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18. Februar 2025

Die Probezeit hat nichts mit dem Kündigungsschutzgesetz zu tun!

Die Probezeit hat nichts mit dem Kündigungsschutzgesetz zu tun!

Kaum ein Irrtum hält sich so hartnäckig wie der, dass die Dauer der Probezeit für den Beginn des Kündigungsschutzes maßgeblich ist.
 
Passend zu den Grundzügen, die meine Kollegin Lydia Voß in ihrem heutigen LinkedIn-Beitrag dargestellt hat, hier ein aktueller und geradezu schulbuchmäßiger Fall aus unserer Praxis:
 
In dem Arbeitsvertrag eines Arbeitnehmers wurde eine 6-monatige Probezeit vereinbart. 
Kurz vor Ablauf von 3 Monaten bittet der Arbeitnehmer den Arbeitgeber, die Probezeit doch schon nach 3 Monaten für erfolgreich bestanden zu erklären.
Da der Arbeitnehmer bis dahin einen guten Job machte, erfüllt der Arbeitgeber ihm diesen Wunsch. 
 
Dann kam es wie so oft. Die Leistungen wurden schlechter und zu Beginn des 6. Monats möchte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis beenden. Auch dieser Arbeitgeber ging davon aus, dass sein Beschäftigter nun schon ab dem 4. Monat Kündigungsschutz hatte. 
 
Seine Erleichterung war groß, als er von uns hörte, dass der Kündigungsschutz (das Unternehmen ist kein Kleinbetrieb im Sinne von § 23 des Kündigungsschutzgesetzes) trotz verkürzter Probezeit erst nach einer Beschäftigungsdauer von mehr als 6 Monaten beginnt, § 1 Absatz 1 Kündigungsschutzgesetz. 
 
Der Arbeitnehmer war gleichsam schief gewickelt und versprach nach empfangener Kündigung, dass er gleich einen Anwalt aufsuchen werde, damit dieser Kündigungsschutzklage erhebe. 
 
Klage wurde innerhalb der 3-wöchigen-Klagefrist nicht erhoben. Der Anwalt des Arbeitnehmers wusste es offenbar besser.
 
Bleibt die Frage, welche Bedeutung die Probezeit dann überhaupt hat?
Die Antwort ist: Die Vereinbarung einer Probezeit führt nur zu den sich aus § 622 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergebenden kürzeren Kündigungsfristen.
 
Es gibt allerdings auch Fälle, in denen Kündigungsschutzklage erhoben wird, weil Arbeitnehmer felsenfest im Glauben sind, dass ihnen die Abkürzung der Probezeit zum Kündigungsschutz verhilft. 
Und auch Arbeitsgerichte befassen sich in manch einem Fall mit der Auslegung solcher Absprachen.
 
Damit es erst gar nicht zu solchen Auslegungen kommt, sind Arbeitgeber gut beraten, schon in den Arbeitsvertrag hineinzuschreiben, dass eine "Probezeit gemäß § 622 Absatz 3 BGB von xy Monaten" (6 Monate sind die Maximalfrist) vereinbart wird.
 
Bestehen Neubeschäftigte darauf, dass keine Probezeit vereinbart wird, gilt das natürlich erst recht. Dann sollte es heißen: 
"Es wird keine Probezeit gemäß § 622 Absatz 3 BGB vereinbart."

Für die Verkürzung von Probezeiten gilt wiederum das gleiche; Arbeitgeber schreiben dann also, dass die "Probezeit gemäß § 622 Absatz 3 BGB" schon am xy endet.

 

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12. Februar 2025

Neu und wichtig: BAG und der "Annahmeverzug"

Neu und wichtig: BAG und der "Annahmeverzug"

In unserem Beitrag vom 08.05.2024 hatten wir über die neuen Möglichkeiten für Arbeitgeber beim Thema „Annahmeverzug“ berichtet.
 
Heute (Urteil vom 12. Februar 2025, Az.: 5 AZR 127/24) hat das BAG eine weitere Entscheidung getroffen, die sich in unsere damaligen Ausführungen nahtlos einfügt.
 
Während sich die meisten der bislang besprochenen Entscheidungen mit dem Annahmeverzug nach Ablauf der Kündigungsfrist befassen, hat sich das BAG heute mit der Frage beschäftigt, welche Pflichten Beschäftigte während der noch laufenden Kündigungsfrist haben:
 
Im Grundsatz entschied das BAG, dass Beschäftigte nicht verpflichtet sind, sich während der laufenden Kündigungsfrist eine neue Arbeitsstelle zu suchen.
 
