Niedersachsen Arbeitgeber, die nicht aufzeichnen, auf der 1. Stufe (Arbeitsleistung über die vereinbarte Normalarbeitszeit hinaus) bestrafen.
Nach Meinung der Niedersächsischen Landesarbeitsrichter reicht es beispielsweise nicht, auf die behaupteten Überstunden zu erwidern, dass es ja auch Verspätungen gegeben habe. Das sei – angesichts der bestehenden Verpflichtung, Arbeitszeiten (und damit auch Verspätungen) aufzuzeichnen – zu pauschal.
Konkreter wird ein Arbeitgeber, der die Arbeitszeiten seiner Beschäftigten nicht aufzeichnet, aber in der Regel nicht erwidern können.
Setzt sich die Auffassung des LAG Niedersachsen durch, können Arbeitgeber ohne Zeiterfassung die 1. Prüfungsstufe im Überstundenprozess wohl verloren geben.
In vielen Beiträgen der letzten Tage wurde die Auffassung geäußert, das LAG Niedersachsen habe sich mit seiner Entscheidung gegen das Bundesarbeitsgericht gestellt.
Vielleicht denkt das auch das Landesarbeitsgericht Niedersachsen; es hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht jedenfalls zugelassen.
Wir sehen das etwas anders, sind aber gerade deshalb auf die Entscheidung des BAG sehr gespannt.
Unsere Prognose:
Das BAG wird nicht anders entscheiden, als es das LAG Niedersachsen im Dezember getan hat.
Nicht, weil es seine Rechtsprechung ändert, sondern weil die Entscheidung des LAG Niedersachsen keinen Widerspruch, sondern eine logische Ergänzung darstellt. Arbeitgeber, die mit pauschalen Vorwürfen versuchen die Arbeitsleistung ihrer Beschäftigten in Frage zu stellen, anstatt die Arbeitszeiten zu erfassen, um sie so nachweis- und messbar zu machen, werden auch beim Bundesarbeitsgericht den Kürzeren ziehen.
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