Damit Sie das aktuelle Urteil besser einordnen können, möchten wir zunächst noch einmal kurz zusammenfassen, was bisher geschah.
 
1. Situation nach Ablauf der Kündigungsfrist:
In jedem Unternehmen werden „kritische“ Kündigungen ausgesprochen.
Scheitert in solchen risikobehafteten Fällen eine vergleichsweise Einigung mit dem gekündigten Beschäftigten, droht dem Unternehmen der sogenannte Annahmeverzug. Hinter „Annahmeverzug“ steht die grundsätzliche Pflicht von Unternehmen, den gekündigten Beschäftigten die aufgelaufenen Vergütungsansprüche nachzuzahlen; einerseits für die Dauer der Kündigungsfrist (wenn die Beschäftigten freigestellt sind), andererseits aber auch nach Ablauf der Kündigungsfrist (wenn der Kündigungsschutzprozess rechtskräftig verloren geht).
 
Beginnend mit seinem Urteil vom 27.05.2020 (Az.: 5 AZR 387/19) hat das Bundesarbeitsgericht Unternehmen neue Möglichkeiten an die Hand gegeben, mit denen sie das Annahmeverzugslohnrisiko für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist reduzieren können.

Fasst man die bisherigen Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 27.05.2020 (Az.: 5 AZR 387/19), vom 19.01.2022 (Az.: 5 AZR 346/21), vom 12.10.2022 (Az.: 5 AZR 30/22), vom 29.03.2023 (Az.: 5 AZR 255/22) sowie vom 07.02.2024 (Az.: 5 AZR 177/23) zusammen, ergibt sich folgendes Bild für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist:

  • Gekündigte Beschäftigte sind grundsätzlich verpflichtet, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Tun sie das nicht, handeln sie grundsätzlich vorwerfbar im Sinne von § 11 S. 1 Nr. 2 des Kündigungsschutzgesetzes.
    Die Vorschrift besagt sinngemäß: Beschäftigte müssen sich auf das Entgelt, das der Arbeitgeber ihnen nach Ablauf der Kündigungsfrist schuldet, den (fiktiven) Verdienst anrechnen lassen, den sie erlangt hätten, wenn sie es nicht böswillig unterlassen hätten, eine ihnen zumutbare Arbeit anzunehmen.

    ➡ Arbeitgeber sollten die Pflicht zur Arbeitslosmeldung daher standardmäßig in ihre Kündigungsschreiben aufnehmen.

  • Beschäftigte, die Annahmeverzugslohnansprüche geltend machen, müssen dem Arbeitgeber auf dessen Verlangen Auskunft darüber erteilen, welche Arbeitsplatzangebote sie im fraglichen Zeitraum von der Arbeitsagentur erhalten haben, und zwar unter Benennung der Tätigkeit, der Arbeitszeit, des Arbeitsortes sowie der Höhe der Vergütung.Arbeitgeber können diesen Auskunftsanspruch im Verfahren über den Annahmeverzugslohn einredeweise geltend machen; sie müssen den Auskunftsanspruch also nicht ihrerseits per Widerklage einklagen. Von diesem Auskunftsrecht sollte auch jeder Arbeitgeber in einem Gehaltsprozess Gebrauch machen; denn die Darlegungs- und Beweislast für ein „böswilliges Unterlassen“ einer anderweitigen Beschäftigung hat der Arbeitgeber. Er braucht daher die Auskunft, um seiner Darlegungslast zu genügen.

  • Nach erteilter Auskunft ist es dann Sache des Arbeitgebers vorzutragen, dass es Vermittlungsvorschläge der Arbeitsagentur gab, die dem Arbeitnehmer zumutbar waren, die er daher böswillig ausgeschlagen hat und damit anderweitigen Erwerb böswillig unterlassen hat.

  • Haben sich Beschäftigte nicht bei der Arbeitsagentur arbeitssuchend gemeldet, kommt es darauf an, ob es zumutbare Vermittlungsangebote der Arbeitsagentur gegeben hätte.
    Und – wichtig: Es ist laut Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12.10.2022 (Az.: 5 AZR 30/22) Sache des Arbeitgebers, hierzu vorzutragen.

    ➡ Infolgedessen tun Arbeitgeber gut daran, sich in Bezug auf gekündigte Beschäftigte selbst über geeignete Jobangebote der Agentur für Arbeit informiert zu halten. Dies kann zum Beispiel über die Selbstinformationseinrichtungen der Agentur für Arbeit geschehen, vgl. § 35 III S.1 SGB III.

  • Haben Beschäftigte sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet und sind sie deren Vermittlungsangeboten sachgerecht nachgegangen, wird ihnen „regelmäßig“ keine vorsätzliche Untätigkeit vorzuwerfen sein.

    ➡ Die betriebliche Praxis kann und sollte sich aufgrund dieser Aussagen des Bundesarbeitsgerichts nicht darauf verlassen, dass „böswilliges Unterlassen“ erfolgreich mit unterlassenen Eigenbemühungen begründet werden kann.

    ➡ Arbeitgebern ist daher zu raten, gekündigten Beschäftigten aktiv zumutbare Arbeitsangebote vorzuschlagen, sei es über die Agentur für Arbeit, sei es über Jobangebote aus anderen Kanälen. Wichtig ist auch, dass die Arbeitgeber den betroffenen Beschäftigten die zumutbaren Jobangebote zugänglich machen, und zwar idealerweise mit Zugangsnachweis.

  • Beschäftigte sind „nicht generell“ und nicht „ohne Weiteres“ verpflichtet, sich unermüdlich um eine zumutbare Arbeit zu kümmern.

  • Das zuvor gesagte wirft natürlich die Frage auf, was zumutbare Beschäftigungen sind.Insoweit stellt das Bundesarbeitsgericht klar, dass die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen des § 140 III und IV SGB III nicht anwendbar sind, da sie über den mit den „böswilligen Unterlassen“ verfolgten Zweck hinausgehen und deshalb zu weit gehend sind.
    Das Bundesarbeitsgericht hilft der betrieblichen Praxis allerdings insofern, als dass es sagt: „Nicht zumutbar sind jedenfalls Tätigkeiten, bei denen Beschäftigte einen Nettoverdienst erzielen, der für die Dauer der Gewährung von Arbeitslosengeld I unter dem Arbeitslosengeld I läge“.

    Auf Gut- oder Großverdiener wird man diese Aussage aber nicht unbedingt anwenden können. Das Bundesarbeitsgericht sagt nämlich gleichzeitig, dass Beschäftigte eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen grundsätzlich nicht hinnehmen müssen und den Instanzgerichten soweit ein Beurteilungsspielraum zukommt.
    Die Betonung liegt auf erheblich. Das heißt, dass nur eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen unzumutbar ist. Ein beispielsweise geringerer Verdienst, der nicht erheblich ist, ist also noch zumutbar.
    Es ist also mal wieder alles eine Frage des Einzelfalls.

    ➡ Je näher die Jobangebote der Agentur für Arbeit oder des Arbeitgebers an das bisherige Gehalt und den bisherigen Arbeitsort heranreichen, desto besser ist es also.

  • Das Bundesarbeitsgericht stellte außerdem klar, dass auch gekündigte Beschäftigte, die Kündigungsschutzklage erhoben haben, weiterhin grundsätzlich dem Wettbewerbsverbot unterliegen. Zu diesem Thema gibt es im Übrigen ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, über das wir demnächst berichten werden.
    Wie dem auch sei, ist es Beschäftigten laut Bundesarbeitsgericht deshalb nicht zumutbar, eine Wettbewerbstätigkeit aufzunehmen, um „böswilliges Unterlassen“ zu vermeiden.

    ➡ In Fällen, in denen gekündigte Beschäftigte praktisch nur bei Konkurrenzunternehmen arbeiten können, sollten Arbeitgeber sich daher überlegen, ob sie diese Beschäftigten „bedingungslos“ vom Wettbewerbsverbot befreien (können).

  • Arbeitgeber, die eine Änderungskündigung ausgesprochen haben, haben ebenfalls gute Karten, Annahmeverzugslohnansprüche zu reduzieren, wenn die Änderungskündigung sozialwidrig ist. Das hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 19.01.2022 (Az.: 5 AZR 346/21) entschieden und wörtlich gesagt:
    „Lehnt der Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Änderungskündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen ab, kann hierin ein böswilliges Unterlassen liegen. Die Sozialwidrigkeit der Kündigung hat nicht zwingend die Unzumutbarkeit der Weiterarbeit zu geänderten Bedingungen zur Folge (…).“

    Mehr dazu finden Sie in unserem Newsletter vom 23.06.2022.

  • Allerdings ist es fristlos gekündigten Beschäftigten grundsätzlich nicht zumutbar, zur Reduzierung des Annahmeverzugsrisikos bei dem Arbeitgeber weiterzuarbeiten, der ihnen fristlos gekündigt hat; so entschied es das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 29.03.2023 (Az.: 5 AZR 255/22).

  • Der „Grad der Unwirksamkeit einer Arbeitgeberkündigung“ spielt für die Pflichten gekündigter Beschäftigter, zumutbaren Jobangeboten nachzugehen, dagegen grundsätzlich keine Rolle.
    Oder um es mit den Worten des Bundesarbeitsgerichts zu sagen:
    „Eine Anrechnung nach § 11 Nr. 2 KSchG setzt immer eine unwirksame Arbeitgeberkündigung voraus. Besondere Umstände, wie mehrfache vorangegangene unwirksame und zurückgenommene Kündigungen, können zwar berücksichtigt werden. Dass solche Umstände vorliegend gegeben waren, hat das Landesarbeitsgericht aber nicht festgestellt. Es hat auch nicht ausgeführt, weshalb die vorliegende Kündigung, die erstinstanzlich für wirksam erachtet wurde, eine besondere Treuepflichtverletzung darstellen soll.“ 

2. BAG NEU: Gelten die Grundsätze zum „böswilligen Unterlassen“ auch im Falle längeren Freistellungen bis zum Ablauf der Kündigungsfrist?
 
Bislang ungeklärt war die Frage, ob die gleichen Grundsätze wie nach Ablauf der Kündigungsfrist auch schon während einer unwiderruflichen Freistellung gelten.
Dafür spricht, dass § 615 S.2 BGB, der das gleiche wie § 11 Nr. 1 Nr. 2 KSchG sagt, auch für unwiderrufliche Freistellungen gilt.
Hinzu kommt, dass die herrschende Meinung in der Literatur bei unwiderruflichen Freistellungen davon ausgeht, dass die Pflicht, sich bei der Arbeitsagentur arbeitssuchend zu melden, schon mit der Freistellung und nicht erst drei Monate vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht.
 
Gerade bei langen Kündigungsfristen in Verbindung mit einer langen unwiderruflichen Freistellung haben Arbeitgeber deshalb mit Hilfe der zuvor genannten Argumentation versucht, schon die Freistellungsvergütung zu reduzieren und die Vergütung nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzuzahlen.
 
Dem schiebt das Bundesarbeitsgericht in seiner heutigen Entscheidung (Az.: 5 AZR 127/24) aber – zumindest teilweise – einen Riegel vor.
 
Das BAG hat nämlich entschieden, dass der Umfang der Obliegenheit des Arbeitnehmers nicht losgelöst von den Pflichten des Arbeitgebers beurteilt werden.
 
Anders ausgedrückt:
Wenn ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer für die Dauer der Kündigungsfrist von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freistellt, obwohl er nach dem Arbeitsvertrag zur vertragsgemäßen Beschäftigung verpflichtet ist, ist der Arbeitnehmer seinerseits nicht verpflichtet, schon vor Ablauf der Kündigungsfrist zur finanziellen Entlastung des Arbeitgebers ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen und daraus (anrechenbaren) Verdienst zu erzielen.
Etwas anderes würde, so das BAG weiter, allenfalls gelten, wenn der Arbeitgeber darlegen könnte, dass ihm die Erfüllung des aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden und auch während der Kündigungsfrist bestehenden Beschäftigungsanspruchs unzumutbar wäre. Das war aber – wie in den meisten Fällen - nicht der Fall.
 
Zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist musste der Arbeitgeber daher Vergütung leisten; für die Zeit danach gilt das unter Ziffer 1. Gesagte.
Wenn Sie Fragen haben, melden Sie sich gerne.

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10. Februar 2025

Es gibt fast keine leitenden Angestellten mehr

Es gibt fast keine leitenden Angestellten mehr

Wer uns folgt weiß:
Die wenigsten Leitenden sind auch leitende Angestellte im Rechtssinne.
 
Belegt wird das durch die gerade veröffentlichte Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hessen vom 09.12.2024, (Az.: 16 TaBV 93/24).
Vor dem LAG Hessen stritten sich Arbeitgeber und Betriebsrat über die Frage, ob eine Filialleiterin, die Beschäftigte in ihrer Filiale einstellen und entlassen kann, leitende Angestellte im Sinne von § 5 Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) ist.
In dem Einzelhandelsunternehmen gibt es in Deutschland rund 3.500 Beschäftigte, die auf 70 Filialen verteilt sind.
Die Filialleiterin, um die es geht, war immerhin für 91 Beschäftigte zuständig.
 
Hand aufs Herz: Wer von Ihnen hätte gedacht, dass die Leiterin einer Filiale mit immerhin 91 Beschäftigten und selbständiger Einstellungs- und Entlassungsbefugnis keine leitende Angestellte sein soll?
Sicher die wenigsten. Und trotzdem kommt das LAG Hessen zu einem gegenteiligen Schluss.
 
Aber der Reihe nach:
Nach § 5 Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG ist eine Führungskraft dann leitende Angestellte, wenn sie nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb „zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist“.
 
Die Krux an der Geschichte:
Weitere Voraussetzung ist, dass sich die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis

  • entweder auf eine Vielzahl von Arbeitnehmern (quantitativer Aspekt) oder
  • auf hochqualifizierte Arbeitnehmer mit entsprechenden Entscheidungsspielräumen (qualitativer Aspekt)

erstrecken muss.
 
In den Augen des LAG Hessen war aber weder das eine noch das andere der Fall.
In quantitativer Hinsicht genügten den hessischen Landesarbeitsrichtern 91 von insgesamt 3.500 Beschäftigten nicht.
Und in qualitativer Hinsicht scheiterte die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis daran, dass für das Unternehmen wichtige Funktionen nicht der Filialleiterin unterstellt waren.
 
Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) bisher offengelassen, ob der quantitative Aspekt schon dann erfüllt ist, wenn sich die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis auf einen Betrieb im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 BetrVG (nicht Betriebsteil im Sinne des § 4 Absatz 1 BetrVG) bezieht.
Deshalb wurde die Revision zum BAG zugelassen.
 
Mit dieser Argumentation ist die Filialleiterin übrigens erst recht keine leitende Angestellte im Sinne des § 14 Absatz 2 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) mit nur eingeschränktem Kündigungsschutz.
Zwar reicht bei § 14 Absatz 2 KSchG eine selbständige Einstellungs- oder Entlassungsbefugnis. Im Übrigen sind die Voraussetzungen bei § 14 Absatz 2 KSchG aber noch höher.
 
Was den nur eingeschränkten Kündigungsschutz nach § 14 Absatz 2 KSchG anbelangt, bleiben in erster Linie nur Personalleiter mit selbständiger Einstellungs- oder Entlassungsbefugnis übrig.
 
Wer sich jetzt sorgt, mag uns gerne anrufen.

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07. Februar 2025

Noch einmal Aktuelles zum Thema Überstunden

Noch einmal Aktuelles zum Thema Überstunden

Gestern hatten wir von einer aktuellen und rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 03.05.2024 (Az.: 7 Sa 69/23) berichtet.
 
Herzstück der Entscheidung war, dass Arbeitgeber, die bezogen auf die Arbeitszeit eine unwirksame „All-in-Klausel“ vereinbart haben, sich nicht ohne Weiteres darauf berufen können, dass ihnen die Überstunden nicht zugerechnet werden können.
 
Interessant ist auch das noch nicht rechtskräftige Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen (Az.: 4 SLa 52/24), von dem Herr Kollege Dr. Alexander Bissels in seinem linkedin-Post von gestern berichtet hat.
Dort ging es darum, dass es sich in einem Überstundenprozess nachteilig für Arbeitgeber auswirken kann, wenn sie gegen die ihnen mittlerweile vom BAG auferlegte Pflicht zur Aufzeichnung von Arbeitszeiten verstoßen haben.
 
Gerne möchten wir das Urteil des LAG Niedersachsen für diejenigen, die sich nicht tagtäglich mit der Materie beschäftigen, im Gesamtzusammenhang einordnen:
 
Machen Beschäftigte Überstunden geltend, findet eine zweistufige Prüfung statt:
 
1. Stufe: Arbeitsleistung über die vereinbarte Normalarbeitszeit hinaus
Zunächst müssen die Beschäftigten vortragen, an welchen Tagen sie von wann bis wann gearbeitet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten haben. 
 
Diesem Vortrag müssen Arbeitgeber substanziiert, das heißt mit konkreten Einwendungen entgegentreten.
Tun sie das nicht, gilt der Vortrag der Beschäftigten über die von ihnen geleistete Arbeitszeit (inkl. der Mehrstunden) als zugestanden; dann haben die Beschäftigten die 1. Stufe erfolgreich erklommen. 
 
2. Stufe: Dem Arbeitgeber zuzurechnen
Auf der 2. Stufe müssen die Beschäftigten dann darlegen (und notfalls auch beweisen), dass der Arbeitgeber die geltend gemachten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, gebilligt oder geduldet hat oder die Arbeiten unbedingt erforderlich waren.
 
Und hieran scheitern die Beschäftigten meistens.
 
Unwirksame Überstundenklauseln werden den Beschäftigten diesen Punkt aber in Zukunft erleichtern, wie wir Ihnen in unserem gestrigen Beitrag bereits erläutert haben. Deshalb sollten Arbeitgeber „All-in-Klauseln“ nur mit denjenigen vereinbaren, mit denen das auch rechtlich möglich ist. Und das sind in erster Linie Beschäftigte, die oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung verdienen.
 
Soweit das Prinzip.
 
Unruhe kam durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.05.2019 (Az.: C-55/18) auf, das die Mitgliedsstaaten platt gesprochen verpflichtete, per Gesetz Regelungen zur umfassenden Arbeitszeiterfassung zu erlassen.
 
Danach gab es ein großes Rätselraten, welche Auswirkungen das Urteil des EuGH auf das deutsche Arbeitsrecht und insbesondere die Geltendmachung von Überstunden hat.
 
Das Arbeitsgericht Emden zog aus der Entscheidung des EuGH für Überstundenprozesse folgenden Schluss:
Arbeitgeber, die die Arbeitszeiten nicht aufzeichnen, können sich – entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – nicht mehr darauf berufen, dass sie keine positive Kenntnis von den Überstunden hatten und sie ihnen deshalb nicht im Sinne einer Anordnung, Billigung oder Duldung zurechenbar seien. 
Denn wenn – so das Arbeitsgericht Emden weiter – die Arbeitgeber die Arbeitszeiten aufgezeichnet hätten, hätten sie die ja erforderliche Kenntnis. Das Arbeitsgericht Emden machte aus „Kenntnis“ also „Kennenmüssen“.
 
Dem Vorstoß des Arbeitsgerichts Emden ist das Bundesarbeitsgericht nicht gefolgt. Vielmehr hat das Bundesarbeitsgericht per Urteil vom 04.05.2022 (Az.: 5 AZR 359/21) sinngemäß erklärt:
 
Trotz fehlender Arbeitszeiterfassung bleibt in Überstundenprozessen alles beim Alten.
 
Das zur Historie vorausgeschickt, nun zum neuen Urteil des LAG Niedersachsen vom 09.12.2024 (Az.: 4 SLa 52/24):
 
Soweit, wie das Arbeitsgericht Emden damals, sind die Niedersächsischen Landesarbeitsrichter jetzt nicht gegangen.
Sie haben also nicht erklärt, dass Arbeitgeber sich Überstunden alleine deshalb zurechnen lassen müssen, weil sie die Arbeitszeiten nicht aufgezeichnet haben.
 
Allerdings möchte das LAG Niedersachsen Arbeitgeber, die nicht aufzeichnen, auf der 1. Stufe (Arbeitsleistung über die vereinbarte Normalarbeitszeit hinaus) bestrafen.
 
Nach Meinung der Niedersächsischen Landesarbeitsrichter reicht es beispielsweise nicht, auf die behaupteten Überstunden zu erwidern, dass es ja auch Verspätungen gegeben habe. Das sei – angesichts der bestehenden Verpflichtung, Arbeitszeiten (und damit auch Verspätungen) aufzuzeichnen – zu pauschal. 
Konkreter wird ein Arbeitgeber, der die Arbeitszeiten seiner Beschäftigten nicht aufzeichnet, aber in der Regel nicht erwidern können. 
Setzt sich die Auffassung des LAG Niedersachsen durch, können Arbeitgeber ohne Zeiterfassung die 1. Prüfungsstufe im Überstundenprozess wohl verloren geben. 
 
In vielen Beiträgen der letzten Tage wurde die Auffassung geäußert, das LAG Niedersachsen habe sich mit seiner Entscheidung gegen das Bundesarbeitsgericht gestellt. 
Vielleicht denkt das auch das Landesarbeitsgericht Niedersachsen; es hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht jedenfalls zugelassen.
 
Wir sehen das etwas anders, sind aber gerade deshalb auf die Entscheidung des BAG sehr gespannt.
 
Unsere Prognose: 
Das BAG wird nicht anders entscheiden, als es das LAG Niedersachsen im Dezember getan hat. 
 
Nicht, weil es seine Rechtsprechung ändert, sondern weil die Entscheidung des LAG Niedersachsen keinen Widerspruch, sondern eine logische Ergänzung darstellt. Arbeitgeber, die mit pauschalen Vorwürfen versuchen die Arbeitsleistung ihrer Beschäftigten in Frage zu stellen, anstatt die Arbeitszeiten zu erfassen, um sie so nachweis- und messbar zu machen, werden auch beim Bundesarbeitsgericht den Kürzeren ziehen. 

 

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06. Februar 2025

Auswirkung unzulässiger All-in-Klauseln auf Überstundenprozesse

Auswirkung unzulässiger All-in-Klauseln auf Überstundenprozesse

Bisher scheiterten viele Überstundenprozesse daran, dass Beschäftigte nicht darlegen (geschweige denn beweisen) konnten, dass der Arbeitgeber die geltend gemachten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, gebilligt oder geduldet hat.
 
Arbeitgeber werden sich trotzdem in Zukunft „wärmer anziehen“ müssen, wie das erst vor kurzem veröffentlichte Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 03.05.2024 (Az.: 7 Sa 69/23) zeigt:
 
➡ Nach diesem Urteil ist für die Billigung von Überstunden nicht erforderlich, dass die Stunden vom Arbeitgeber abgezeichnet worden sind.Vielmehr soll es genügen, dass Vorgesetzte sich in anderem Zusammenhang mit den Tätigkeiten und Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten auseinandergesetzt haben.
 
➡ Zu Lasten des Arbeitgebers hat das LAG Rheinland-Pfalz außerdem gewertet – und das ist ein für die Praxis wichtiger Punkt – das mit den Beschäftigten eine (allerdings unwirksame) All-in-Klausel vereinbart würde. 
Wörtlich sagen die Richter:
 
„Durch die Bestimmung in § 5 Abs. 3 Satz 2 des Anstellungsvertrages „Eventuell anfallende Überstunden sind mit dem Bruttomonatsgehalt abschließend abgegolten“ lässt sich ebenfalls ersehen, dass die Beklagte sich für den Fall der „eventuellen“ Leistung von Überstunden durch den Kläger vertraglich absichern wollte. Damit war die Klausel geeignet, beim Kläger den Eindruck zu erwecken, die Beklagte billige grundsätzlich die Leistung von Überstunden bei einer Position wie derjenigen, die der Kläger innehatte (vgl. BAG 04.05.2022 – 5 AZR 474/21 – Rn. 35). Dass die Beklagte den mit der Klausel verfolgten Zweck, Überstunden nicht gesondert vergüten zu müssen, nicht erreichte, liegt im Risikobereich der Beklagten als Verwenderin der Klausel (vgl. BAG 04.05.2022 – 5 AZR 474/21 – Rn. 35). […]“
 
Wichtig ist zudem die Feststellung, dass bei einer unwirksamen All-in-Klausel eine Überstundenvergütung selbst dann besteht, wenn die nach dem Arbeitszeitgesetz höchstzulässige Arbeitszeit überschritten wurde.
 
Diese Entscheidung liegt auf der Linie der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wohl auch deshalb hat das LAG die Revision zum BAG nicht zugelassen.
 
Arbeitgeber sind daher vor allem gut beraten, mit Beschäftigten, die nicht oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung verdienen, keine All-in-Klauseln zu vereinbaren. Sonst entsteht bei Vorgesetzten der Eindruck, dass Überstunden egal seien.